Homo sapiens movere ~ gejagt. R. R. Alval

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Название Homo sapiens movere ~ gejagt
Автор произведения R. R. Alval
Жанр Языкознание
Серия gejagt
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738002973



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meinen Ohren dröhnte. Gefolgt von einem bösartigen, hämischen Lachen, wie ich es noch nie gehört hatte. Es ließ mir das Blut in den Adern gefrieren.

      Eventuell lag letzteres auch daran, dass ich augenblicklich erkannte, wo ich mich befand. Nämlich ganz sicher nicht in meinem Bett.

      Das Dröhnen in meinen Ohren war die Kirchturmuhr, die Mitternacht verkündete und von der ich mich keine zehn Meter entfernt auf einem Baum befand.

      Jawohl, auf einem Baum!

      Nur bekleidet mit meinem Schlafshirt und dem absplitternden, violetten Nagellack auf meinen Fußnägeln. Panisch zitternd hielt ich mich mit aller Kraft an dem Baumstamm fest, der in dieser Höhe nicht annähernd so dick war wie am Boden, zu dem es grob geschätzt 15 Meter waren. Der Ast, auf dem ich stand, sah ebenfalls nicht sonderlich Vertrauen erweckend aus.

      Hätte ich nicht immer noch das hämische, unmenschliche Lachen im Ohr, käme mir die Sache wie ein absurder Traum vor. Nur waren die Eindrücke täuschend echt. Ok, Sam, du schaffst das, redete ich mir gut zu, konnte meine zitternden Beine aber nicht dazu animieren sich zu bewegen. Ebenso wenig meine Arme, den sicheren Stamm loszulassen.

      War das Humphreys Werk?

      Falls ja, welchen Nutzen sollte das haben?

      Dass jeder, der mich hier entdeckte, meinen blanken Hintern sah? Ich trug verdammt nochmal keinen Slip! Wollte er mich damit einschüchtern und mir zeigen, dass er mir jederzeit nah kommen konnte, ohne dass ich etwas bemerkte?

      Das hatte er definitiv erreicht.

      Plus mir eine gehörige Portion Angst einzujagen.

      Sofort begleitet von mehr als genug Wut, um eine Kleinstadt in Brand zu setzen. „Jetzt bloß nicht austicken.“, murmelte ich leise. Ich konnte es mir nicht leisten, den Baum anzuzünden, der hier oben viel dünner und schwankender erschien als weiter unten. Wie sollte ich hinunter kommen, ohne der Lacher der Stadt zu werden?

      Ich würde mich nie wieder in der Öffentlichkeit zeigen können!

      Gott, war mir das peinlich.

      Wenn ich nicht solche Angst gehabt hätte, von dem beschissenen, schwankenden Baum zu stürzen, wäre ich bestimmt dunkelrot geworden. So war ich zweifellos käseweiß, mein Puls flatterte, meine Hände schwitzten und fühlten sich gleichzeitig an, als wären sie aus weichem, labberigem Teig.

      Ich wusste nicht, welche Aussicht schlimmer war: Mich durch Rufe bemerkbar zu machen – trotz meiner kaum vorhandenen Bekleidung – oder hier zu warten auf… ja, auf was eigentlich? Wer sollte zu meiner Rettung eilen? Humphrey?

      Ein schnarrendes, leises Lachen quetschte sich in meine Kehle und wandelte sich dort in ein Schluchzen. Dieses versuchte ich durch tiefes Luftschnappen zu unterdrücken. Es nützte mir rein gar nichts hier oben zu flennen. Ich musste mich konzentrieren und nachdenken. Dazu brauchte ich weder eine laufende Nase noch verschmierte Augen. Es sei denn, ich hätte ein zweites Paar Arme und ein Taschentuch. Dann wäre es mir egal. Hatte ich aber nicht.

      Hey!

      Eine Leiter wäre auch super.

      Oder ein Seil.

      Und wenn ich schon mal dabei war, dann könnte ich auch noch an einen Slip appellieren.

      Nachdenken, Sam. Nachdenken! Verflixt, ich zitterte! Es ist nur ein Baum. Bei deinen Jobs warst du oft genug auf Bäumen. Du bist bloß geschockt, weil du keine Ahnung hast, wie du hier hochgekommen bist. Also: Mach dich auf den Weg nach unten. Nun ja, mit festen Schuhen wäre es ein Klacks. Zumindest einfacher. Aber ich könnte es schaffen; sofern mich die Äste trugen. Ich musste es schaffen. Die andere Möglichkeit wäre ein am Boden liegender, zerschmetterter Körper. Und da es meiner wäre, war das überhaupt keine Option.

      Oh verdammte Scheiße, ich würde mir die Beine aufschürfen.

      Die Arme.

      Die Hände.

      Ah, das würde verflixt wehtun.

      Außerdem war es, selbst für Juni, ziemlich frisch. Beinah unangenehm kühl.

      Ich holte tief Luft, ging in die Hocke, wobei ich meine Hände langsam am Stamm nach unten gleiten ließ, sah mich nach dem nächsten, einigermaßen fest aussehenden Ast um, hangelte ein Bein hinunter, fasste mit den Händen nach dem Ast, von dem ich nun auch den zweiten Fuß löste und ließ meinen Körper langsam nach unten gleiten. Bis ich etwa zehn Zentimeter über meinem Ziel baumelte. Das Holz knarzte verdächtig, mein Herz schlug bis zum Hals, als ich losließ, mit den Füßen auf dem eine Etage tiefer befindlichen Ast landete und sofort meine Hände um den Stamm warf.

       Puh – dem Boden ein Stück näher.

      War ich froh, dass niemand unterwegs war und meinen blanken Hintern sowie andere Teile meiner Anatomie bewundern konnte.

      Fest biss ich die Zähne zusammen, damit ich nicht anhaltend fluchte und machte weiter. Ast für Ast arbeitete ich mich nach unten. Dabei fand ich mich trotz ängstlich pochendem Herzen und nacktem Hintern sehr behände. Fast schon anmutig. Die Haut riss ich mir trotzdem auf.

      Endlich trennten mich nur noch knapp fünf Meter vom Boden, die ich mit einem Sprung überwand.

      Wie gut, dass ich zu den movere gehörte. Sonst hätte ich mir sämtliche Knochen gebrochen.

      Zischend atmete ich aus, wobei ich versuchte, das zwickende, ziepende Brennen der Schürfwunden zu ignorieren.

      Schön und gut; ich war unten. Das hieß nur blöderweise nicht, dass ich daheim war. Schlimmer noch: Von oben hatte ich gedacht, es läge an meiner kurzzeitigen Panik, dass mir die Umgebung unvertraut war. Selbst der Kirchturm war nicht in meinem Gedächtnis gespeichert. Das hatte ich alles dem vorübergehenden Schock zugeordnet.

      Tja, leider hatte ich falsch gelegen.

      Ich hatte verflucht nochmal keine Ahnung, wo ich mich befand. Jedenfalls nicht in meiner Stadt!

      Schnell verteilte ich imaginäre Ohrfeigen, damit ich bloß nicht anfing zu hyperventilieren.

      Oder durchzudrehen.

      Ich war ein movere, verdammt nochmal! Einbruchsspezialistin! Ein Klacks für mich, ins nächste Kaufhaus zu spazieren und mir ein paar… äh… dezentere Klamotten zu besorgen. Schließlich war das ein Notfall. Jetzt müsste ich nur noch herausfinden, wo sich das nächste Kaufhaus befand.

      Normalerweise nahm ich meine Umgebung sehr deutlich wahr. Gut, normalerweise befand ich mich auch nicht in einer wildfremden Stadt vor einem Baum, von dem ich eben erst heruntergeklettert war. Kein Wunder, dass ich nicht hörte, wie sich zwei Personen näherten. „Guten Abend. Können Sie sich ausweisen?“

       Mich… ausweisen?

      Abrupt schlief mir das Gesicht ein. Mein Herz hörte kurz auf zu klopfen, bevor es mit Anlauf davon stürmen wollte. Langsam schluckend drehte ich mich um. Zwei Uniformierte. Super, das hatte mir gerade noch gefehlt. Der größere der beiden musterte mich mit einem schiefen Lächeln, wobei er einen abgebrochen Vorderzahn offenbarte. Der Blick des kleineren war wesentlich strenger. Ich kam mir wie eine Aussätzige vor.

      Eine halbnackte Aussätzige.

      „Wohl eher nicht.“ Er schnalzte mit der Zunge, während er meine Verletzungen betrachtete. „Können Sie uns erklären, was Sie mitten in der Nacht in diesem Aufzug planen?“ Schluckend schüttelte ich den Kopf. Es wäre toll, könnte ich auf Kommando in Tränen ausbrechen. Aber ich war keine allzu überzeugende Schauspielerin. Natürlich könnte ich den Typen entkommen, aber wozu? Bei meinem Glück stuften sie mich als gefährlich ein und schossen auf mich.

      Ich war vieles, aber nicht kugelfest.

      Und ihre Chakren zu beeinflussen bedeutete ohnmächtig zu werden.

      „Dann ist es das Beste, wenn Sie uns begleiten.“ Ich nickte langsam und setzte einen Fuß vor den anderen, direkt auf das schicke Polizeifahrzeug zu, das nur ein paar Meter entfernt parkte.