Doppelte Fährte. Günther Tabery

Читать онлайн.
Название Doppelte Fährte
Автор произведения Günther Tabery
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738067880



Скачать книгу

mindestens jedes zweite Los ein Hauptgewinn war. „Oh, nein. Schau mal Rainer, er hat den Hauptgewinn! Das kann doch nicht möglich sein!“, erinnerte sich Martin und lachte bitter. Und dann diese Duzerei in dem Hotel. Das war im Grunde sehr unhöflich gewesen. Sie hatten seine Privatsphäre verletzt. Irgendwie hatte die ganze Geschichte seiner Meinung nach etwas von einer Sekte. Diese herausgeputzten Frauen und Männer. Alles war sehr rein und nobel und im Grunde klang es eher nach Gehirnwäsche, was dort veranstaltet wurde. Nein, seine wahren Vermögensverhältnisse wollte er auf keinen Fall preisgeben und erklären, wie viel er für einen Urlaub ausgeben würde. Der Mann hätte dann sicher eine Rechnung aufgemacht und versucht, Martin etwas Krummes anzudrehen. Als ob es sein Wunsch gewesen wäre sich dieses Hotel anzuschauen. Fast schon beleidigt war der Mann, dass Martin kein Interesse gezeigt hatte. Das war ein unmögliches Verhalten!

      Das Auto fuhr in die Innenstadt von Heidelberg. In wenigen Minuten mussten sie wieder am Karlsplatz sein. Sie bogen in die Karlstraße ein. Martin schaute gedankenversunken aus dem Fenster und ärgerte sich über seine eigene Dummheit. Plötzlich verließ das Auto die rechte Fahrspur und steuerte augenblicklich auf die an der Gegenfahrbahn parkenden Autos zu. Martin schrie den Fahrer an und das Adrenalin stieg in seinem Körper empor. Aber der Fahrer reagierte nicht. Martin, der hinter dem Beifahrersitz saß, rüttelte ihn, doch nichts geschah. Das Auto raste ungebremst in die parkenden Autos am Straßenrand. Martins Augen waren weit aufgerissen, dann wurde es schwarz und still um ihn.

      2

      „Er kommt zu sich“, hörte Martin eine weit entfernte Stimme. Er erkannte sie. Veronika beugte sich über ihn und hielt seine rechte Hand. Sogleich waren eine Krankenschwester und ein Arzt zur Stelle. Martin kam langsam wieder zu sich und erkannte seine Umgebung. Er lag im Universitätsklinikum Heidelberg in der Notaufnahme. Er verspürte ein Stechen im Kopf. Seine rechte Schulter war verbunden und sein Körper fühlte sich matt an. Er konnte sich nur schwer bewegen.

      „Was ist passiert?“, flüsterte er mit schwacher Stimme.

      „Du hattest einen Autounfall.“

      Martin stöhnte.

      „Aber du hattest Glück im Unglück. Am Kopf hast du eine Platzwunde und du hast mehrere Prellungen und Schürfwunden an Schulter und Armen. Die Wunden wurden bereits versorgt.“

      Sie streichelte ihm über den Kopf. Martin blickte ihr in die Augen. „Ich habe unheimliche Kopfschmerzen.“

      „Du musst auch hier über Nacht zur Überwachung bleiben. Wahrscheinlich hast du eine Gehirnerschütterung. Wenn es dir morgen besser geht, dann darfst du nach Hause gehen.“

      „Aber was ist passiert?“ Martin konnte sich im Moment nicht an das Vorangegangene erinnern.

      „Später wirst du dich wieder erinnern und dann kannst du mir alles erzählen. Das ist jetzt nicht so wichtig, ruh dich erst einmal aus.“

      Er schloss die Augen und fiel in einen tiefen Schlaf.

      Am nächsten Morgen saß Veronika bereits neben ihm am Bett. Er öffnete die Augen und blickte sich um. Offenbar teilte er sich das Krankenzimmer mit zwei weiteren Patienten.

      „Armin und Daniel sind gerade in der Cafeteria. Sie haben Besuch.“ Veronika nahm seine Hand. „Und wie geht es dir heute?“

      „Ich weiß nicht. Ich denke, mir geht es etwas besser.“

      „Hast du noch starke Kopfschmerzen?“

      Martin fühlte in sich hinein: „Nein, ich habe fast keine Schmerzen. Außer die Schulter, die tut sehr weh, wenn ich mich bewege.“

      „Das ist gut. Wenn du keinen starken Schwindel hast, dann nehme ich dich heute vielleicht schon mit nach Hause, wenn sie dich entlassen. Im Fotostudio habe ich dich erst einmal krank gemeldet. Alle sind sehr schockiert.“

      Nach einer Pause fragte sie: „Kannst du dich wieder erinnern, was gestern Abend geschah?“

      Martin blickte an die Decke. Ihm kamen Bilder in den Sinn: Er sah Ute vor sich und den aalglatten Verkäufer und die drei Sonnen. Ein bedrückendes Gefühl überkam ihn. Die schnell näher kommenden Autos und dann der laute Knall und die schwarze Leere. Das Gefühl der Ohnmacht. Ja, er erinnerte sich an den gestrigen Abend. Die Bilder wurden immer klarer.

      „Ich hatte einen Unfall. Ich saß hinten im Wagen. Was, was ist mit dem Fahrer geschehen?“

      „Das weiß ich nicht. Ich wurde informiert, dass du einen Unfall hattest und bin direkt in das Krankenhaus gekommen.“

      „Hast du dein Handy dabei?“, wollte Martin wissen.

      „Aber natürlich.“

      „Dann schau bitte im Polizeiticker nach, ob der Unfall gestern gemeldet wurde, ja?“

      Veronika rief die Seite mit den Heidelberger Polizeinachrichten auf. Und tatsächlich gab es einen Eintrag am gestrigen Abend. Sie las: „Es ereignete sich um 18.43 Uhr ein tödlicher Unfall in der Heidelberger Innenstadt. Ein Wagen kam von der Fahrbahn ab und rammte gegenüber parkende Autos. Der Fahrer war sofort tot. Der Beifahrer überlebte mit leichten Verletzungen. Die Unfallursache ist noch ungeklärt.“ Veronika sah Martin entsetzt an.

      „Oh“, seufzte Martin. Er zuckte kurz mit seinem Kopf, stieß dabei aber einen schmerzlichen Laut aus. Beide schwiegen für einen Augenblick. Dann fragte Veronika schließlich: „Willst du mir erzählen, warum du gestern in diesem Auto mitgefahren bist?“

      Martin erzählte in allen Einzelheiten von dem Paar, das ihn am Karlsplatz angesprochen hatte, über die Erlebnisse in dem Hotel und seinen Gefühlen, die ihn dort überkommen hatten. Veronika hörte ihm konzentriert zu. „Das ist ja eine Unverschämtheit“, resümierte sie. „Ist so eine Masche denn legal? Menschen auf offener Straße anzusprechen und unter falschen Versprechungen in ein Hotel zu locken?“

      „Nicht falsch. Den Preis hätte ich sicher bekommen.“

      „Ja, ein veraltetes Klapphandy. Würde mich nicht wundern, wenn sie dadurch versuchten, Kontakt zu dir aufzunehmen.“

      „Ja, unfassbar.“ Nach einer Pause bat er Veronika: „Du, ich würde gerne auf die Beerdigung von diesem Mann gehen, der mit mir im Auto verstorben ist. Könntest du bei der Polizei anrufen und um die Kontaktdaten bitten? Ich weiß noch nicht einmal, wie er hieß.“

      „Aber gerne, das mache ich gleich morgen früh. Bitte ruhe dich jetzt aus. Es ist wichtig, dass du wieder zu Kräften kommst.“

      Martin schloss die Augen. Veronika hielt seine Hand und blieb die ganze Zeit bei ihm.

      Am Nachmittag öffnete sich die Tür zum Krankenzimmer und zwei Streifenpolizisten kamen herein. Sie baten Armin und Daniel kurz draußen zu warten, da sie Martin einige Fragen zum gestrigen Unfall stellen wollten. Veronika durfte bei Martin am Bett sitzen bleiben. Nachdem die Personalien von Martin aufgenommen wurden, stellten die Polizisten sicher, dass es zuvor keine Verbindung zwischen Martin und dem Fahrer gegeben hatte. Beide waren sich zuvor noch nie begegnet. Martin beschrieb genau, wie er in das Hotel eingeladen wurde und weshalb er überhaupt mit in diesem Auto saß. Ganz wichtig waren Martins Schilderungen von der Fahrt vom Hotel in die Innenstadt von Heidelberg. Dabei sollte er in allen Einzelheiten erzählen, wie sich der Fahrer benommen hatte. Ob er etwas Auffälliges in seinem Verhalten bemerkt und ob er etwas Besonderes gesagt oder getan hatte. Aber Martin war nichts weiter aufgefallen. Der Fahrer machte einen gesunden und ruhigen Eindruck. Vielleicht dachte Martin, könnte der Fahrer etwas gestresst gewesen sein, man hätte das vielleicht in seinem Gesicht sehen können, aber mit hundertprozentiger Sicherheit könne er das nicht sagen. Die Polizisten bedankten sich bei Martin, wünschten gute Besserung und verließen den Raum. Veronika ging mit ihnen hinaus. Draußen bat sie die Polizisten nach dem Namen des Verunglückten oder ob sie wüssten, wann seine Beerdigung stattfinden würde. Sie erklärte ihnen, dass es für Martin wichtig wäre, an der Beisetzung teilnehmen zu können. Sie verwiesen Veronika an das Polizeirevier Heidelberg. Alles Weitere würden sie dort erfahren.