Dunkle Seele Liebe. Fe Mars

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Название Dunkle Seele Liebe
Автор произведения Fe Mars
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738098891



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Schritten, Sonnenflecken tanzten auf dem trockenen Gras und Spatzen hüpften vor uns über den Weg. Ich fühlte mich leicht wie ein Vogel.

      Wir hatten sogar den gleichen Tisch wie am Vortag.

      Justins Mutter war Italienerin, sein Vater Amerikaner. Justin war in den Südstaaten aufgewachsen. Er arbeitete jetzt schon ein paar Jahre als Assistent bei Valentina und lebte seitdem auch bei ihr. Sie war sehr nett, er hatte Glück gehabt, sagte Justin und für einen Moment dachte ich, dass er älter sein musste, als er aussah.

      Ich erzählte ihm dafür vom Schloss, von meiner Großmutter und wie glücklich ich in Rom war. Dass ich hier das Gefühl hatte dazuzugehören, einen Platz zu haben. Dann blickte ich aus Versehen auf die Uhr und bekam einen Schreck. Ich würde wieder zu spät kommen! Für einen Moment überlegte ich, die Schule für heute überhaupt sausen zu lassen, da sprang Justin auf. Er wirkte schlagartig abwesend, die Vertrautheit, die eben noch zwischen uns gewesen war, schien wie fortgewischt. Er setzte an, etwas zu sagen, zögerte. „Ich muss jetzt wirklich”, murmelte er schließlich. „Ciao, bis dann!“ Bevor die Tür noch ins Schloss gefallen war, war er schon die Straße hinunter verschwunden. Als könnte er gar nicht schnell genug wegkommen.

      Ich saß wie betäubt. Was sollte das heißen, bis dann? Er war extra in den Park gekommen, um mich zu treffen, und jetzt … bis dann. Hatte ich irgendetwas gesagt, das ihn verletzt hatte? Ich ließ unser Gespräch Revue passieren, Wort für Wort. Da war nichts, im Gegenteil, wir hatten gerade noch zusammen gelacht. Das musste ja ein wichtiger Termin sein, zu dem er gerannt war … Aber selbst wenn – wieso war er plötzlich wieder so kühl gewesen?

      *

      Er: Was tat er nur hier? Nichts wie weg! Er hatte sie bei Sonnenaufgang aus dem Haus schleichen hören. Hatte einfach hinterher gemusst. Der Gedanke, dass da vielleicht wieder einer von denen auf sie wartete … Es hatte ihm keine Ruhe gelassen. Aber warum war er dann zu ihr gegangen? Er hätte doch einfach warten können. Versteckt. Sie hätte es nicht gemerkt, obwohl sie so aufmerksam war. Warum hatte er sich gezeigt? Es war verantwortungslos, was er tat. Er wusste doch, wie das lief. Er war ja auch einer von ihnen. Natürlich nicht von … denen, das war nochmal eine andere Geschichte, und zumindest war er nicht völlig ohne Skrupel, aber trotzdem … Er musste sich von ihr fernhalten. Er konnte ihr das nicht antun. Nicht ihr. Sie … gefiel ihm. Rührte etwas an in ihm. Mit ihr war er ein anderer. Hatte plötzlich so etwas wie … Gefühle. Es war schön, aber auch bedrohlich. Und er hatte nicht die geringste Ahnung, wie sich das auswirken würde. Ob er das Singen dann noch kontrollieren konnte. Und wenn nicht? Was wurde dann aus ihr?

      *

      Ich stand vor dem Eingang zur Krypta und blickte an der schmucklosen Fassade hoch. Gleich nach dem Unterricht war ich mit der U-Bahn hergefahren. Pino wartete sicher schon, aber ich konnte mich nicht entschließen, hineinzugehen. Ein seltsames Unbehagen hatte sich in mir breitgemacht.

      Kein Wunder! So ein schöner Herbsttag, über dem sich ein Himmel wie Seide spannt, dachte ich. Kein Mensch würde so einen Tag gerne in der zugigen Kälte einer Gruft verbringen, zusammen mit Skeletten und grinsenden Totenschädeln! Aber die Arbeit ist doch spannend, versuchte ich mir selbst Mut zu machen. Und du hattest dich so darauf gefreut.

      Das stimmte, ich hatte mich darauf gefreut und ich konnte viel dort lernen. Außerdem gab es schwerlich einen ausgefalleneren Platz für ein Praktikum und das gefiel mir. Ich fürchtete mich auch nicht wirklich vor den friedlichen verstaubten Kapuzinerknochen, doch ich hatte ein Gefühl von … Gefahr.

      „Da bist du ja!“ Pino sah mich zur Eingangspforte heraus prüfend an. „Alles in Ordnung? Siehst so blass um die Nase aus.“

      „Nur schlecht geschlafen“, murmelte ich.

      „Avanti! Ich muss dir noch ein paar Sachen zeigen, dann kannst du allein weitermachen. Ich geh dann wieder an die Türen.“

      „Aber die Signora? Die ist doch da?“, fragte ich hoffnungsvoll.

      „Nein. Sie hat mir den Schlüssel gegeben, damit wir unabhängig sind.“

      Also würde es wieder ein einsames Arbeiten sein. Mit einem innerlichen Seufzer folgte ich Pino in die Gruft.

      Über eine Schadstelle in der Vertäfelung war bei einem halbherzigen Rettungsversuch einfach ein Stück neues Holz geleimt worden, das ich jetzt in Kleinarbeit herunterstemmen sollte. Dabei konnte ich nicht allzu viel Schaden anrichten, meinte Pino, das würde ich schon schaffen. Später, wenn wir Feierabend machten, würde er dann kommen und die Gruft zusperren. Mit Stemmeisen und Holzhammer bewaffnet, machte ich mich an die Arbeit.

      Das monotone Hämmern mit erhobenen Armen ließ meine Schultergelenke bald müde werden. Zur Erholung nahm ich mir das kleine Stecheisen und kratzte den alten Leim aus den Fugen. Wie still es schon wieder war! Ich begann vor mich hin zu summen, brach aber schnell wieder ab, da meine Stimme so dünn und einsam klang. Beklommen blickte ich in den leeren Gang. Mit einem Mal fühlte ich mich beobachtet. Ich warf einen Blick über meine Schulter. Nichts.

      Trotz der Kühle des Gemäuers spürte ich eine leichte Schweißschicht auf meine Stirn treten. Mein Unbehagen war inzwischen fast mit Händen zu greifen. Ich ertappte mich dabei, dass ich angestrengt lauschte. War da etwas? Oder wartete ich nur darauf, dass irgendein menschlicher Laut aus dem Kloster oder von der Kirche zu mir herunterdrang? Wunschhorchen, dachte ich und hämmerte weiter. Pausierte. Hämmerte. Pausierte.

      Was war das? Ich horchte auf. Ach, nichts. Dabei hätte ich schwören können … Ich hob das Stemmeisen, setzte es an … Da! Jetzt hatte ich es deutlich vernommen. Ich war nicht die Einzige, die hier klopfte. Toktok … Ein feines Pochen. Ich lauschte wieder. Stille. Vielleicht … Ich hämmerte gegen die Wand, brach ab … Da! Es klopfte zurück. Als würde mir jemand antworten, würde versuchen, mit mir Kontakt aufzunehmen. Wieder klopfte ich und wieder klang das leise Toktok zurück. Mit gespitzten Ohren ging ich den Gang entlang. Das Pochen pausierte, fing wieder an. Es kam … von dort unten? Kalte Luft wehte von den Katakomben herauf. Und … war da wieder das Singen? Die Musik? Kam das etwa auch von dort?

      Nein, nie im Leben würde ich da hinunter gehen! Allein in die Katakomben! Obwohl … Ich horchte. Da, wieder diese Musik! Gesang? Lauschend neigte ich den Kopf. Nichts. Oder war es möglich, dass ich das Singen nicht hörte, sondern … spürte? Fast kam es mir so vor. Hier war ein Lichtschalter. Ich drückte ihn hinunter. Eine nackte Glühbirne baumelte an einem Kabel von der Decke, erleuchtete ausgetretene, rohe Steinstufen. Sie führten gerade hinunter. Unsicher setzte ich einen Fuß auf die oberste Stufe. Wieder dieses Singen. Wie es mich anzog! Fast ohne es zu merken, war ich am Ende der Stiege angelangt. Unschlüssig blickte ich mich um. Ein schmaler gemauerter Gang, der Boden aus festgestampftem Lehm, führte weiter, vorne hing noch eine Glühbirne. Über mir konnte ich nach wie vor das Rechteck des leeren Türrahmens sehen und das helle Licht der Spots. Einigermaßen beruhigt blickte ich in den Gang. Ein Stückchen weiter konnte ich wohl noch gehen, jetzt, wo ich schon mal hier unten war. Oder sollte ich lieber warten, bis Pino kam, und mit ihm zusammen …

      Toktok! Jetzt klang es viel lauter. Kamen eigentlich Touristen hier herunter? Ich wusste gar nicht, ob es irgendwo anders noch einen Eingang zu diesen unterirdischen Begräbnisstätten gab. Vielleicht hatte sich jemand hier verlaufen und wartete verzweifelt auf Hilfe! Entschlossen ging ich weiter.

      Bis jetzt konnte ich nur Nischen entdecken, roh in den Stein gehauen, keine Gräber. Auch der Lehmboden war in Stein übergegangen. Totenstill war es hier. Ich lauschte, dann klopfte ich gegen die Wand. Nichts. Der Fels verschluckte jeden Laut. Wie konnte ich dann dieses merkwürdige Pochen gehört haben? Da vorne, unter der nächsten Glühbirne, schien eine Kreuzung zu sein. Ein Gang mündete seitlich ein und lief in die entgegengesetzte Richtung weiter. Bis dahin würde ich noch gehen und dann umkehren. Auch von dem seltsamen Singen war nichts mehr zu hören.

      Der neue Gang führte rechts steil nach unten. Hier waren Stufen in den Stein gehauen und ein leichter Luftzug wehte herauf. Er roch feucht und ein wenig modrig. Waren dort vielleicht die Grabnischen? Irgendetwas an dem Geruch …

      Ich wurde unruhig. Erneut fühlte ich mich beobachtet. War da jemand? Hinter mir?