Название | Das Veteranentreffen |
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Автор произведения | Peter Schmidt |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783847655077 |
Er vermied es, die Worte ‚alternde Agenten’ oder ‚pensionierte Geheimdienstler’ auch nur im Nebensatz zu streifen, aber jeder wusste, dass er nicht von irgendwelchen nebulösen Fähigkeiten, von Parteieintritten, Eingaben an Abgeordnete oder Protestkundgebungen sprach.
Asch hatte eine gute Wahl getroffen. Ich bewunderte die Geschicklichkeit, mit der er seinen neuen Verein zu indoktrinieren wusste.
Es gab praktisch keine Möglichkeit, seinen Ideen zu entgehen.
Selbst eine so harmlos erscheinende Nachmittagsveranstaltung wie „Wir spielen Schach mit lebenden Figuren im Gelben Salon“ geriet ihm schon nach wenigen Zügen zur politischen Werbeveranstaltung.
„Seht euch die Bauern an, das arbeitende Volk, Freunde. Vergleicht man ihre zahlenmäßige Stärke, so sind sie den Adeligen gegenüber keineswegs in der Minderheit – aber was bedeutet der herrschenden Klasse schon das Opfer eines Bauern?
Allein die Tatsache, dass es genug von ihnen gibt und dass ihre Kräfte und Einflussmöglichkeiten begrenzt sind, macht sie zu Figuren minderen Werts. Wir wollen Gleichberechtigung, Freunde, wahre Gleichberechtigung. Keine Lobby der Privilegierten. Das ist unsere verdammte Aufgabe in dieser Welt – wenn wir überhaupt noch etwas zu bestellen haben.“
„Klingt verdammt noch mal nach Sozialismus“, flüsterte Kuben in meinem Rücken.
„Ja, unser Sozialreformer redet sich langsam warm. Ist gerade dabei, die rhetorische Trickkiste zu öffnen. Sehen Sie sich nur seine fanatischen Augen an.“
„Und Sie wollen da wirklich mitmachen, Sander?“, fragte er skeptisch, aber mit verhaltener Stimme. „Die Versammlung hat Sie in den Vorstand gewählt.“
„So? Davon weiß ich noch gar nichts.“
„Bei der Klubgründung.“
„Dann muss ich vor der Abstimmung hinausgegangen sein.“
„Sie haben den Schmarren nicht mehr länger ertragen können, stimmt’s?“
„Warum sind Sie eigentlich hier, Kuben, wenn Sie das Ganze für einen so ausgemachten Blödsinn halten?“
„Und Sie?“, fragte er. „Wir können alle ein paar Tage Abwechslung und Entspannung gebrauchen.“
Ich ging weiter, denn im Kellergeschoss gab es die sogenannte ‚Nachmittagspizza’, ein Stück harter Teig, mit Tomatensoße und zerlaufenem Käse beschmiert, und das Gedränge in der Schlange war sicher einen Blick wert. Man musste kein Prophet sein, um voraussagen zu können, dass sich die Wölfe wegen der letzten Stücke die Kehlen durchbeißen würden.
Ein Blick in das Allerheiligste des Vernehmungsbüros lenkte mich jedoch davon ab, diesem Genuss in angemessener Weise nachkommen zu können. Die weißlackierte Eisentür stand offen, und ich sah Bertrand an einem hellen Limbaschreibtisch unter den Neonröhren des Heizungskellers sitzen.
Er trug einen grauen Anzug, und sein Hemdkragen mit der rotkarierten Krawatte war weit geöffnet. Seine Haltung – vorgebeugt und misstrauisch – erinnerte auf frappierende Weise an einen Vernehmungsbeamten der amerikanischen Einwanderungsbehörde. Der Mann vor ihm, ein über und über von rosigem Flaum bedeckter Endsechziger, musste aus seiner ehemaligen Westberliner Sektion stammen.
Ich erinnerte mich, anlässlich eines Skandals, bei dem es um den sexuellen Missbrauch Minderjähriger in einem grenznahen Jugendcamp gegangen war, von ihm gehört zu haben. Ein paar Meter entfernt und hintereinander angeordnet, gab es noch zwei weitere Schreibtische der gleichen Sorte. Ich nahm an, dass sie für Asch und mich reserviert waren.
„Kommen Sie, kommen Sie …“, sagte er, als er mich erblickte, und erhob sich eilig. Wir gingen hinter eine Trennwand, wo eine gemütliche Sitzgruppe war. „Asch möchte, dass Sie schon heute mit den Befragungen anfangen.“
„Nanu“‚ sagte ich. „Er wollte den armen Opfern doch noch ein paar Tage Zeit lassen, um sich einzugewöhnen? Was treibt ihn denn plötzlich zu so außerplanmäßiger Eile?“
„Wir liegen ausgezeichnet im Rennen, Frank. Die Resonanz auf unseren Vorschlag war hervorragend. Also bloß keine Zeit verschwenden, die Stimmung im Klub kann jeden Moment umschlagen.“
„Neue Order von der Gesellschaft für Ost-West-Verständigung?“
„Das alles hier kostet ‘ne Menge Geld, Frank.“
„Nun sagen Sie bloß, sie hätten plötzlich entdeckt, dass der Pizzateig nicht reicht?“
„Also, Ihren Sinn für Scherze hab ich noch nie teilen können, tut mir leid.“ Er zog mit leidender Miene ein doppelt gefaltetes Blatt aus der Innentasche seines Anzugs. „Hier ist die Namensliste.“
Ich warf einen Blick darauf. „Sie haben Elvira für sich behalten, Sie alter Gauner“, sagte ich.
„Gehen Sie behutsam mit den alten Haudegen um. Niemals insistieren. Führen Sie dieselbe Frage wieder durch die Hintertür ein, wenn Sie ausweichende Antworten bekommen. Flexible Strategie, Vorwärtstaktik, aber mit genügend Zeit, um auf rührselige Reminiszenzen einzugehen. Das alles soll ja ein Vergnügen bleiben, Frank.“
„Klingt, als hätten Sie den Text von Asch auswendig gelernt, Bertrand?“
„Es sind sterbende Clowns, Frank. Man muss einfühlsam mit ihnen umgehen.“
„Also gut, spielen wir mal für ‘n paar Tage den Seelsorger.“
„Lassen Sie bloß keinen merken, wie Sie darüber denken, Frank.“
„Werden unsere Gespräche mitgeschnitten?“
„Mitgeschn …? Nun, ich glaube nicht, dass das notwendig sein wird. Schließlich vertrauen wir einander – unserer Loyalität und Erfahrung …“
„Werden sie oder werden sie nicht, Bertrand?“
„Das wäre die Ausnahme. Genaue Notizen genügen völlig, Frank.“
„Aber es gibt fest installierte Einrichtungen dafür?“, fragte ich mit leicht erhobener Stimme, so dass man uns an Bertrands Schreibtisch hören konnte.
„Psst …!“ Er legte erschrocken seinen Finger vor den Mund. „Bringen Sie uns nicht in Teufels Küche.“
„Ändert nichts daran, dass ich gern über die Hintergründe informiert sein möchte. Für den Fall, dass man mich einmal deswegen zur Rechenschaft zieht, vor irgendeinem Untersuchungsausschuss. Dann will ich nicht als dummer August dastehen.“
„Was soll schon passieren, Frank? Ein Tonband in der Schublade und ‘ne Wanze unter der Lampenfassung, mehr nicht.“
„Na also, das ist doch schon was.“
„Machen Sie bloß kein Aufhebens davon, Frank.“
„Also gut, Bertrand, dann werde ich jetzt mal meinen ersten Gesprächspartner aufsuchen und sehen, ob ich ihn vom Schachspiel oder von seiner Nachmittagspizza loseisen kann.“
Meine plötzliche Folgsamkeit ließ ihn misstrauisch aufblicken. Er war jetzt so weit, dass er sofort irgendeine hinterfotzige Provokation witterte. Aber ich nahm artig den Zettel zur Hand, studierte den ersten Namen und murmelte „Laflöhr, Zimmer acht …“ Vielleicht bewog ihn das, noch eine wohlwollende Anmerkung nachzuschieben. Er sagte: „Sie wissen ja, dass Sie für Ihre Arbeit honoriert werden, Frank?“
„So? Nein, ich dachte, mit Zimmer und Vollpension sei alles abgegolten?“
„Und gar nicht mal