Название | Der Geruch von Heimat |
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Автор произведения | Mona Checinski |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783847658276 |
So habe ich ganz im Stile des Zeitgeistes meine Recherche im Internet begonnen. Von meinem dreijährigen Säuglingsheimaufenthalt wusste ich bereits seit meiner Jugend. Meine Mutter erzählte mir früh davon. Ich habe Bilder von den Besuchen meiner Mutter dort sowie einen uralten Impfpass. Auf dem ist das Heim vermerkt; Säuglings- und Kleinkinderheim Remscheid.
Es gibt im Internet eine absolut bemerkenswerte und vermutlich in Deutschland einzigartige wie sehr informative Homepage zu diesem Thema, welche Herr Dr. Carlo Burschel in mühevoller Kleinarbeit zusammengetragen hat: www.säuglingsheim-archiv.de.
Diese unsäglichen Heime und Ausgeburten der damaligen Zeit wurden endlich Anfang der 70er Jahre auf Drängen der Öffentlichkeit und auch Berichterstattungen im TV (Monitor) geschlossen. Wie man mit den Säuglingen und Kleinkindern umsprang, welche kalten und von emotionaler Distanz geprägten Zustände dort herrschten, können Sie sich nur ungefähr vorstellen. Die betreuenden Schwestern, wenn überhaupt ausgebildet, waren völlig überfordert. Persönliche Zuwendung erfolgte praktisch nie. Kleinkinder wurden oftmals auf ihren Töpfchen sitzend festgebunden, je nachdem auch bestraft, wenn nach einer halben Stunde immer noch kein Erfolg im Topf zu sehen war. Manche Kinder lernten nur sehr schlecht laufen, da sie meist den ganzen Tag in ihrem Gitterbett verbrachten, wo sie zudem ebenso festgebunden wurden. Dadurch war oft auch die sensomotorische Entwicklung desaströs. Emotionale Zuwendung fehlte in der Regel ganz.
Wie erwähnt wurde von Staatswegen meiner Mutter gestattet, mich nach drei Jahren Heimaufenthalt wieder zu sich nehmen zu können. Was sie auch tat. Viele Kinder hatten nicht so viel Glück wie ich. Sehr viele fanden den nahtlosen Übergang in weiterführende Kinderheime. Welche Folgen das für die Psyche eines Kindes und späteren Erwachsenen hat, wird der geneigte Leser sich vermutlich nur annähernd vorstellen können. Vielleicht aber auch sind Sie lieber Leser selbst betroffen?
Meine Mutter erzählte oft, dass ich als Kind schon in Panik geriet, sollte ich auf ein kleines Schemelchen steigen, egal ob an der Hand meiner Mutter oder mit anderer Haltehilfe. Treppensteigen war anfänglich ähnlich schwierig. Übrigens hatte ich mein ganzes Schulleben lang eine „Gnaden 5“ in der Sportnote Ich kann mich erinnern, dass ich als Kleinkind eine Art Brustkorsett tragen musste, damit ein mir an der Brust herauswachsenden Knochen – wie es meine Mutter nannte – wieder in seine Form kam. Vermutlich war ich rachitisch und hatte eine ausgeprägte Kielbrust. Seit meinem zweiten Lebensjahr trug ich Einlagen, weil Diagnose: Platt, Senk- und Spreizfuß. Starke X-Beine und das permanente nach innen Treten der Füße ließen mich zudem sehr oft stürzen. Ich hatte eigentlich dauernd offene Knie. Bis ich dann im Alter von 10 Jahren eine Vorrichtung tragen musste, die der Arzt auf Druck meiner Mutter hin endlich verordnete. Dieses Gestell allerdings hatte großen Erfolg. Ich musste später keine Einlagen mehr tragen und vor allem auch keine unmöglichen Schuhe mehr. Seinerzeit waren Schuhe für Einlagen nicht gerade der modische Renner oder gar irgendwie kindgerecht gestaltet. Der behandelnde Orthopäde hätte mir womöglich noch lebenslänglich Einlagen verpasst, wäre ja auch schade gewesen eine dauerhafte Einnahmequelle versiegen zu lassen.
Es war eine grausliche Vorrichtung, mehr ein Gestell, das mit einem Metallgürtel an meinen Hüften befestigt wurde und zwei dicken gedrehten Drahtsträngen von der Hüfte entlang rechts und links an den Beinen hinunter zu den Füßen, zwischen Sohle und Absatz befestigt wurde. Allerdings schaffte es dieses innerhalb weniger Monate, meine Beine wieder in eine normale Stellung zu bringen. Als Kleinkind war ich zudem ausnehmend blaß, wie meine Mutter erzählte, und von sehr zurückhaltendem und ernstem Wesen. Was immer wieder dazu führte, dass ich von anderen als merkwürdig und auf jeden Fall zu ernst bezeichnet wurde.
Mit gewissen Ängsten habe ich heute noch hin und wieder zu kämpfen. Im Grunde sind es immer wieder die gleichen Verlustängste, die durch Situationen ausgelöst werden, die anderen vielleicht nur ein müdes Achselzucken entlocken würden. Allerdings habe ich meinen Weg gefunden, diese mehrheitlich gut in Schach halten zu können. Und vor allem habe ich sie endlich akzeptiert. Sie sind ein Teil von mir. Das Erkennen und Annehmen haben mir ein großes Stück Erleichterung gebracht.
An konkrete Begebenheiten im Säuglingsheim erinnere ich mich nicht. Meine Recherchen zum Thema sagen mir allerdings, dass dies offenbar normal ist. Auch besitze ich nur bruchstückhafte Erinnerung an meine Kleinkinderzeit, die ich direkt im Anschluß an das Heim vorrangig bei Tagesmüttern verbrachte. Was mir in Erinnerung geblieben ist, ist das Gefühl des alleine seins. Ich erinnere mich an den roten Bus, in dem meine Mutter mich von meinem dritten bis fünften Lebensjahr allmorgendlich zu meiner ersten Tagesmutter brachte. Ich weiß aus Erzählungen, dass ich fast jeden Morgen sehr weinte, weil ich nicht weg von ihr wollte. Aber sie musste zur Arbeit und ich somit zur Tagesmutter. Ich erinnere mich auch an Tante Traudel, meine Tagesmutter. Allerdings weiß ich nicht mehr zu sagen, ob sie nett war oder komisch oder neutral oder… Zumindest habe ich keine Erinnerung an etwas Negatives. Ich erinnere mich an unendlich langweilige Zeiten bei ihr. Meist saß ich in ihrer Wohnküche auf der Eckbank und schaute ihr zu. Ihr Sohn war schon Jugendlicher und somit kein Spielpartner mehr für mich. Ich erinnere mich auch an das Knäckebrot mit Camembert, das mir meine Mutter zum Essen mitgab und den Würgereiz, den ich davon bekam. Noch heute kann ich diesen Käse nicht essen. Ich erinnere mich nicht, auch bei meiner Tagesmutter in den Kindergarten gegangen zu sein. Allerdings war dem tatsächlich so, wie meine Mutter später erzählte. Ich erinnere mich auch an meine zweiten Tageseltern, zu denen ich musste, als meine Mutter zwar endlich geheiratet hatte aber doch weiterhin arbeiten ging. Ein junges Paar. Die Frau mit langen blonden Haaren, die ich bewunderte. Und einem kleinen Kind. Das war schwer krank und fast durchweg an sein Bettchen gefesselt. Dies hatte einen Überbau aus Plastik und so erinnerte das ganze mehr an ein Aquarium. Um die Kleine zum Lachen zu bringen oder sonst wie zu beschäftigen, machte ich oft den Clown vor ihrem Gitterbettchen. Ich schlug Kapriolen, zog Grimassen oder ließ mir etwas anderes einfallen. Ich erinnere mich, wie ich morgens schon in aller Frühe zu diesen Leuten gebracht wurde und dann auf dem kleinen Sofa im Wohnzimmerchen saß und mich nicht traute, nochmals einzuschlafen. Alle schliefen noch, ich musste oder durfte warten bis das Tagesgeschehen begann. Dann wurde meine Mutter schwanger und musste, um meine Schwester nicht zu verlieren, ein halbes Jahr lang möglichst viel liegen. Also gab es für mich nochmals neue Tageselten. Diesmal waren es unsere Nachbarn. Deren Kinder waren im gleichen Alter wie ich und somit war ich tagsüber dort. Dass ich beim Kindergartengehen Ärger machte, erzählte mir die Nachbarin viele Jahre später. Ich wollte immer bei ihr bleiben, um Gottes Willen nicht in den Kindergarten gehen. Half übrigens nichts, mein Betteln. Aber die Geburt meiner Schwester half. Denn dann hörte das Weggehen müssen auf.
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Mutter-Wurzeln
Zur Frage nach Großeltern, die sich meiner hätten annehmen können, muß ich sagen, dass diese leider ebenso verknöchert waren wie die Gesellschaft seinerzeit. Zudem hatten meine Großeltern selbst eine äußerst schwierige Kriegsvergangenheit gerade so lala hinter sich gebracht. Die Familie meiner Mutter stammte ursprünglich aus Danzig. Mein deutscher Großvater war mit einer Kaschubin verheiratet, meiner Großmutter. Ein Jahr vor Ausbruch des zweiten Weltkriegs kam meine Mutter zur Welt. Es folgten im Verlauf dieser schwierigen Zeit weitere vier Geschwister. Zu Kriegsende herrschte große Angst vor den Polen. Sie musste ihre hellblonden Locken unter der Mütze verstecken und durfte kein deutsches Wort verlieren. Es half nichts. Sie wurde mit ihrer Mutter und ihren Geschwistern in ein Lager gesteckt. Ein Los, das viele Deutsche im Osten 1945 erlitten. Der Haß auf die Deutschen war nach Kriegsende verständlicherweise sehr groß und der Umstand, dass meine Großmutter polnische Kaschubin war, in diesem Falle unerheblich. Mit ihrem deutschen Namen und deutschen Mann wurde sie ebenso als solche behandelt. Meine Großmutter wie auch meine Mutter erzählten oft, dass im Lager schlimmste Zustände herrschten. Essen gab es kaum bis nichts und meine Großmutter musste als junge Mutter mit ansehen wie ihre Kinder immer schwächer wurden. Fünf an der Zahl. Die beiden Kleinsten verhungerten