Название | Korridorium – letzte Erkenntnisse |
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Автор произведения | Cory d'Or |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783847660934 |
Mein Freund Norbu reibt sich das Kinn. »Ist dir nie in den Sinn gekommen, dass es für diese Ähnlichkeiten vielleicht gar keine Kontakte auf dem Seeweg brauchte?«
»Du meinst, das ist alles reiner Zufall?« Enttäuscht nehme ich mein vergilbtes und schon langsam auseinanderfallendes Notizbuch zurück.
»Nein, mitnichten. Aber du hast dich doch auch mal mit Schamanismus auseinandergesetzt …«
Ja, richtig, Schamanen gab es auch in fast allen Kulturen der Welt, Heiler, die in Kontakt mit der Geisterwelt und mit den Ahnen standen.
«Und möglicherweise auch«, meint mein Freund Norbu, »in Kontakt miteinander.«
Es dauert einen Moment, bis die Erkenntnis in mich einsickert. »Du meinst: über die Weltmeere hinweg, von Volk zu Volk? Und das – telepathisch?!« Norbu weist bestätigend auf mein Notizbuch. »Hm. Schamanen der europäischen Megalith-Kultur tauschen sich geistig mit denen der Proto-Amerikaner aus …«, stelle ich mich vor. Und klar: Das könnte auch die Ähnlichkeit der Pyramiden erklären, oder die Tatsache, dass nicht nur die Ägypter ihre Toten mumifizierten, sondern auch einige Indiostämme. Die Schamanen kennen neben der Unterwelt der Toten und der oberen Welt mit hilfreichen Geistern nämlich auch die mittlere Welt – das astrale Gegenstück zu unserer Tages-Wirklichkeit und ihr Widerschein in der geistigen Welt. Auf Reisen in die Mittelwelt könnten die Schamanen früherer Zeiten, losgelöst von Raum und Zeit, fremde Kontinente und Zivilisationen besucht haben – und damit auch ihre jeweiligen Kollegen.
»Vielleicht aber auch nicht«, reißt mich Norbu aus meinen Überlegungen. »Es gibt Hinweise darauf, dass es noch vor den Wikingern Kontakte zwischen Europa und beiden Amerikas gab. Die Chinesen, die Römer, Griechen, Ägypter und Phönizier – sie alle sollen dagewesen sein und Handel mit den Kulturen dort getrieben haben. Und vielleicht auch schon die xithvölker. Und das alles, ohne dass ein Atlantis als Eselsbrücke fungieren musste.«
Ich sehe wahrscheinlich etwas enttäuscht aus, denn mein Freund Norbu fügt tröstend an: »Aber natürlich ehren dich deine frühen Recherchen. Wer weiß, ob sie nicht doch noch einmal wichtig werden und neue Antworten geben? Oder neue Fragen aufwerfen?«
Ich weiß, dass mein Freund Norbu das nicht ernst meint, aber fühle mich trotzdem auf seltsame Weise bestärkt, und der junge, neugierige Vierzehnjährige, der irgendwo noch in mir steckt, freut sich, eine späte Bestätigung dafür zu bekommen, bedeutende Grundlagenforschung betrieben zu haben.
Ich halte mein Notizbuch fest in der Hand, als ich davonradle, und beschließe, es nicht wieder zurück in eine verstaubte Schublade zu stecken, sondern ihm einen Ehrenplatz auf meinem Regalbrett mit Frühwerken großer Genies einzuräumen.
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2.3.12
Ich betrete den Korridor nur unwillig. Unter Protest. Mit hängenden Schultern. Widerstrebend. Nur ungern. Zögernd. Und mir ist nicht wirklich wohl dabei.
Ich betrete den Korridor federnden Schrittes. Von Vorfreude erfüllt. Ein beschwingtes Lied auf den Lippen. Voll Zuversicht. Energisch. In bester Laune. Ohne viel Federlesens. Und kann es kaum erwarten.
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5.3.12
Ich betrete den Korridorium-Bus und entrichte den Fahrpreis bei der Fahrerin. Sie hat rotgefärbte Haare und berlinert. Ich traue mich nicht, sie zu fragen, ob vielleicht sie Cory d’Or ist, die Autorin des Korridorium-Blogs ist, sondern erkundige mich nur bei ihr, ob es Texte aus dem Blog zu hören gibt. »Weeß ick nich jenau. Lass dich ma übaraschen«, rät sie mir.
Es ist ein alter Doppeldecker, der übers Land tourt und eine »mobile meditative Musikreise« anbietet, die eine ganze Nacht lang dauern soll. Seine Fenster sind verhängt, und ich betrete den abgeteilten Fahrgastraum von der Fahrerkabine aus durch einen schweren Vorhang. Erst einmal sehe ich – so gut wie nichts. Während sich der Bus wieder in Bewegung setzt, gewöhnen sich meine Augen langsam an das Dunkel. Leise Ambientmusik mischt sich in die Fahrgeräusche.
»Die Nummer zwee, Treppe hoch und links die dritte«, hatte mir die Fahrerin gesagt. Inzwischen kann ich die Treppe erkennen – und die einzelnen Kojen, die den Mittelgang säumen. In den Flugblättern wurde erklärt, dass es sich um ein Konzert handelt, dass man im Liegen hört. Ich kann nicht erkennen, wie viele von den Liegen besetzt sind.
Als ich die Treppe hochsteige, komme ich wohl nah an einem Lautsprecher vorbei, denn an meinem linken Ohr flüstert eine Stimme die Frage: »Wer bin ich (und warum nicht gleich so)?« Die Klammern kann ich natürlich nicht hören, aber so stand es auf dem Programmzettel. Darum geht es bei dieser nächtlichen Reise, das ist sozusagen der Titel und das Angebot des Konzerts: darüber zu meditieren.
Der Bus legt sich in eine Kurve, und ich muss mich festhalten. Zwischen den Kojen begegne ich im Dämmerlicht einer Frau, die der Fahrerin aufs Haar gleicht und mir mit einer einladenden Bewegung Tee aus einer großen Thermoskanne anbietet. Sind es Zwillinge? Während ich den Becher von ihr entgegennehme, fragt sie mich flüsternd ins Ohr: »Wer bist du – und warum nicht gleich so?« Mir fällt keine passende Antwort ein. Aber die Nacht ist ja noch jung.
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6.3.12
Ich betrete den Korridor nach einem viel zu kurzem Schlaf. Aber so ist das hier im Schlaflabor: Die Arbeit fällt hauptsächlich nachts an – die Probanden schlafen, die Forscher wachen und sammeln Daten. Diesmal versuche ich mit einer Probandin zu kommunizieren, die das Klarträumen beherrscht. Ich trete in unseren Kontrollraum, von dem aus wir nach drei Seiten durch halbverspiegelte Scheiben in enge Schlafzimmer sehen. Nur ein Bett ist belegt.
Als mir der Enzephalograph anzeigt, dass die Studentin träumt, lasse ich drei helle rote Blitze ihr kleines Zimmer erhellen – als vorher abgesprochene Hilfe für sie, innerhalb des Traumes zur Luzidität zu erwachen, und eine Art Anklopfen bei ihr, dass wir sie kontaktieren möchten. Sie ist eine unserer erfahrensten Klarträumerinnen.
Die Bewegungen ihrer Augäpfel lassen, zeigt mir der entsprechende Monitor, jetzt ein Muster erkennen. Erst achtmal ein Ruck nach links, dann einmal, dann zwölfmal und noch einmal zwölfmal, dann fünfzehnmal. Ein simpler Code: Sie hat mir gerade »Hallo« gesagt.
Über Lautsprecher frage ich, ob sie mich hören kann. Der Enzephalograph zeigt, dass sie schläft und träumt. Trotzdem signalisiert sie mir mit ihren Augen: »Ja«. – »Dann los!«, sage ich. Sie kennt ihre Aufgabe. Sie soll – im Traum und ohne aufzuwachen – ihren Körper hochschweben lassen bis über den Schrank in ihrem Raum und uns durchgeben, was für eine Zeichnung sie sieht. Die haben wir – ohne sie selbst zu kennen, denn sie wird per Zufall ausgewählt – dort oben für sie platziert.
Kurze Zeit später signalisiert sie mir mit unserem etwas umständlichen, dafür aber simplen Code: »toter Vogel«. Gespannt eile ich zum Schrank.
Es ist kein toter Vogel, sondern die Buchstaben-Zahlen-Kombination F-B3T-42. Ich bin ein wenig enttäuscht, aber als Wissenschaftler darf man sich nicht von Erwartungen leiten lassen, sondern muss sich allein an den Fakten orientieren. Und diese legen nahe, dass sie zwar geträumt