Название | Curry, Senf und Ketchup |
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Автор произведения | Friedrich Wulf |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783847672227 |
„Wieso?“
„Jetzt halten Sie doch schon.“
„Was ist denn?“, fragte Max.
„Dort kucken Sie!“
Ein Punk oder ein Rocker oder sonst ein Clown mit gepanzerten Stiefeln trat die Fensterscheibe eines Juweliergeschäftes ein. „Besser Panzerglasscheiben als zerbrechliche Köpfe“, sagte Max. „Da müssen wir doch!“ Clarissa blickte Max an, machte die Tür auf. „Warten Sie, wir sind Mord. Wollen Sie den Kollegen die Chance vermiesen, sich auszeichnen zu können?“ Solange der den aufgebrachten Juwelier nicht erschoss, solange war ihm das schnuppe. Max war zwar nicht mit allen ideologischen Weihwassern der Sechziger und Siebziger gewaschen, doch bei dem Juwelier glitzerte der Kapitalismus besonders vorwitzig. „Das glaube ich jetzt nicht“, sagte Clarissa, die abwechselnd Max anschaute und dann wieder über die Schulter zum Schaufenstertreter.
In solchen Lagen konsultierte Max seine Fehlprägung aus dem Jahre 1968. Ohr oder Nase?
„Hier“, sagte er, „Nase, und wir lassen den Punkrocker laufen oder Ohr, wir holen ihn uns.“ Die Nase fiel, sie fuhren davon. Später erschlug der Punkrocker den Juwelier, wurde von einer Streife gefasst und brummt jetzt seine Strafe ab. Bergers Gewissen blieb unbelastet, denn eingespannt in seinen eigenen Fall, bekam er nichts davon mit. Der Zufall entlastet, der Zufall belastet, dieses Mal meinte Frau Fortuna es gut mit ihm.
Ermittlungszeiten waren nicht nur die schwersten Zeiten, sie erleichterten auch, weil sie die Wahrnehmung veränderten, weil seine Horizonte sich verschoben. Max schluckte eine Pille, sein kleiner Helfer. Was ihn eben noch bedrückte, rückte in den Hintergrund oder kribbelte irgendwo am Rande weiter. Die Aufklärung und die Verhinderung eines weiteren Mordes waren im Augenblick das drängende Thema seines Bewusstseins, eingebettet in seine Grübeleien, wie er die nächste Beförderungsstufe nehmen konnte.
Egal wie sehr die Lösung des Mordfalles in den nächsten Wochen oder Monaten seinen Horizont auch bestimmen würde, immerzu lauerte in irgendeinem abgelegenen Winkel seines Hirns die Angst um seine Schwester. Die Angst war ein immer agiles Monster, jederzeit bereit ihm in den Nacken zu beißen, wenn sein Bewusstsein erschlaffte.
Über den Gedanken, der Mörder könnte jederzeit wieder morden, verblassten die Sorgen um seine Schwester und über die Sorgen um seine Schwester vergaß er zeitweilig die Gefahr, die vom Mörder ausging.
Aber der Mord bot auch eine Chance. Ein rasch gelöster Fall war die beste Voraussetzung, mal wieder auf sich aufmerksam zu machen. Aufstieg durch Leistung und Erfolg, so sollte es sein, nicht durch Taktieren und Lavieren. Kein Bühnenspiel vor den Vorgesetzten. Ihn ekelten Kollegen, die krochen.
Eine Zeit lang war Max in keine Pizzeria mehr gegangen und schließlich war er auch nicht mehr an Pizzerien vorbeigefahren. War absurd. In Paderborn war der Tod kein Dauergast in Restaurants wie in Jerusalem. Der Mensch gewöhnte sich eben nicht an alles, sondern das Unbewusste war unablässig tätig wie ein grabender Maulwurf.
Mit dem meistgefürchteten Anruf wäre er mit einem Mal von den Ängsten um seine Schwester befreit. Ein entsetzlicher Gedanke. Mit dem Tod der Schwester würde das Leben wieder leichter, keine Frage, nicht sofort, aber auf die Dauer gesehen. Keine Angst mehr, weil der Grund fehlte. Schauderhaft!
Zwölf
Was Max’ Kollegen zu berichten hatten, war genauso unerfreulich. Am Tatort nur Spuren, die von jedem stammen konnten. Einfach nichts Besonderes, Fassbares, Eindeutiges, nichts von dem sie hätten sagen können, das gehört nicht hier her, könnte vom Täter stammen.
Tief frustriert war Max am späten Nachmittag auf der Suche nach Zerstreuung, dachte an seine Pillen, sagte sich jedoch, ein halbblinder Kommissar ist eine Unmöglichkeit, wenn er auch noch drogenabhängig ist, taugt er nur noch für zweitklassige Fernsehkrimis, wo die unglaubwürdige Macke zum Qualitätsmerkmal stilisiert wird.
Sei also vernünftig und verstecke deine Gedanken an Moni irgendwo ganz hinten im Kopf, irgendwo unauffindbar in einem abgelegenen Hirnwinkel.
Für Gisbert in seiner Kneipe war es noch zu früh und zu Hause würde er grübeln und brüten, also machte er sich auf die Suche nach dem neuen Antiquariat, von dem ihm Frauke Fraukensteg erzählt hatte.
Das Antiquariat von Bernhard Schwarz lag in einem Eckgebäude am Marktplatz im Schatten des Domes, wenn die Sonne jemals im Norden stünde. Kein Wunder, dass Buchgeschäfte eine Vorliebe für Straßenecken hatten, denn Bernhards Geschäft lief großartig. Ganz gegen die Absicht seines Besitzers. Das Schaufenster war von unscheinbarer Größe; kleine Spiegel brachten Leben in die Auslage, die aussah, als habe der sprichwörtliche Elefant sich im Laden geirrt. Auf einem Buchhaufen lag ein fetter schwarzer Lederband. Auf dem Buchrücken glühten goldene Buchstaben: „Max Berger, Gesammelte Gedichte“. Max rieb sich die verlogenen Augen und las: „Max Heger, Gesummte Geschichten“. Nach dem zweiten herzhaften Reiben hatte sich der Titel noch immer nicht verändert: „Gesummte Geschichten“. An den Rand eines kunterbunten Suhrkampberges schmiegte sich ein zartes Rilkebändchen und auf einem kippeligen Stapel thronten Rühmkorfs Gedichte.
Bücher, Bücher! Einstweilen waren sie gebannt, die blöden Gedanken ans Wüten der Mörder hier und der Massenmörder da unten bei seiner Schwester. Ein forscher Druck auf die Klinke und Max stand still und starr auf der Schwelle. Ein schriller Schrei erscholl aus der Tiefe des Raumes, ein Todesschrei. Ein Kunde stürmte auf ihn zu schubste ihn beiseite, ohne Entschuldigungsformel, ein rabiater Rohling, der aus dem Buchladen hastete wie auf der Flucht.
Der Laden hielt, was das Fenster versprochen hatte: Kunterbuntheit. Kindliches Drunter und Drüber.
Jenseits einiger Bücherhügel stand ein Schreibtisch, über dem ein strähniger Mopp in blauem Rauch schwebte. Der Mopp wurde lebendig, erhob sich kurz, bekam Augen und sackte gleich wieder in seine haarige Position zurück. Zu ruck zuck kam das Zurücksacken für das kalkige Gesicht, so dass es für ein Momentchen noch im Qualm hängen blieb, sich dann aber auflöste und dicht über dem Buch wieder materialisierte.
Länger als eine Sekunde würde Bernhard Schwarz auch nicht aufblicken, wenn sein Laden in Flammen stünde. Wozu hatte er einen Buchladen? Um zu lesen. Nicht um Feuerwehrmann zu spielen. „Männi“, hätte er gerufen, „Männi, mach das Feuer aus, irritiert mich beim Lesen.“
Wenn im Fenster sieben Bücherkisten ausgekippt worden waren, dachte Max, dann hatten hier sieben Lastwagen ihre Bücherfuhren von der Ladefläche rutschen lassen. Hier konnte seine Freude am Finden und Entdecken sich austoben.
Bücher über Bücher, was sonst? Max stand schließlich in einem Eckbuchladen. Anders als bei ihm zu Hause, wo die Bücher geordnet in Regalen standen, häuften sich die Werke nicht nur auf Tischen, sondern ganz dem Prinzip Zufall verpflichtet, wuchsen Bücherhaufen aus dem Boden, versperrten Durchgänge zwischen Tischen, auf denen weitere Stapel immerfort nach dem Pisa-Prinzip umkippten.
Der Mopp las und rauchte, rauchte und las, wenn er nicht seinen beiden anderen Lieblingsbeschäftigungen nachging: Trinken und Menschen beschimpfen, von denen er so viel hielt wie Schopenhauer, nein, eigentlich hundertmal weniger. Wann immer Bernhard eine Gelegenheit fand und er war findig darin, zeigte er ihnen seine Geringschätzung. Bernhards Einteilung war simpel: Es gab entsetzliche Menschen und abschaffungswürdige und in eine der beiden Kategorien fielen alle seine Kunden, a priori.
Max griff in schneller Folge zu und fand auf dem ersten Tisch Kochbücher, Krimis, Potter, Grass, „Das Prinzip Hoffnung“ und „Sex and the City“. Was er nicht finden konnte, war ein Ordnungsprinzip. Er klappte eine Schwarte auf und las: „Ein junger Mann“, sagte König, als er mit Margot um die Ecke bog, „verlor einen diamantbesetzten Manschettenknopf auf dem blauen Ozean und zwanzig Jahre später, am gleichen Tag, offenbar ein Freitag, da speiste er einen großen Fisch, aber es fand sich kein Manschettenknopf darin. Das liebe ich an Zufällen.“ Max kannte den Roman von Vivian Darkbloom und war glücklich, zufällig diese Stelle aufgeschlagen zu haben. Max legte das Buch zurück. Der Stapel polterte auf die Dielen.