Bestseller. Marion Selbmann

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Название Bestseller
Автор произведения Marion Selbmann
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742762368



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zu meinem Vorhaben. Hoffentlich ist es kein schlechtes Omen.“

      Die Frau fragte Marina, wo sie denn hin wolle.

      „Nach Grafenried. In das alte Försterhaus mitten im Wald. Gleich nach dem Frühstück fahre ich los. Ich denke, ich finde mich zurecht.“

      Marina lachte erneut.

      Die Frau machte ein ernstes, ja beinahe entsetztes Gesicht.

      „Tun Sie das nicht!“

      Sie schaute sich um und fuhr flüsternd fort zu sprechen.

      „Sie wären dort mutterseelenallein. Kein Mensch würde Sie schreien hören.“

      Sie beugte sich über den Tresen.

      „Schreckliche Dinge sind da passiert. En Mord. Ganz en fürchterlicher, der nie aufgeklärt wurde.“

      Sie nickte vielsagend. Marina ließ sich nicht einschüchtern.

      „Genau. Deswegen fahre ich dorthin. Wissen Sie, ich bin Autorin.“ Sie winkte ab. „Noch eine ganz unbekannte. Aber das wird sich ändern. Ich werde einen Bestseller schreiben. Ich muss einen Bestseller schreiben. Und dazu brauche ich Ruhe und die geeignete Atmosphäre.“

      „Ne, ne. Aber doch net dort.“ Die Stimme der Frau wurde beinahe weinerlich.

      „Wenns anfangt zu schneien, kommen sie dort net weg. Und och kener kann Ihnen helfen. Ken Handy funktioniert. Ich tät mir das noch mal überlegen.“

      Marina legte ihre Hand auf die der Frau.

      „Sie sind sehr nett. Aber es gibt nichts zu überlegen. Es ist meine letzte Chance.“

      Die Frau seufzte.

      „Ich mach Ihnen morgen früh ein gutes Frühstück.“ Sie fügte hinzu. „Überschlafen Sie das Ganze noch emal.“

      Die Nacht verbrachte Marina teils mit Lesen, teils mit Grübeln. Das Zimmer war spartanisch eingerichtet. Es gab weder Fernsehen noch Dusche. Aber es war sauber. Sie lag gerade auf dem Rücken in dem Bett mit weiß gestrichenem Metallrahmen und starrte an die Decke. Sie erinnerte sich an die Zeit vor fast drei Jahren. Damals starb ihr geliebter Vater an Krebs. Sie glaubte, der Himmel würde einstürzen. Zwei Tage später verunglückte ihr Mann schwer. All das geschah, als sie aus der Praxis umziehen mussten wegen des gesundheitsgefährdenden Schimmels, welcher aus dem Kellergewölbe darunter nach oben in die Praxisräume gekrochen war. Der Umzug war teuer. Der Vater, der ihr immer geholfen hatte, tot. Ihr Michael, Gott sei Dank am Leben. Er würde sie jetzt brauchen, genau wie ihre schwangere Tochter, welche gerade ihren Abschluss als Physiotherapeutin gemacht hatte und in das Geschäft eingestiegen war.

      Marina lächelte. Das Mädel hatte frischen Wind in die Praxis gebracht. Die Patienten waren begeistert. Alles schien nach dem Umzug in die neuen Räumlichkeiten gut zu werden. Dann, anderthalb Jahre später die Nachricht, der Vermieter sei seit Monaten nicht auffindbar. Das Desaster nahm seinen Lauf. Damals dachte sie das erste Mal an Selbstmord. Die Lebensversicherung würde alle Schulden decken und es würde sogar noch was übrig bleiben. Sie musste es nur geschickt anstellen. Eine Träne bahnte sich den Weg aus dem linken Augenwinkel über die Wange zum Kinn. Dort blieb sie hängen, bis Marina sie fort wischte. Sie setzte sich auf. All die Mühe und harte Arbeit umsonst. Wäre ihre Familie nicht gewesen, vor allem der kleine Zuwachs, ihr Enkel, wer weiß? Das Bettgestell quietschte, als sie aufstand.

      „Schluss mit Grübeln.“

      11. Oktober 2012

      Sie schaute auf ihre Armbanduhr auf dem Nachttisch. Drei Minuten vor fünf Uhr. Sie beschloss, aufzustehen und wusch sich besonders gründlich, da es keine Dusche gab.

      Marina saß allein im Frühstücksraum der Pension. Es war sechs Uhr zwanzig. Ausnahmsweise hatte die nette Dame, welche sie gestern schon kennengelernt hatte, den Raum eigens für sie aufgeschlossen. Das Frühstück war reichlich, der Kaffee gut. Die freundliche Frau goss unaufgefordert Kaffee nach. Dann setzte sie sich vis-a-vis zu Marina an den Tisch.

      „Haben Sie es sich noch amal überlegt“? fragte sie in ihrem unverwechselbaren Jargon.

      Marina nahm einen Schluck Kaffee. Dann sah sie die Frau lange eindringlich an.

      „Ich fahre. Ich werde einen Krimi schreiben. In Rekordzeit und ohne Qualitätseinbußen. Ich werde Ihnen ein Exemplar schenken, sobald das Buch gedruckt ist. Ich danke Ihnen für die Sorge, die sie sich um mich machen, aber ich bin über Fünfzig und das ist die allerletzte Möglichkeit, aus meinem Leben noch was zu machen.“

      Marina lächelte.

      „Ich möchte mich bei allen erdenklich zeigen, die mir in schweren Zeiten beigestanden haben. Vor allem aber möchte ich die dummen Gesichter derer sehen, die mir den Erfolg nicht zugetraut haben, und sei es nur, weil diese Leute in ihrem Leben nichts zustande gebracht haben und es deshalb auch niemandem aus ihrer Umgebung gönnen.“

      Marinas Gesichtsausdruck hatte beinahe fanatische Züge angenommen. Ein Anflug von Wahnsinn leuchtete in ihren Augen. Die Frau gegenüber wich entsetzt zurück.

      „Ich wünsche Ihnen wirklich alles Glück. Sie werden es brauchen.“

      Dann stand sie auf und verließ schnellen Schrittes den Frühstücksraum. Marina starrte ihr hinterher, bis sie verschwunden war, dann trank sie ihren Kaffee aus.

      Den Rest des Weges fuhr sie vor sich hin, summend und ohne Zwischenfall. Sie hatte das Radio ausgeschaltet, um in Ruhe zu überlegen, wie ihre Geschichte beginnen sollte. Es gab mehrere Varianten. Plötzlich lächelte sie. Das Lächeln blieb wie eingefroren auf ihrem Gesicht, bis sie an eine Lichtung gelangte und in der Ferne das imposante Haus entdeckte.

      So groß hatte sie sich das Gebäude nicht vorgestellt.

      KAPITEL VIER: Das Haus im Wald

      „Was in aller Welt denkt sich diese Frau?“

      Michael und sein Sohn Martin räumten aus der Garage Utensilien, welche noch aus der Praxisauflösung stammten. Vieles war noch in gutem Zustand und die Männer wollten versuchen, einige der Sachen zu veräußern. Martin war ungewöhnlich still.

      „Sag was, Junge!“

      Sein Vater blieb dicht vor ihm stehen. Er war um einiges kleiner als sein Sohn.

      „Was soll ich sagen?“ antwortete Martin schulterzuckend.

      „Ich kann Mama verstehen. Sie hat die ganzen Jahre wie ein Pferd gearbeitet und dann ist alles weg. Wenn wenigstens die Bank rechtzeitig eingelenkt hätte. Aber die haben gar nichts unternommen, den Mädels zu helfen.“

      Er fuhr sich mit der Hand über das Gesicht.

      „Die andern, egal welche Institutionen, sind ebenfalls alle nur auf ihren Vorteil bedacht. Keine Möglichkeit, mit Talent und Fleiß etwas zu erreichen. Mama jagt einem Traum nach.“

      Der stämmige, junge Mann blickte auf seinen Vater herunter. Beide nickten gleichzeitig.

      „Ich habe Angst. Mamas Neurologe hat gesagt, sie müsse sich unbedingt schonen. Weniger körperlich als psychisch. Ein Nervenzusammenbruch reicht doch wohl.“

      Martin legte die rechte Hand auf seine Augen. Er kämpfte mit den Tränen. Er kannte seine Mutter als starke Frau, die einfach alles stemmte und ganz nebenbei immer für ihre Kinder da war. Nun war eben diese Frau nur noch ein Nervenbündel. Der junge Mann nahm seine Hand wieder vom Gesicht. Seine Augen waren rot.

      „Und du weißt wirklich nicht, wo sie ist?“

      Sein Vater schüttelte den Kopf.

      Marina stieg aus dem Auto. Die Luft war klar und kalt. Sie schloss für einen Moment die Augen, sog gierig die Frische des Waldes in sich hinein. Sie schloss den Wagen nicht ab, wozu auch. Auf der Wiese direkt vor dem Haus, standen ein paar grün gestrichene Gartenmöbel. Zwei Stühle