Название | Linders Liste |
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Автор произведения | Peter Schmidt |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783847656203 |
Bereits dreimal erhielt er den Deutschen Krimipreis („Erfindergeist“, „Die Stunde des Geschichtenerzählers“ und „Das Veteranentreffen“). Für sein bisheriges Gesamtwerk wurde er mit dem Literaturpreis Ruhr ausgezeichnet.
Schmidt studierte Literaturwissenschaft und sprachanalytische und phänomenologische Philosophie mit Schwerpunkt psychologische Grundlagentheorie an der Ruhr-Universität Bochum und veröffentlichte rund 40 Bücher, darunter auch mehrere Sachbücher.
AUTORENINFO
http://autoren-info-peter-schmidt.blogspot.de/
Ungekürzte, überarbeitete Neuauflage der gedruckten Fassung im Rowohlt Verlag, Reinbek
Copyright © 2013 Peter Schmidt
1
Slauters erzählte oft die Geschichte, wie einer von diesen Kerlen, als er sich nach dem Pinkeln in einer dunklen Toreinfahrt noch die Schnürsenkel zubinden wollte, mit „irgendetwas Hartem“ von hinten einen Schlag auf den Schädel bekommen hatte.
Aber das, hochverehrte Frau Doktor, sollte Sie doch nicht gleich zu überzogenen Schlussfolgerungen verleiten!
Muss ich Sie erst daran erinnern, dass man Sie nicht als Gutachterin eingesetzt hat um die sogenannte Schuldfrage zu klären (Schuldfrage, was für ein Wort!), sondern weil man Aufschluss über meinen Geisteszustand erhalten will?
Nein, natürlich nicht. Heilanstalt oder Gefängnis, das ist hier die Frage …
Dieser Slauters – übrigens der einzige Mensch, mit dem ich wieder reden konnte, nachdem ich mich in mein kanadisches Exil geflüchtet hatte. Sie ahnen wohl kaum, was das in meiner Lage bedeutete!
Er bewohnte den Pfahlbau nebenan, wir hatten denselben Vermieter, einen schon etwas debilen Mittsiebziger der gern zweimal die monatliche Miete kassierte, und im ersten Morgengrauen konnte ich drüben auf der überdachten Veranda manchmal Slauters altmodische Schreibmaschine klappern hören.
Sobald das Licht ausreichte, sah ich ihn mit seinen dünnen Storchenbeinen zum Ufer des Ottawa River hinunterstiefeln, um die Stockenten zu beobachten.
Er behauptete, es bringe ihn beim Schreiben auf neue Einfälle. Sie seien den Menschen so ähnlich – nur ehrlicher in ihren Äußerungen.
Ein beachtlicher Handwerker, dieser Slauters – aber wenn Sie mich fragen, welchen Rang er einmal in der Literaturgeschichte einnehmen wird – na ja …
Keine Frage, dass die Tätlichkeiten gegen Verleger in den letzten Jahren zugenommen hätten.
Er machte ihrer chronische Leseschwäche dafür verantwortlich, und wohl zu Recht. Wenn es vielleicht auch nur die halbe Wahrheit ist. So ein nächtlicher Schlag auf den Hinterkopf soll ja manchmal sogar die Denktätigkeit anregen.
Sie sehen, hochverehrte Frau Doktor, ich bin sehr ehrlich. Ich leugne gar nicht, dass ich, als meine Tantiemen aus „Gelber Flachs“ nach und nach zu versiegen begannen, durchaus jener mysteriöse (und niemals gefasste) Unbekannte hätte sein können, der seinem Verleger an einem finsteren Spätsommerabern am Stadtrand von Montreal einen derben Schlag auf den Hinterkopf versetzte (mit einem Baseballschläger, falls es Sie so genau interessiert).
Aber legen Sie das nicht gleich gegen mich aus. Wahrscheinlich befand er sich in einer ganz ähnlichen Lage wie ich:
Seine Manuskripte waren ungelesen zurückgesandt worden …
Er zehrte von den kümmerlichen Tantiemen seines letzten Erfolgsromans (sagen wir „Gelber Flachs“ oder ein ähnlich eingängiger Titel), und vor die Alternative gestellt, sich im Ottawa River zu ersäufen oder seinem Widersacher ein wenig das Gehirn zurechtzurücken – was, nebenbei gesagt, auch noch beträchtlich Befriedigung und Erleichterung gewähren soll –‚ entschied er sich schweren Herzens für das letztere.
Wäre ich Staatsanwalt würde ich hier niemals leichtfertig eine Verbindung herstellen. Ich meine: nur weil die Anklage gegen mich gewisse zufällige Parallelen aufweist …
Analogieschlüsse sind in der Philosophiegeschichte schon die übelsten Fallgruben gewesen. Sie sollten das immer im Auge behalten, verehrte Frau Doktor.
Mag sein, dass wir Ritter des Geistes ein feineres Gespür für solche Zwischentöne besitzen. Wir haben einfach gelernt, dass der Weltenlauf nicht so simpel ist, wie uns einige Einfachgemüter weismachen wollen, sondern verschlungene Wege geht. Die Amöbe in der Wasserpfütze kennt nur zwei Richtungen: „hin zu …“ und „weg von …“ Oder einverleiben und selber einverleibt werden. Ich hoffe, dass sich der Verstand meines Richters nicht auf dieser groben Ebene bewegt … dass er zu differenzieren vermag!
Nehmen wir nur meine damalige Diskriminierung durch die Regenbogenpresse. Vermutlich haben Sie meine Unterlagen aufgeschlagen vor sich liegen und wissen, wovon ich rede?
Dann verstehen Sie auch, dass ich trotz des großen Erfolgs von „Gelber Flachs“ aus Deutschland flüchten musste … Es blieb mir gar nichts anderes übrig, wenn ich diesen Blutsaugern entkommen wollte. Ich gab alles auf, was mir lieb und teuer war: mein Land, meine Sprache, meine Freunde.
Und das Delikt, gnädige Frau?
Als psychiatrische Gutachterin werden Sie dafür wahrscheinlich nur ein müdes Lächeln übrig haben.
Ich bin sexuell gesehen so normal wie jeder andere. Aber was machte die Regenbogenpresse aus meinen harmlosen Griffen? Fünf Zentimeter hohe Schlagzeilen:
„Greifer von München endlich gefasst!“ – „Schenkelgriff“, „Backengriff“
… das waren die Worte, mit denen man mein harmloses Vergnügen titulierte. Wenn es darum geht, die Feierabendbeschäftigung ehrbarer Bürger in den Schmutz zu ziehen, entwickeln diese Wortbanausen plötzlich beinahe sprachschöpferische Fähigkeiten.
Verehrte Frau Doktor, schon damals war meine Prostata so groß wie ein Golfball – und sie hat seitdem noch zugelegt!
Allein aus diesen schlichten physiologischen Gründen hätte es bei mir niemals zum Triebtäter gereicht.
Es war ein Steckenpferd ohne Folgen …
2
Mein Hang zum weiblichen Geschlecht bewegte sich also durchaus in harmlosen Bahnen.
Wer hätte von einem so simplen Tatbestand das Ende einer Schriftstellerkarriere erwarten können? Kein Lektor, geschweige denn Verleger las mehr meine Manuskripte …
Es war, als trügen sie alle das Kainszeichen des „Schenkelgreifers“.
Schon das Wort, hochverehrte Frau Doktor, jagt mir einen Schauder über den Rücken!
Ein Autor, der mit „Gelber Flachs“ Anlass zu der Hoffnung gegeben hatte, er leite eine neue Ära des realistischen Kriminalromans ein – weit weg vom detektivischen Kreuzworträtsel und Welten entfernt von jenen Gärtnern, die zum fünfunddreißigsten Mal mit einem Messer im Rücken zwischen ihren Blumenbeeten gefunden werden –, hatte sich im Gedränge der Münchener Stadtbusse oder in der U-Bahn seinem lüsternen Hang überlassen.
Ein solcher Mensch konnte kein seriöser Autor sein.
Aber was war eigentlich passiert? Eine flüchtige Berührung, ein zögerndes Tasten. Sehen Sie, Frau Doktor: jede Stuhllehne, jede Haltestange in der Tram hätte der reinen Empfindung nach den gleichen Effekt haben können. Die