Название | Amerikas Helden |
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Автор произведения | Klaus Werner Hennig |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783738026306 |
Nacheinander verlassen sie das Museum. Meggy fährt zwei Straßen weiter. Ihre Komplizen steigen zu. Gemeinsam fahren sie aus der Stadt hinaus, die bewaldeten Hügel hinauf, picknicken abseits, vertreiben sich die Zeit bis zur Dunkelheit, erzählen sich viel, trinken ein Gläschen Wein, rollen sich in mitgebrachte Schlafsäcke ein und verbringen die Nacht im Freien.
Im Morgengrauen sind sie abmarschbereit. Der Kaffee aus der Thermoskanne ist lau, aber sie sind aufgeregt genug und strotzen vor stolzer Entschlossenheit. Sie wissen, was ihnen blüht. Altersschutz wird nicht gewährt, Geheimnisverrat mit Haft bis zu dreißig Jahren abgestraft. Wie gesagt, im freiesten Land der Welt. Kriechen durch dichtes Gestrüpp auf sumpfigem Gelände, schlängeln sich in weiten Kurven einen steilen Hang hinauf, halten kurz inne, um sich zu verpusten. Schleichen weiter, müssen leise treten, dürfen sich nicht räuspern oder husten.
Laut Anklageschrift schnitten sich die Delinquenten den Weg durch drei acht Meter hohe Maschendrahtzäune frei, warfen die mit Menschenblut gefüllten Babyflaschen, als Sühnezeichen für all jene, die im Krieg verstorben sind, gegen die Außenwand des Lagerhauses, sprühten die alttestamentarische Friedensbotschaft: Da werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihr Spieße zu Sicheln machen. Denn es wird kein Volk wider das andere ein Schwert aufheben, werden hinfort nicht mehr kriegen lernen. – Sprühten ´s mit signalroten Lettern und brachen mit Hammer und Meißel aus dem Mauerwerk des Hochsicherheitstraktes Steinbrocken heraus. Dann standen sie abwartend, lächelnd: Halleluja, vollbracht!
Meggy sprach im Gebet: Himmlischer Vater, Dir danken wir, Du hast uns geleitet, beschützt und bewacht. Sie bekreuzigte sich und atmete tief. Bis endlich ein Wachmann mit hochrotem Kopf um die Ecke getrabt, haben die drei Unverbesserlichen über ihren gelungenen Coup gescherzt und gelacht, ließen sich widerstandslos festnehmen und abführen.
Die Blamage für die Security war enorm. Kinderleicht konnte eingebrochen werden. Die groben Sicherheitsmängel an einem der gefährlichsten Plätze der Welt haben schockiert. In höchsten Regierungskreisen wurde erwogen, das Trio, welches vermutlich in den Ausbildungslagern der al-Qaida trainiert worden war, ratzfatz in Guantanamo verschwinden zu lassen. Bei menschenrechtswidrigen Foltermethoden gäbe es jedes gewünschte Geständnis: Waffenfähiges Uran sollte gestohlen, in den Iran geschmuggelt werden! Wohin auch sonst? Eine Yacht für die heiße Fracht lag im Golf von Mexiko bereit. Die NSA habe die Handys des Seniorentrios abgehört. Eine ausgebuffte Story, geschickt in die Presse lanciert. Na klar, Amerika stünde besser da, wäre nicht so blamiert. Nur eine römisch-katholische Nonne als islamistische Terroristin verkaufen, wird das vom Leser akzeptiert?
Zwei Jahre schon sitzen die Aktivisten in Untersuchungshaft, störrisch wie junge Esel. Der Untersuchungsrichter lamentiert: In Japan, das waren Experimentalabwürfe, die mussten sein, seht das doch ein. Dessenthalben gab ´s siebzig Jahre keinen Atomkrieg auf der Welt. Hier und da kleine Scharmützel, nicht der Rede wert, Irak und so, damit der Weltfrieden dauerhaft hält. Euch Pazifisten ist es nicht beizubringen. Die Killzone habt ihr wissentlich durchschritten, wir hätten euch gnadenlos umlegen müssen.
Also sprach die Regierung, vierundachtzig Jahre hin oder her, ein Prozess muss sein, uns sind in der Demokratie die Hände gebunden. Unabhängig ist die amerikanische Justiz.
Für Megan Rice war die Aktion Protest gegen Krieg und nukleare Waffen. Für die Wachleute in Tennessee war der Einmarsch der Rentnertruppe eine Riesenblamage, sie wurden Knall auf Fall aus dem Staatsdienst entlassen. Für die Justiz, keine Frage, glasklar Sabotage, Sachbeschädigung am Staatseigentum. Im vergangenen Jahr wurden Rice und Konsorten schuldig gesprochen. Nun steht das Strafmaß rechtskräftig fest: Zwei Jahre und elf Monate muss die alte Dame ins Gefängnis, ihre Kumpane doppelt so lange.
Die Washington Post titelt: DIE HELDIN VON OAK RIDGE.
Ein Reporter befragt Sister Rice, ob sie sich als Heldin fühle?
Milde lächelt sie aus ihrem altersschönen Gesicht: „Bradley Manning und Edward Snowden haben gezeigt, wie abgrundtief Freiheit und Demokratie verkommen sind. Sie sind Amerikas Helden!“ Und fügt gelassen hinzu: „Nur das zu schreiben, getraut ihr euch nicht.“
„Und Sie, bereuen Sie Ihre Tat?“
Megan Rice blickt ernst, gesteht beschämt: „Ich bereue nur eins, dass ich siebzig Jahre damit gewartet hab."
Der Satz rast über die Liveticker der Welt
Auf dem Kriegspfad
Nun ist es wieder soweit, Manöver im Krisengebiet, wir haben uns den Krieg nahezu vor die eigene Haustür platziert. Das hat aber gedauert. Nun gibt es demnächst für uns richtig Krieg, so mit Raketen, Bomben, Granaten, auch Toten und Verwundeten zuhauf. Na endlich, nicht mehr auszuhalten, nur noch Gespräche über Bäume und Steine, Verse über den Dorftümpel, seine Entengrütze, den Giersch, der hoch zum Giebel kriecht, den Ginster der schwefelgelb am Wegrand glüht, über das Biotop in einer Regenpfütze mit Pantoffeltierchen, Mückenlarven, Landblutegel, am Horizont verschwimmt ein weißes Segel.
Um uns herum all die Jahre hindurch war es dermaßen friedlich, auf Dauer nicht auszuhalten: Die Märkte brechend voll mit Waren aus aller Welt, die Inflationsrate so niedrig, wie nie zuvor. Allerdings gab es immer mehr Arbeitslose, die Unruhe stiften, die den Sozialfonds in die Höhe treiben, die Wirtschaftskrise mit dem Mindestlohn anheizen. Die könnten nun allesamt soldatisch sinnvoll eingegliedert werden für den guten Zweck, unsere Leistungsträger zu schonen, zu verbergen in einem sicheren Versteck: bei Mutti auf dem Schoß oder hinten in unserem Garten bloß.
Ein transatlantisches Sturmtief erstreckt sich bis zum Uralgebirge, verdrängt die subtropische Warmluft, die uns seit fünfundzwanzig Jahren einlullt in Friedensillusion und Wohlstandswahn. Zwar gab es irgendwo in der Welt immer ein bisschen Krieg, ein kleines Gewitter mit Hagelschlag, an dem wir teilhaben durften, aber doch nicht vor unserem Gartenzaun, vom Schlafzimmerfenster aus zu überschauen und zu hören, wie es munter blitzt und knallt. Aus dem Drei-D-Fernseher dräut ein Kanonenrohr, über der Sesselecke durchstößt es die Zimmerdecke, ein gepanzertes Kettenfahrzeug rammt die Giebelwand, das Haus stürzt ein, oder bilden wir uns das bloß ein?
Kaltluft polaren Ursprungs erfasst den Kontinent. Versiegt der Golfstrom, bricht eine neue Eiszeit an. Nördlich des Schwarzen Meeres, entlang der Luftmassengrenze, entladen sich schwere Unwetter. Unsere Kanzlerin verspricht sofortige Abhilfe über Twitter. Sie lässt für Milliardäre in Kiew Rettungsschirme made in Germany, aus Spendengeldern finanziert, verfrachten und versichert den baltischen Staaten, wir europäischen Demokraten lassen euch im Verteidigungsfall gegen den Russen keinesfalls im Stich.
Guttenberg sei Dank, er hat die Wehrpflicht abgeschafft. Es gibt kein Geflenne, kein Geschrei, nur Manneszucht im Söldnerheer. Schließlich ist Deutschland wieder wer. Der Präsident verkündet ohne Scheu, wir dürfen schießen auf alle, die nicht hören wollen und uns nicht vorschriftsmäßig grüßen, wie die faulen, frechen Griechen, hochverschuldet, ohne Geld, wissen nicht, was sich gehört in einer freien Welt.
Für den Frieden muss man etwas tun!
Die Schwarzfahrerin
Im allerletzten Moment, bevor sich die Türen schlossen, sind am vorderen und hinteren Perron blaugrau uniformiert ein Mann und eine Frau zugestiegen. Niemanden auslassend, arbeiten sich die Kontrolleure, vom Jagdfieber auf Schwarzfahrer getrieben, beidseitig durchs Gewühl zur Mitte hin. Ihr Job, den Bus bis zum nächsten Halt zu durchkämmen. Keiner darf ihnen entwischen. Sie kennen sämtliche Ausreden und Tricks. Die Fahrpreise sind hoch – ja, das sind sie – aber Schwarzfahren kommt wesentlich teurer.
Ein winziges Persönchen wuselt zur Mitte, trachtet zu entkommen. Aussichtsloses Unterfangen. Die nächste Haltestelle zu weit, die Kontrolleure zu routiniert. Unscheinbar, zwischen ihren Plastiktüten, kauert sie sich auf den Boden hin. Verräterisch strahlt der wirre, schlohweiße Haarschopf der alten Frau. Von hinten und vorne umzingelt, in die Zange genommen, begrüßen die Beamten sie wie eine alte Bekannte. Die Frau erhebt sich, lächelt versonnen, als ginge sie hier alles nichts an.