Der rote Feuerstein. Kim Scheider

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Название Der rote Feuerstein
Автор произведения Kim Scheider
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738029079



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geradezu bestimmt, einen solchen Job zu machen. Und jetzt das! Nur zwei Jahre und neun Tage! Das war ein sehr trauriger Rekord in der Geschichte der Fantasiewelt. Der einzige, der sich zu freuen schien, aber nur weil er recht behalten hatte, war Deak.

      „Was hab ich gesagt?”, triumphierte er. „Na, was hab ich gesagt?”

      Genervt verdrehte Vicki die Augen. „Ja, ja, ist ja gut, du hast ja recht bekommen, oder? Ich kann’s einfach nicht glauben, nur gute zwei Jahre, das ist jawohl ein Witz!” Die kleine Fee war außer sich.

      „Noch mal, noch mal, noch mal”, skandierte die Menge aufgebracht. Mit diesem Ergebnis war anscheinend niemand zufrieden. Vicki und Deak blickten zu Fosite, der auch etwas irritiert wirkte, doch ganz staatsmännisch reagierte.

      „Meine lieben Atlanter, so beruhigt euch doch bitte wieder. Wir wollen doch die alten Traditionen nicht gleich brechen, bloß weil wir uns vielleicht etwas Anderes erwünscht hätten. Außerdem wisst ihr ja noch gar nicht, ob ihr mit mir als eurem neuen König überhaupt zufrieden seit! Wer weiß, vielleicht werden euch ja sogar die zwei Jahre am Ende noch zu lang sein!” Fosite gab sich alle Mühe glaubwürdig und überzeugend rüber zu kommen, aber auch er war unverkennbar enttäuscht. Wie sollte er in zwei Jahren die dringend nötigen Reformen ans Laufen bringen, so dass er sein Amt ruhigen Gewissens einem Nachfolger übergeben könnte? Als er dem Känguru schließlich gebot, mit der Auslosung des künftigen Königs oder der Königin zu beginnen, hielt das Volk geradezu den Atem an.

      Freundlicherweise sparte das Beuteltier sich diesmal das Brimborium drum herum, langte beherzt in den goldenen Kessel, zupfte eines der zusammengefalteten Fotos aus der Mitte und betrachtete es wieder erstmal still für sich. Erleichtert entspannte sich sein Gesicht und es wandte sich den Atlantern zu. Nun machte es die Sache doch wieder spannend. „Unsere zukünftige Königin, denn eine Königin wird es wieder sein, ist...”

      „Nun mach schon”, knurrte Deak ungeduldig, der bereits Schlimmstes befürchtete.

      „Das Los hat entschieden, dass es Prinzessin Vicki XII. sein wird!”

      Die Atlanter atmeten erleichtert auf. Damit konnten sie leben. Vicki war allseits recht beliebt, wenn auch nicht ganz so, wie Fosite, aber sie würde ihre Arbeit sicher auch gut machen.

      „Da hast du’s! So ein Mist, da hast du’s!” Deak fluchte entsetzt vor sich hin.

      „Wie wär’s mit ‘ner Gratulation, statt mit lauter Schwarzseherei?” Vicki zog eine beleidigte Flunsch. Insgeheim war sie sich allerdings auch nicht mehr so ganz sicher, ob ihre Auslosung unter den gegebenen Umständen ein Grund zum Feiern sei.

      Fosite hingegen klatschte begeistert in die Hände und zunehmend fiel auch das Volk mit in den Applaus ein. Der Boden auf dem Festplatz begann zu beben und die Zweige der Weltenesche drohten abzubrechen, so ein Spektakel veranstalteten die Atlanter, die sich im dichten Geäst einen guten Platz gesucht hatten. Als Fosite Vicki dann zu sich nach vorne bat, um ihr zu gratulieren, jubelte die Menge bereits ausgelassen und selbst Deak konnte wieder lächeln. Vicki flog Luftrollen schlagend und Funken sprühend eine Ehrenrunde über die Zuschauer und ließ sich dann auf der Lehne des Ratstuhles nieder, während Fosite dem Känguru ein Zeichen gab, nun mit der Ziehung des stellvertretenden zukünftigen Königs weiterzumachen.

      Wieder langte es beherzt in den goldenen Kessel, zog einen weiteren Zettel heraus und gab das Ergebnis diesmal sofort bekannt. Es wollte die Sache wohl endlich hinter sich bringen.

      „Der stellvertretende zukünftige König von Atlantis ist - ”, und seine Stimme erstarb, während es den Zettel auseinander faltete und das darauf befindliche Bild erblickte. „Es ist Birger, der Rochusmensch!”

      Gerade mal drei Atlanter brachen nun in Jubel aus, nämlich die drei Unholde, die gar nicht glauben konnten, welches Glück einem von ihnen beschieden war.

      Der Rest der Atlanter schwieg jedoch betroffen. Zwar hatten die Rochusmenschen sich nach ihrer Materialisierung öffentlich zu den Regeln aus dem „Buch der ersten Tage” bekannt, doch ganz geheuer waren die drei bislang keinem gewesen. Ganz im Gegensatz zur klangvollen Bezeichnung ihrer Gattung hatten die drei selber fast schon harmlos anmutende Namen: Roerd, Birger und Urs waren nicht gerade geeignet, einen das Gruseln zu lehren, doch wenn man vor ihnen stand, sah das Ganze schon anders aus. Auch wenn man ihnen nichts nachweisen konnte und sie alles daransetzten, ein scheinbar redliches Leben zu führen, wurden sie doch mit einigen unschönen Ereignissen in Verbindung gebracht. Und so glaubte keiner daran, dass eine eventuelle Regentschaft eines Rochusmenschen ihnen etwas Gutes bringen würde. Das war die wohl ungewöhnlichste und unerfreulichste Auslosung, die Atlantis bisher erlebt hatte.

      Manch einer wagte bereits laut an dem althergebrachten System zu zweifeln und forderte nun „ordentliche” Wahlen.

      Fosite schluckte kräftig, während Vicki mit vor Entsetzen starrem Gesicht zu Deak hinüber spähte, der nun wieder sein „Ich-hab’s-ja-gewusst-Gesicht” aufgesetzt hatte.

      Noch bevor ihn Fosite überhaupt dazu aufgefordert hatte, kam Birger schon mit giftgrün leuchtenden Augen auf ihn zugeflogen, um seine Gratulation entgegen zu nehmen. Halbherzig klatschte nun auch der eine oder andere Atlanter, wohl mehr aus Höflichkeit als aus Überzeugung, unterließ dies aber sofort wieder, als er die bösen Blicke der Menge auf sich zog.

      „Nun ist es also entschieden”, wandte sich Fosite an das Volk und versuchte die peinliche Stille zu überbrücken, während der Rochusmensch und Vicki sich giftig anfunkelten. „So ist es also entschieden”, wiederholte er mit etwas kräftigerer Stimme. „Drum lasst uns nun mit dem Fest beginnen!”

      Und während fröhliche Musik aufspielte und fleißige Hände Speisen und Getränke herbei schafften, verbrachten die drei Hauptdarsteller den restlichen Tag damit, Gratulations - und Beileidsbekundungen sowie hunderte guter Ratschläge entgegen zu nehmen.

      Ein paar Tage später, als Vicki sich wieder durch Atlantis bewegen konnte ohne gleich von Scharen belagert zu werden, traf sie sich mit Deak, um ein paar entspannte Stunden mit ihm zu verbringen. Doch der kleine Wehrdackel war alles andere als entspannt. Aufgeregt kam er auf seinen kurzen Beinen angetrippelt und konnte vor lauter Atemlosigkeit kaum sprechen.

      „Vicki! Du musst - sofort verschwinden!”

      „Bitte, was muss ich?” Verständnislos sah die kleine Fee ihren japsenden Freund an.

      Deak war so aufgeregt, dass er kaum einen vernünftigen Satz zustande brachte. „Du musst sofort abtauchen! Verschwinden! Sofort! Große Gefahr...”

      Vicki landete auf einem etwas größeren Stein am Wegesrand und streichelte ihren Freund beruhigend über das schweißnasse Fell. „Du meine Güte, jetzt komm erstmal zu dir. Was ist denn nur passiert?”

      „Die Rochusmenschen! Große Gefahr für dich, sofort abhauen hier...”

      Deak war völlig von der Rolle, soviel war klar. Er führte Vicki an eine „abhörsichere” Stelle und begann nach einer kurzen Verschnaufpause mit seinem Bericht.

      Auf der Suche nach einer geeigneten Stelle zum Wasser lassen sei er zufällig auf die Rochusmenschen getroffen und habe unfreiwillig ihr Gespräch belauscht, erklärte er, und was er dabei zu hören bekommen hatte, ließ ihm nachträglich noch das Blut in den Adern gefrieren. Ein Attentat auf sie, Vicki XII., habe man vor, einen Anschlag auf das geordnete System von Atlantis und sogar die Herrschaft über die Welt der Menschen würden sie planen. Vicki war, wie so oft in den letzten Tagen, sprachlos vor Entsetzen.

      „Wir müssen sofort zu König Fosite”, beschloss sie, als der Wehrdackel seine Ausführungen beendet hatte. „Er muss doch was unternehmen können!” Und augenblicklich machten sie sich auf den Weg zum Schloss des Regenten.

      „Meine lieben Freunde”, begrüßte sie Fosite herzlich, als sie Glanzheim, den Palast des Königs, betraten. Der atlantischen Tradition entsprechend hatte er ihn sich in der ersten Nacht seiner Regentschaft erträumt und damit das pinke Schloss von Barbara ersetzt hatte. „Was kann ich für euch tun?”

      Noch halb unter Schock stehend, berichteten Deak und die