Regen am Nil. Rainer Kilian

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Название Regen am Nil
Автор произведения Rainer Kilian
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847628927



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Du hast recht! Nur er kennt die Heilkräfte und das Geheimnis des Löwen. Aber vielleicht kann er dir helfen!“ Somit waren wir wieder am Ausgangspunkt angelangt.

      Mehr widerwillig lenkte ich ein. „Wenn ich dazu kommen sollte, werde ich einmal mit ihm reden.“ Jetzt erschienen wieder die listigen Lachfältchen in Nodas Augen. Er schien beruhigt zu sein.

      „Echis megali tichi. Du hast großes Glück! Bevor du nach Hause fährst, kannst du mit uns den Jahrestag des Löwen feiern. Viele ehemalige Bewohner von Ios kehren auf die Insel zurück. Auch von meiner Familie kommen einige. Wir fahren alle zusammen mit dir dort hin!“ Jetzt hatte er mich gefangen. Da war ich sozusagen in die Höhle des Löwen geraten! Noda war nicht mehr davon abzubringen.

      „Ejine! Abgemacht!“, bekräftigte er seinen einsamen Entschluss und erhob sich von seinem Stuhl. „Wenn du noch einen Platz an der Sonne willst, musst du dich aber beeilen ...“ Er zeigte in Richtung Strand. Tatsächlich hatte sich von mir unbemerkt eine Menge der Nachtschwärmer am Ufer eingefunden, um die dröhnenden Schädel zu lüften.

      „Okay, bis später.“ verabschiedete ich mich und platzierte mich im Sand. Der Ouzo und die griechische Sonne waren eine höllische Kombination. Aber schließlich war es mir egal, dass meine Lider schwer wurden, ich hatte ja Urlaub. Nodas Worte gingen mir durch den Kopf. Meine Aufgabe annehmen ... Doch welche? Vorerst war ich nur Beobachter. Unfreiwillig. Erneut verschwamm die Wirklichkeit. Ich driftete ab zu meinen Träumen. Ich sah den Tempel. Der Geruch von brennendem Holz drang in meine Nase ...

       Die Kornspeicher des Nef-Sobek

      Senenmut war in einen erschöpften Schlaf gefallen. Irgendwann war er aufgewacht und stellte fest, dass sie nicht mehr da war. Er war so glücklich wie nie zuvor, doch zugleich wurde ihm schmerzlich bewusst, dass sie gehen musste, weil ihre Pflichten es verlangten. Er spürte immer noch ihren Körper in seinen Armen. Ihr Duft war an seinen Händen und seinen Kleidern. Er vollendete mit fliegenden Fingern sein Werk an der Ahnenstätte. Sein Herz war voller Liebe zu ihr. Alle seine Gedanken waren bei ihr, die letzte Nacht lief in seinem Geiste immer wieder ab. Er spürte ihre Küsse, ihre Zärtlichkeiten. Ihre süßen Worte, die sie ihm ins Ohr flüsterte. Er schwebte mehr als er ging, als er die Stätte verließ und seinen Weg zurück zum Nilufer nahm.

      Er setzte mit einer Barke über und begab sich zum Tempel des Amun. Der Duft von verbranntem Holz drang in seine Nase, eine schwarze Rauchsäule stieg nicht weit entfernt vom Palast des Pharaos in den Himmel. Alle um ihn herum schienen in nervöser Aufregung. Viele Bewohner der Stadt tuschelten lebhaft miteinander, ohne dass Senenmut Genaueres erfahren konnte. Er suchte nach Hapuseneb, um eine Erklärung zu bekommen. Er fand ihn in einer Gruppe diskutierender Priester, die sofort verstummten, als sie ihn sahen. Senenmut beschlich ein ungutes Gefühl.

      „Senenmut! Da bist du ja endlich! Du sollst sofort zum Hof des Pharaos!“, rief ihm Hapuseneb zu. Senenmut spürte das Blut in seinen Adern gefrieren. Er konnte kaum sprechen.

      „Was ist denn?“, konnte er lediglich fragen.

      „Man hat uns verboten, darüber zu sprechen. Aber es ist etwas Schlimmes passiert!“ Senenmut schwankte und suchte nach Halt an einer Säule.

      „Aber ich, was soll ...“ Er wurde von einem Soldaten unterbrochen. „Senenmut?“

      „Ja, der bin ich.“ „Du sollst sofort mit uns kommen!“ Widerspruchslos ließ er sich von ihm zu einer Eskorte mit fünf weiteren Soldaten führen. Sie waren schwer bewaffnet und nahmen ihn in ihre Mitte. Dann wurde er zum Hof des Pharaos geführt. Er wusste, dass er wahrscheinlich zum letzten Mal die Sonne sehen würde. Was sollte er sagen, wenn man ihn in den Staub vor des Pharaos Füßen werfen würde? Vielleicht würde er auch keine Gelegenheit haben zu sprechen. Man würde ihm vielleicht sofort die Kehle durchschneiden.

      Der Hof des Pharaos war nicht weit weg vom Tempel. Er war von einer hohen Mauer aus Ziegelsteinen umgeben. Fahnen auf der Mauerkrone kündeten von der Rückkehr des Pharaos. Doch die überschwängliche Freude, die ansonsten herrschte, konnte er nirgendwo erkennen. Nur am Rande nahm er einen großen, rauchenden Holzhaufen wahr, bevor sie durch das große Eingangstor den Innenhof betraten. Dort wartete er mit der Patrouille auf das, was kommen würde. An Flucht war nicht zu denken, überlegte Senenmut. Der einzige Eingang war voller Soldaten. Fanfaren ertönten. Senenmut erstarrte zu Eis. Alles kniete nieder, und nur zu gern gab Senenmut seinen weichen Knien nach und folgte. Der Pharao kam aus dem Schatten hervor und ging direkt auf Senenmut zu. Der zitterte am ganzen Leib.

      „Erhebe dich!“, befahl Thutmosis. Senenmut kam schwankend empor, hielt aber seinen Blick am Boden. Ein dicker Kloß steckte in seinem Hals.

      „Du kennst meine Tochter Hatschepsut?“

      „Ja, Herr.“ Leise nur kam Senenmuts Antwort.

      „Ihr wart zusammen in der Totenstadt am westlichen Ufer?“ Er nickte nur schwach. Der Schweiß lief ihm kalt herunter. Er erwartete jeden Augenblick die scharfe Klinge eines Schwertes an seinem Hals.

      „Sie hat mir erzählt, dass du sie vor einem stürzenden Felsblock bewahrt hast. Das war sehr mutig von dir! Ich danke dir dafür!“ Senenmut klopfte das Herz. Er holte tief Luft, das Blut kehrte allmählich in seine Wangen zurück. Thutmosis streckte die Hand unter sein Kinn und hob Senenmuts Kopf etwas an. Er blickte in sein Gesicht. Senenmut hatte sich noch immer nicht ganz von seinem Schrecken erholt.

      „Die Augen deines Vaters. Ich sehe, du hast auch seinen Verstand geerbt“, sinnierte Thutmosis. „Du weißt noch nicht, welchen Dienst du ganz Ägypten erwiesen hast. Du kanntest auch Nef-Sobek?“ Die gewählte Form der Vergangenheit erschreckte Senenmut.

      „Ja, Herr, ich kenne ihn.“

      „Du hast als Erster bemerkt, dass etwas nicht in Ordnung ist mit den Kornspeichern. Deine Botschaft an Hapuseneb hat ihn veranlasst, die Verwaltung genauer unter die Lupe zu nehmen. Nef-Sobek hat das Korn zu seinem eigenen Nutzen an die rebellischen Nubier verkauft. Noch dazu haben ihm die Nubier Gold gegeben, damit er das Korn in den Speichern verrotten lässt. Wenn unsere Soldaten nichts zu essen haben, werden sie nicht gegen die Nubier kämpfen können.“ Senenmut begann, zu verstehen. Hatschepsut hatte in seinem Namen eine Botschaft an Hapuseneb geschickt.

      „Wir werden gegen die Nubier in den Krieg ziehen. Gott sei Dank haben wir genug Beute aus Mitanni dabei“, verkündete der Pharao. „Höre, Senenmut. Ich ernenne dich zum Imir Schenuti en Imen, dem Aufseher der Getreidespeicher des Amun!“ Er reichte ihm ein goldenes Armband. „Zum Lohn für die Rettung meiner Tochter gebe ich dir dieses Armband!“ Thutmosis legte ihm seine Hand auf den Kopf.

      „Amun hat es so gewollt!“, bekräftigte Thutmosis. „Lang lebe Amun!“, riefen alle. „Lang lebe Thutmosis!“ Der Pharao wendete sich um und stieg die Stufen zum Palast empor. Dann drehte er sich noch einmal um. „Volk von Ägypten! Hört den Wunsch des Amun. Nach meinem Tod soll mein Sohn Thutmosis Pharao werden. So ist der Wille der Götter!“ Dann ging er in den Palast zurück und verschwand hinter den großen Eingangstoren.

      Senenmut brummte der Kopf. Eben noch hatte er seinen Tod erwartet. Und jetzt hatte er einen der wichtigsten Posten des Amun-Tempels erhalten. Wer da wohl am Rad gedreht hatte? Innerlich musste er lächeln. Scheinbar konnte auch ein Sohn der Götter nicht der Überzeugungskraft seiner Tochter widerstehen. Was aber war aus Nef-Sobek geworden? Er fragte einen Soldaten, der ihn eskortiert hatte.

      „Sein Kopf ziert die Spitze der Kornspeicher, Herr!“ An diese Anrede würde er sich erst gewöhnen müssen. „Und der rauchende Haufen da draußen ist der Rest von ihm und seiner Familie.“ Man hatte ihn verbrannt! Und noch dazu seine Familie! „Nicht er alleine, sondern auch seine Söhne waren an dem Verrat beteiligt. Wir fanden einen Brief aus Nubien bei ihnen. Darum mussten sie sein Schicksal teilen.“ Und welch ein Schicksal! Nichts war eine schlimmere Strafe, als der Tod im Feuermeer.

      Senenmut schauderte. Nur der Pharao selbst durfte dieses Urteil sprechen, denn wer im Feuer starb, dessen Körper war für immer verloren. Nie würde er die Felder von Iaru schauen können. Sein Ka und sein Ba würden ziellos umherstreifen und schließlich