Curry, Senf und Ketchup. Friedrich Wulf

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Название Curry, Senf und Ketchup
Автор произведения Friedrich Wulf
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847672227



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Zippel“, er reichte ihr seine Hand, die ihn in ihre Kindheit zog. Ein Kinderbuch. Der erste Satz: „Zippel und Zappel waren zwei Zwerge.“

      „Wo ist Josephs?“, rief Frauke dazwischen.

      „Musste weg.“

      „Weshalb?“

      „Seine Tochter stand in Flammen.“

      „Was, schon wieder? Glaubt ihm doch sowieso keiner mehr.“

      „Wer vertritt ihn?“

      „Die Miller.“

      „Scheibenhonig!“

      „Aber du warst doch auch zu dem Seminar.“

      „Eben.“

      „Was? War die Miller auch dort?“

      „Jaja, ich meine, nein nein, so ein Typus wie die Miller halt.“

      „Auch zu gescheit für die Ruhe der Leute?“

      „Ja.“

      Clarissa erinnerte Max an seine Schwester. Es waren nicht die Augen, auch nicht die schnuppernde Kräuselung der Nase, es war ihr Ballerinen-Hals.

      Clarissa versteckte ihn in Rollis, so gut es ging. „Giraffenhals“, hatte ihre Mutter sie gerufen. Niemand hatte besser verletzt als ihre Mutter, niemand hatte sie stärker gemacht.

      „Warten Sie, bevor wir zum Vergewaltiger gehen, ich muss mal eben, einen Moment. Warte mal.“

      „Ist er schon überführt?“

      „Nein, wieso?“

      „Wegen Vergewaltiger“, sagte Clarissa.

      „Ja, ich bin sofort zurück.“

      Clarissa hatte sich den Kommissar anders vorgestellt, älter oder nicht so in Schale. Seine Augen waren ihr sofort aufgefallen oder die Mundwinkel? Da war etwas mit seinen Augen, die vor ihr anhielten, als würden sie sich entzünden, wenn er sie mit seinen Augen berührte. In den Mundwinkeln zuckten immerzu diese Spitzbubenfältchen. Und seine Schuhe, erstaunlich! Ein Kommissar mit handgemachten Schuhen, wahrscheinlich aus England.

      „August, ist der zweite Wagen fertig?“, fragte Max seinen Kollegen vorm Bildschirm.

      Wenn August an einem Bericht arbeitete, verfasste er einen Bericht und knabberte Erdnüsse dazu. Solange er nicht fertig war, wanderte sein Blick vom Blatt auf seinem Schreibtisch zum Monitor und wieder zurück. Ohne Unterlass. Lasst mich in Frieden!

      „Ist der zweite Wagen wieder fertig?“, rief Max.

      Die Meinungen im Büro waren gespalten. Die eine Fraktion meinte, August sei so konzentriert bei der Arbeit, dass er die erste Frage niemals hörte, weshalb jede zweimal gestellt werden müsste, dagegen war die Mehrzahl der Kollegen der Meinung, er wäre nur etwas langsamer. Freundlichere Zeitgenossen nannten es „gründlicher“.

      „August, ist der zweite Wagen wieder fertig?“

      Ohne vom Bildschirm aufzusehen, fragte er: „Was für ein Wagen?“

      „Das Sternbild.“

      Unbeirrt klackerte die Tastatur.

      „Der zweite Wagen, ist er fertig?“, fragte Max. „Fertig, der Wagen, meine ich.“

      Schon wieder dieser Baum, dachte Max Berger, als er mit Clarissa den Befragungsraum verließ. Überall hingen jetzt diese Plakate mit so einem Prachtbaum, der für sich selbst Reklame zu machen schien. Bäumen war nicht zu trauen, sie hatten eine Tendenz sich nachts zu verstecken.

      Clarissa blickte sich schnell um, ihrem Gespür folgend alle Blätter hätten ihr hinterher gestarrt und nachgezwitschert. Jetzt taten sie, vollkommen unschuldig. „Und“, fragte Max, „was halten Sie von seiner Geschichte?“ Ich würde ihn sofort kastrieren, dachte Clarissa, sagte aber: „Ist ein arroganter Gorilla.“

      „Und hat er sich widersprochen?“

      „Ich glaub ihm nicht, aber widersprochen, nein. Das nicht. Aber die Motive, die er der Frau unterstellt, weshalb sie ihn angezeigt hat, das ist doch erbärmlich“, sagte Clarissa.

      „Halten Sie nicht für plausibel?“, fragte Max.

      „Könnte schon sein, ja schon, aber das ist einer, der so was erfindet.“

      „Und erfinden Sie nicht gerade einen Vergewaltiger?“, fragte Max.

      „Sie meinen, er war es nicht?“

      „Wir brauchen die Version des Opfers. Wir müssen Erzähllogik und Handlungslogik vergleichen“.

      „Ja natürlich“, sagte sie. „Erzähllogik und Handlungslogik“, was er damit meinte, war ihr ein Rätsel. Und so waren es die letzten Worte, die Clarissa nach dem ersten Tag mit in den Schlaf nahm, während sich seine zwitschernden Mundwinkel auflösten.

      Drei

      Max schloss die Augen. Wieder hatte er es nicht geschafft. Die Wasserstrahlen prasselten in sein Gesicht, doch den Moment der perfekt gerundeten Perlen hatten seine blöden Augen nicht mitbekommen. Seit er die Filmszene gesehen hatte, trainierte er das Kunststück. Ein Kommissar stand unter der Dusche, hob den Blick und aus dem Duschkopf quollen Wasserperlen, dann die Kamerafahrt ins Gesicht, die geschlossenen Augen, das rinnende Wasser.

      So sehr Max sich bemühte, seinen Augen die extreme Zeitlupe beizubringen, ein paar Jahre würde er dazu wohl noch benötigen. Nicht allein des ästhetischen Reizes wegen, auch in seinem Job wäre der genaue Blick von Vorteil. Doch der hübsche Perlenspuk war natürlich nur ein technischer Zauber und gehörte eben zum Privileg der Medien mit Bildern zu lügen.

      Die Augen noch immer geschlossen, hielt Max sein Gesicht in die Brause, bis die gespannte Stirn weich und geschmeidig wurde, herabtropfte und im Abfluss davon gurgelte. Ohne Dusche wäre das Leben ein Irrtum, dachte er mit ironischen Fältchen in den Mundwinkeln.

      Mit einem Ruck drehte Max seinen Rücken ins Wassergeprassel. Er wollte das Bild nicht mehr sehen, aber es hatte die Drehung mitgemacht: Blut und Fleischfetzen in der zerbombten Pizzeria. Am Abend nach dem Attentat hatte seine Schwester am Telefon gelacht: „So schlimm ist es nicht, wirklich nicht. Das sind nur deine Vorstellungen und die Medien, die blähen alles auf. Das weißt du doch, die Medien lügen. Ich fühle mich sicher.“ Max rieb den Schrecken aus seinen Augen. Die Medien ja, die logen, aber nicht die Bomben.

      Das Hirn ist immer nur fähig eine Vorstellung zu halten, sagte er sich und hörte den kehligen Gebetsruf auf dem Basar in Damaskus. Doch wohin er seine Fantasie auch schickte, die Schreckvisionen verfolgten ihn, ungebeten, ungerufen, überraschend. Auch in seine Nachtstunden blitzten die blutigen Bilder. Er wunderte sich aber auch über sich selbst, das Vergessen nicht lernen zu können. Und immerfort am Vergangenen zu hängen: Mochte er noch so weit, noch so schnell laufen, die Kette lief mit. Es war ein Wunder: der Augenblick, im Husch da, im Husch vorüber, vorher ein Nichts, nachher ein Nichts, kamen die Gedanken doch noch als Gespenster wieder und störten die Ruhe eines späteren Augenblicks. Fortwährend fielen Bilder aus den Alben der Zeit, flatterten fort - und flatterten plötzlich wieder zurück, ihm in den Schoß. Beneidenswert das Tier, es frisst, es weiß nicht was gestern, was heute war, läuft umher, ruht, verdaut, frisst wieder und so vom Morgen bis zur Nacht und von Tag zu Tag, kurz angebunden mit seiner Lust und Unlust, nämlich an den Pflock des Augenblicks, und deshalb weder schwermütig noch überdrüssig.

      Mit geradezu teuflischer Heimtücke ergriff sein Hirn jeden beliebigen Eindruck, um ihn mir nichts dir nichts mit den Gefahren für seine Schwester in Israel zu verbinden. Vom herbstlichen Regen sprang seine Angst zu Monika in die noch immer sommerwarmen Gassen, durch die Menschen sich drängten. Nicht mehr so viele, aber noch immer viel zu viele. Am harmlosen Bus konnte Max nicht vorbeigehen. Seine Fantasie ließ sofort Scherbenwolken vor seine Füße klirren. Ein Lieblingssong im Radio und schon war er schweißnass. „The room was humming harder as the ceiling flew away…”