Название | Er und die Anderen |
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Автор произведения | Siegfried Liebl |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783738024579 |
Er erinnerte sich in solchen Momenten an seine eigene Kindheit und Jugend, als er noch frei in der Natur spielen konnte und an später, als er die Dikta-tur und den pragmatischen Kommunismus der katholischen Internatsbe-treiber erdulden musste.
Alles fließt so schnell. Jetzt waren beide Kinder in der Folgeeinrichtung dieser Geisteshaltung und sahen, mit welch lauem und verkalkten Wasser gewaschen wurde. Lehrermangel, zerstörte Armaturen und Einrichtungs-gegenstände gehörten hier genau wie auch an Staatschulen zur Tages-ordnung. Ein heterogenes Kollegium und Intrigen, die bis zum psychischen Zusammenbruch einzelner Lehrkräfte führten, waren in den Hallen ohne Ecken, die meist hellblau oder rosa leuchteten ( Anthroposophie mit gefliesten Wänden geht gar nicht), heimisch. Ein Atheist hatte ihm vor Jahren einmal gebeichtet: „ Merk Dir, mein Freund, in einem Haus, in dem viel gebetet wird, geht der Teufel ein und aus“. Seine Frau hielt trotz Zweifeln an ihrem Ideal fest, denn es sollte nicht sein, was nicht sein durfte.
Die Zirkusveranstaltungen waren sensationell, das Training der Hirn-Synapsen durch regelmäßiges Jonglieren und die pädagogischen Einstiege in den unteren Klassen waren vielversprechend, aber dies alles blieb im Laufe der individuellen Entwicklung dieser Kinder irgendwann in der Mittelmäßigkeit oder gar im Dilletantismus stecken. Was nützt es einem Jugendlichen, wenn er auf sogenannten Monatsfeiern minutenlang auswendig im Gruppenverbund französische oder englische Texte zu rezi-tieren versteht, von der jeweiligen Sprache aber keine Ahnung hat? Man tritt ein ins Rosentor und verlässt die Schule wieder durchs Rosentor. Möge unser Leben auch auf Rosen gebettet sein, und wollen wir dem lieben Gott einst in der ewigen Monatsfeier ein paar Schmankerl vortragen, auswendig versteht sich!
Sollte er die vielen Anhänger dieser Lehre beleidigt haben? Den Stein(er) des Anstoßes für das Pamphlet gab ihm sein anarchischer Bauch und der war jetzt satt, mit oder ohne Bioprodukten.
P.S. Der Klassenlehrer seines Sohnes hat weiterhin sein vollstes Vertrauen.
6. Pit (Ragtime)
Pit war schon immer ein Lebenskünstler, ein genialer Autodidakt mit Hang zur Bequemlichkeit, übermäßiger Nahrungsaufnahme und -last but not least -zu ausschweifenden sexuellen Ambitionen. Er war von ihm eines Tages angerufen worden, denn er benötigte für eine Live-Produktion eines Radiosenders einen versierten Pianisten, der mühelos vom Blatt spielen konnte. Da an Ort und Stelle ein Flügel stünde, könnte er mit Pits Gefährt, einem mittelalten Mercedes mit überdimensionalem Lenkrad mitfahren. Pit hatte damals noch Lockenhaare, die noch nicht grau waren; er, der leicht übergewichtige Entertainer erzähl-te permanent Witze. Ein Mensch, der ständig Witze erzählt gleicht einem Wesen, das ständig Schnupfen hat; man sucht irgendwann die Distanz, um nicht unnötig krank zu werden. Originelle, ja einzigartige Fähigkeiten hatte Pit im Verfassen von gereimten Geschichten.
Es gab über ihn viele Geschichten zu erzählen, wie z. B. von der Zeit, als er mit wechselnder weiblicher Belegschaft sein legendäres Hexenhaus in S- Botnang bewohnt hatte. Man muss sich dabei ein kleines Abbruchhaus inmitten moderner Wohnsilos vorstellen. Als der Pianist ihn einmal dort besuchte, fragte er nach etwaigen Hunden oder Katzen, weil so viele leere Lebensmitteldosen in der Küchenspüle lagen. Pit hat sich immer das momentan notwendige für sein Lebensglück genommen; und Pit war immer glücklich oder zumindest guter Laune. Seine Einladungen wurden großspurig angekündigt, aber mangels Finanzen und wegen seines pathologischen Geizes degenerierten seine Tee-Parties zu billigen Mitropa-Veranstaltungen. Er hätte ein guter Schwabe sein können, aber er stammte aus Mitteldeutschland. Sein Vater, ein Textil-Ingenieur wurde nach 45 von den Russen verschleppt, interniert und schließlich liquidiert. Pit war damals gerade 14 und musikalisch. Ein paar Jahre später wagte er ohne Vorschulung die Aufnahmeprüfung an die Georg Friedrich Händel Hochschule für Musik in Halle a. d. Saale, wo er auf seinen späteren Spezi Horst traf. Dem Prüfungsgremium spielte er auf dem Klavier den alten Schlager vom „Theodor“, der im Fußballtor stand, vor. Die Herren Professoren nahmen dies schmunzelnd zur Kenntnis und erlaubten ihm, ein Studium in den Fächern Klavier, Kontrabass und Tuba zu beginnen.
Seine Erzählungen in Sachen „ menage à trois“ waren spannender als der „Tango von Paris“, und so konnte er sich mit permanenter guter Laune und Berliner Chutzpe gesellschaftlich immer über Wasser halten. Er lebte Brutto wie Netto, also von der Hand in den Mund. Eines Tages rief er den Pianisten an und verkündete freudig, dass er 100Tausend Euro im Lotto gewonnen hätte; seine Info sei aber mit dem Siegel der Verschwiegenheit zu behandeln. Wochen später wusste der ganze Freundeskreis Bescheid, da er jedem dieses Geheimnis anvertraut hatte, exklusiv versteht sich.
Unvergessen bleibt eine Sylvester-Mucke in Kitzbühel, wo Pit mit einem Septett in einem Schicki-Micki- Hotel auftreten sollte und der Münchener Party- und Geld-Natz zu Diensten sein sollte. Unglücklicherweise war ganz Kitzbühel ab November an Betten ausgebucht, doch Pit meinte, die Musiker sollten in ihren PKWs übernachten. Dieses Ansinnen brachte die Frau des Pianisten auf die Palme. Sie telefonierte zusammen mit ihrer Arbeitskolle-gin- beide waren in einem Mahn-Büro tätig- alle Ortschaften mit Übernachtungsmöglichkeit im Umkreis von 50km rund um den Veranstaltungsort ab und wurde nach Stunden fündig. Pit, dessen Aufgabe dies eigentlich gewesen wäre, war unterdessen wieder einmal auf einem seiner alljährlichen Billigurlaube mit Sonne und Meer und all inklusive (auch billigen Frauen) und hatte sich bei einem Schnellboot-Ausflug das Becken geprellt, da ihn eine Welle einen Meter freischwebend rücklings vom Sitz hochkatapultiert hatte. Bei allen Mucken mit Pit musste man mit einem Haken rechnen.
Er war auch ein Meister im sogenannten Abkochen. Die Gagen wären eigentlich gut gewesen, hätte Pit nicht von jedem seiner Musiker den einen oder anderen „Hunni“ im Vorfeld abgegraben. So kursierte der Witz, dass ein Hummer beim Abkochen in Unterschied zu Pit rot anlaufen würde. Er, dieses Mal nicht faul, rächte sich an allen, die ihn damit konfrontierten mit einem variierten Götz-Zitat: „ Der Unterschied zwischen einem Schneemann und mir? Den Schneemann kann man nur im Winter, mich kannst Du aber das ganze Jahr am Arsch lecken“! Es folgte dann ein wochenlanges Zerwürfnis beider, das von einem neuerlichen Engagement unterbrochen wurde. Man brauchte sich gegenseitig und Pit verlor nicht gern einen Freund. Den Pianisten kümmerte dies kaum, denn er war hauptberuflich Staatsbeamter und hatte im Gegensatz zum Bass spielenden Pit ein festes monatliches Einkommen. Solange jener mit seiner Combo im Fernsehen eine abendliche Show für ein deutsches Millionen-Publikum begleiten konnte, floss der Rubel; aber der Showbiz hat einen Januskopf.
Der absolute Clou in den Erinnerungen des Pianisten war Pits 66. Geburtstagsfeier in einem Gewächshaus in S-Feuerbach. Sein Freund Siegi, der Gärtner, ein schnauzbärtiger, nikotinvergilbter und vom Leben mit allerhalb Narben gezeichneter dürrer Mann mit allzeit verfetteten Haaren, hatte dazu eingeladen. Statt Geschenken sollte jeder das mitbringen, was Pit am liebsten hätte: eine Frau? Nein, Fressalien natürlich. So waren neben Blumenkästen mit welken Geranien und zerstreuter Erde Baguettes, gebeizter Lachs vom Aldi, diverse Salate und ein ganzer gekochter Schinken an den gläsernen Wänden drapiert. Es sollte auch noch Maultaschensuppe geben, aber dazu später. Der Pianist und seine schwangere Frau wurden im Hof des Anwesens von einer verschmusten und versüfften Katze, die wahr-scheinlich von einer tödlichen Krankheit gezeichnet war und im Maul eine Maus spazieren trug, begrüßt. Im Gewächshaus waren schon die Gäste und Freunde, wie der legendäre Benny, der wie sein kleiner Bobtail aussah; dieser schleppte ständig einen identisch aussehenden Stoffhund mit sich herum. Sein Herrchen warf jenen dann immer wieder in der Gegend herum, ganz zur Freude seines verspielten Vierbeiners. Ein ehemaliger Fabrikbe-sitzer für Schmierseife gehörte auch zu den Anwesenden. Er war zusammen mit seiner viel jüngeren polnischen Frau, die sich als Künstlerin in Body-Painting versuchte, gekommen. Sie hatte ihm vor Wochen von einer ausge-brochenen Schwangerschaft erzählt, was den mit Seide bekleideten Herrn sichtlich stolz und gesprächig machte. Jahre später platzte durch Zufall die Bombe ,und es stellte sich heraus, dass der Kuckuck bei der Zeugung einst Pate stand. So ließ man sich in der Folge scheiden, und er lebt heute mit einer gleichaltrigen ungarischen Dame, einer Klavierlehrerin, im Ostalb-Kreis zusammen und ist endlich….glücklich.