Название | Der große Reformbetrug |
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Автор произведения | Udo Schenck |
Жанр | Социология |
Серия | |
Издательство | Социология |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783738045604 |
Arbeitslosigkeit bzw. Erwerbslosigkeit hat offenbar nichts mit einer von einschlägigen Medien und vielen Politikern daherphantasierten Hängemattenromantik zu tun, sie ist alles andere als ein Zuckerschlecken, was noch um einiges mehr für Erwerbslosigkeit unter dem Rechtskreis bzw. Joch des SGB II (Hartz IV) gilt. Denn letztendlich sind die Hartz-Gesetze und ihre fortlaufenden Novellierungen bzw. Verschärfungen genau dafür geschaffen worden, den Erwerbslosen das Leben möglichst ungemütlich und sauer zu machen sowie den Arbeitnehmern damit gehörig Angst vor Erwerbslosigkeit einzuflößen, um sie so gefügiger zu machen. Insofern nähert sich Erwerbslosigkeit unter den Bedingungen des SGB II tatsächlich stark einem offenen Strafvollzug an, so wie dies eingangs dieses Buches von Götz W. Werner zitiert worden ist. Erwerbslosigkeit bedeutet i. d. R. Ausgrenzung, bedeutet neben einem substanziellen und fundamentalen Verlust von Freiheit bzw. Freiheitsgraden (materielle Abhängigkeit und eingeschränkte Rechte unter den Hartz-Gesetzen) und damit einem wehrloseren ausgesetzt sein von Willkür und Psychoterror der Behörden, einen bedeutenden Verlust an Reputation und gesellschaftlicher Teilhabe. Dies äußert sich bei vielen Betroffenen u. a. in ihrer Vereinsamung, in der i. w. S. Einschränkung ihrer Bewegungs- bzw. Reisefreiheit, in der Einschränkung, ihre Berufstätigkeit frei und gemäß ihrer Qualifikation ausüben zu dürfen, im Verlust an realen Perspektiven und damit nicht selten auch im Verlust von Hoffnung und Glaube. Das frustriert und demütigt die Menschen, schlägt sie nieder, nagt an ihrem Selbstwertgefühl, wie auch das ständige angegriffen und angefeindet werden an ihrer Seele nagt, selbst in dem Bewusstsein, dass dies z. g. Teil nur durch unwissende oder/und schlichte Gemüter geschieht, wodurch sich umso eher ein böses und Kräfte raubendes Gefühl des hoffnungslosen ausgeliefert seins, der Ohnmacht einstellt, das darüber hinaus den Weg in diverse Krankheiten ebenen kann. Das systematische Diffamieren von Erwerbslosen (u. a. Unterschichtmenschendebatte) hat Methode, die auf die Marginalisierung der Betroffenen abzielt, womit ein Entsolidarisierungsprozess (teile und herrsche) in der Bevölkerung angestoßen, und Druck und Härte gegenüber den Erwerbslosen legitimiert werden sollen.
Diese Politik des ungehemmten Wettbewerbs, des Druckausübens, des Erpressens, des Angstschürens, des Krieges jeder gegen jeden verändert die Menschen, macht sie tendenziell misstrauisch und duckmäuserisch, macht sie klein und gemein, macht sie hartherzig und geizig, macht sie krank und dumm, fördert letztendlich tendenziell das Schlechteste aus den Menschen und macht sie im schlimmsten Fall zu primitiven, rohen Barbaren. Wird aber der Schmerz irgendwann zu groß, so mag vielleicht einmal die Stunde der Besinnung kommen und wiederum das Beste aus den Menschen fördern: Gewissenhaftigkeit, Aufrichtigkeit, Achtsamkeit und nicht zuletzt Mitgefühl. Diese zuletzt genannten Geistes- und Herzenshaltungen klingen aber in der Gegenwart bereits merkwürdig fremd, ja archaisch, wie aus einer ganz anderen Welt und Zeit, was sie wohl auch sind. Angesichts der durch die jetzigen Gegebenheiten begünstigten Tendenzen der Verrohung, Verdummung und Entmündigung der Menschen ist leider zu befürchten, dass sie sich wieder in eine völlig andere Richtung, noch weiter nach rechts wenden werden und nach einem starken Mann brüllen werden, der alles richten soll. Wesentliche Schuld daran hätten sehr viele Politiker und Wirtschaftskapitäne, die sich immer wieder gern so vollmundig als Demokraten feiern, aber eben genau dies im Grunde ihres Herzens und Geistes nicht sind. Es braucht offenbar weit mehr als einige Jahrzehnte um die letzten Rudimente eines Ungeistes zu tilgen, der in vielen Jahrhunderten gewachsen ist und in Auschwitz seinen bisher grauenvollsten Höhepunkt fand. Es muss also in einer formalen Demokratie (zudem in einer von fremden Mächten übergestülpten) noch lange nicht demokratisch und gerecht zugehen. Betrug und Erpressung (hier u. a. zu Arbeit zu den möglichst schlechtesten Bedingungen durch Androhung des Entzuges der „Existenzsicherung“) bleiben auch „demokratisch“ sanktioniert das was sie sind, nämlich Verbrechen.
Im Jahr 2012 wurde der Europäischen Union der Friedensnobelpreis verliehen. Viele Millionen EU-Bürger werden dies als eine Provokation empfunden haben. So sehr diese Entscheidung im Nobelpreiskomitee selbst umstritten war (u. a. 72 Prozent der Norweger sprachen sich gegen einen Beitritt zur EU aus), so wenig war es wohl ein Zufall, dass der EU ausgerechnet in der Krise, während zunehmender sozialer Proteste und der Euro-Krise dieser Preis verliehen wurde. Altbundeskanzler Helmut Kohl nannte denn diese Entscheidung auch „klug und weitsichtig“, wohl im Sinne eines strategisch klugen Schachzuges. Von einer moralischen und ethischen Legitimierung, die hier als Grundlage dieser Entscheidung dienen sollte, war dabei jedoch nicht die Rede. Sollten Friede und Völkerfreundschaft in der über sechzigjährigen Geschichte der europäischen „Einigung“ je mehr als nur zierendes Beiwerk gewesen sein, so sind sie spätestens im neoliberal reformierten Europa darauf reduziert worden. Heute sind es so gut wie ausschließlich knallharte wirtschaftliche Interessen, vor allem des Big Business, die an den nationalen Parlamenten vorbei mit Hilfe sog. Expertenkommissionen und der EU-Kommission durchgepeitscht werden, welche die Entwicklungsrichtung der EU vorgeben. Grundlegende souveräne Kompetenzen der Mitgliedsstaaten, letztendlich des Souveräns, wie u. a. über die Geld- und Haushaltspolitik werden schrittweise an übergeordnete Institutionen abgetreten und damit der Einflussnahme des Souveräns – der er dann nicht mehr ist – entzogen, womit die Demokratie sukzessive ausgehebelt wird. Damit jedoch nicht genug. Die Regierenden lassen eine immer respektlosere und krudere Form des Umgangs mit der Öffentlichkeit erkennen, dies wohl auch in dem Bewusstsein, von einer in weiten Teilen indoktrinierten, phlegmatischen und uncouragierten deutschen Öffentlichkeit nichts befürchten zu müssen. Selbständiges, autonomes Denken, Courage und Aufbegehren, wenn dies geboten ist, ein aufrechtes Rückrat gehören wohl noch immer nicht zu den deutschen Tugenden. Eher scheint man allgemein immer noch lieber nach oben buckeln und nach unten treten zu wollen, gleich unwissenden und wehrlosen Legehennen in einem Hühner-KZ, die sich gegenseitig rupfen und die Augen aushacken. Nicht ohne Grund treten Mobbing und Burnout immer häufiger in der Arbeitswelt auf. Und so kann es nicht verwundern, dass die letzte schwarz-gelbe Bundesregierung nicht mal mehr vor Zensur zurück schreckte, wie im Fall des zuletzt veröffentlichten Armuts- und Reichtumsberichtes. Hier passte dann wissenschaftlicher Sachverstand und Erkenntnis von wirklichen Experten plötzlich nicht mehr in die Landschaft, weil die Regierung schlicht anderer „Meinung“ war.
Der europäische „Einigungsprozess“ – faktisch ein Spaltungsprozess – wird offenbar als Vehikel zum Abbau demokratischer und sozialer Rechte, zur Beseitigung des wohlfahrtsstaatlichen Erbes missbraucht um den partikularen Interessen des Großen Geldes den Weg zu ebenen. Das ist nicht das Europa der Menschen, der Völkerfreundschaft, der Versöhnung und der Menschlichkeit, so sehr dieses zu wünschen wäre, sondern das des Big Business, der Banken, der Lobbyisten, des Egoismus, des Geizes, der Kleingeistigkeit und Engherzigkeit, letztendlich der Barbarei. Was wir im Augenblick erleben führt in die Spaltung Europas, die Entzweiung der Menschen und Völker. Wettbewerb hinterlässt immer auch mindestens einen Verlierer und ein Wettbewerbsfetischismus neoliberaler Ausprägung hinterlässt letzten Endes nur Verlierer. Insofern ist die Verleihung des Friedensnobelpreises an die EU des Jahres 2012 wohl eher als Pfeifen im finsteren Walde und Schwanengesang zu deuten.
1 Ein ganz normaler Tag in einem Jobcenter
Deutschlands Schicksal: Vor dem Schalter zu stehen;
Deutschlands