Plötzlich auf Föhr. Rainer Ballnus

Читать онлайн.
Название Plötzlich auf Föhr
Автор произведения Rainer Ballnus
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738095678



Скачать книгу

der Räuber richtete seine Waffe gezielt auf den Filialleiter und brüllte:

      „Fallen las­sen! Sofort fallen lassen! Das Geld hinein, sonst knallt's!“

      Matthießen erkannte den bitteren Ernst, ließ Elke sanft auf den Fußboden zurückgleiten, nahm die Tüte und zog die Geldschublade auf.

      Die Kunden waren seit Beginn des Über­falls wie angewurzelt auf ihren Plätzen stehen ge­blieben. Niemand wagte jetzt, sich zu rühren oder doch?

      Der Landstreicher meinte, eine günstige Chance zur Flucht erkannt zu haben. Vorsichtig setzte er seinen linken Fuß nach hinten und zog den rechten langsam nach. Schritt für Schritt kam er der Eingangstür näher. Er jubilierte innerlich. Von den anderen hatte nur Karl Padow das Manöver mitbekommen und überlegte gerade, ob er es auch noch schaf­fen würde, da hörte er die Rentnerin Erna Jensen lospoltern:

      „Sie sollten sich schämen! Gehen Sie lieber einer ehrlichen Arbeit nach, Sie - Sie Verbrecher!“

      Padow, Hans, aber auch der Filialleiter er­starrten. Alle blickten gebannt auf den Räu­ber.

      Doch der schnauzte den Banker nur an: „Machen Sie weiter, Mann!“

      Dann drehte er sich halb zur Rentnerin um und erkannte dabei sofort die Absicht des Landstreichers.

      „He, du Stinkbolzen, was soll das denn werden? Zurück, marsch, marsch!!“

      Unmissverständlich zielte er mit der Pistole auf den Landstreicher und dieser schlich wieder zurück an seinen alten Platz. Erna Jensen warf er noch einen wütenden Blick zu und auch Padow schüttelte missbilligend den Kopf. ‚Stinkbolzen’ hatte dieser Mensch zu ihm gesagt. Der Landstreicher, der auf den Namen Hans hörte, kochte innerlich. Er hatte bisher noch keine Bank ausgeraubt, obwohl – so reizlos war die Sache eigentlich gar nicht. Nur hier auf Föhr, nein, das kam nun überhaupt nicht infrage. Schließlich hatten sein Kumpel Paul und er in der letzten Zeit hier eine feste Bleibe gefunden.

      Am Stadtrand sollte die Straße verbreitert werden und Paul hat­te einen Bauwagen ausgemacht, der nicht ver­schlossen gewesen war. Seit drei Wochen konnten sie jetzt schon ihre müden Glieder nachts auf den Sitz­bänken in der warmen Bude ausstrecken. Und wie es aussah, würde es noch einige Zeit so weitergehen können.

      Zu­mindest meinte das sein Partner und der musste es ei­gentlich wissen, denn er hatte ja schließ­lich im Straßenbau gear­beitet, bevor er arbeitslos wurde.

      Gearbeitet! Wann habe ich denn das letzte Mal 'malocht', musste er innerlich grinsen. Das dürfte jetzt schon runde zwanzig Jahre her sein, dass ich zum letzten Mal einen Spaten in der Hand gehabt habe.

      In einer Gärt­nerei war er als ungelernte Kraft beschäftigt gewe­sen. Wie ein Stück Dreck hatten sie ihn behan­delt. Selbst dem Hund seines Arbeitgebers war es bes­ser ergangen als ihm, denn der wurde schließlich hin und wieder gestreichelt - aber er?

      Und die Bezah­lung! Ganze 450 Mark hatte er damals auf die Hand bekommen und das bei der Schufterei, manchmal bis zu zehn Stunden am Tag.

      Nein – das hatte er nun wahrlich nicht nötig. Du steigst jetzt aus und lebst von der Fürsorge, die ist schließ­lich höher als dein jämmerlicher Lohn und dann wirst du erst einmal die Welt kennen lernen.

      Bei dem letzten Gedanken ver­zog sich sein Gesicht zu einer Grimasse. Die Welt kennen lernen! In zwanzig Jahren war er von Krempe bei Itzehoe über Kiel, Schleswig, Heide, Husum und jetzt schließlich auf der Insel Föhr gelandet.

      Hier gefiel es ihm am besten - auch wenn es Win­ter war. Trotzdem war es nicht so kalt wie auf dem Festland und noch etwas kam hinzu: Die Leute waren richtig nett zu ihm.

      „Hans, besorg' uns doch ein paar Bröt­chen und 'ne Buddel Bier. Ich hab' noch zwei Euro und fünfzig Cent in der rechten Ho­sentasche.“ Das hatte Paul ihm noch nachgerufen, als er heute Morgen den Bauwagen verließ. Ja, der gute Paul. Ihm war es auch nicht besser er­gangen. In Kiel hatte er ihn auf einer Parkbank ge­troffen. Dort hatte er ihm seine ganze Lebensgeschich­te anvertraut. Dem war inzwischen alles egal. Per­sönli­che Ziele hatte er überhaupt keine mehr. Die Hauptsache für seinen Partner war, dass er bei ihm war.

      Er dagegen träumte immer noch vom gro­ßen Gewinn. Trotz der zwanzig Jahre des Her­umzigeunerns hoffte er, dass es ihm eines Tages noch einmal blendend ergehen würde - ohne zu arbei­ten, ver­steht sich. Er vertraute dabei ganz und gar auf sein Glück. Und so lei­stete er sich auch den einzigen Lu­xus, einmal in der Woche Lotto zu spielen.

      Irgendwann musste es einfach klappen und dann, dann zeige ich es allen - ich der 'Große-Hans-im-Glück'.

      „Ne, Paul, ich habe heute keine Lust und auch gar keine Zeit. Du weißt doch, es ist Freitag, da brauche ich meine Lottozah­len. Du solltest es auch einmal versuchen, an­statt dir den Wanst mit Brötchen vollzuschlagen. Mach's gut“, hatte er ihm kopfschüttelnd geantwortet.

      „Du mit deinen albernen Zahlen. Wie viel Bier du dir dafür schon 'reinzie­hen' könn­test. Wir sehen uns sicherlich später an der Promenade, wenn du deine dämlichen Lottozah­len gefunden hast“, hatte Paul ihm spöttisch hinterher gerufen. Und obwohl die Situation mehr als ernst war, musste Hans jetzt schmunzeln. Ja, so war es wirk­lich. Je­den Freitag zog er morgens an den Strand und 'such­te' sich seine Lottozahlen. Entweder zählte er alle Schiffe auf dem Meer, die er auf den er­sten Blick ausmachen konnte, oder aber eine Hausnum­mer musste dafür herhalten. Manch­mal zählte er auch die Spa­ziergänger, die er zu Gesicht bekam. Und so war er auch heute Morgen losmarschiert.

      „Du 'Klugscheißer', pass' mal auf. Heute lande ich bestimmt den Volltreffer!“, hatte er bereits im Gehen und mit drohendem Arm dem in der Bauwagentür stehenden Paul zugerufen und der hatte noch gekontert: „Pass' nur auf, dass dich heute nicht die ‚Bullen’ kassieren!“

      Und nun? Nun war er zwar nicht von den Bullen geschnappt worden, dafür aber Zeuge eines Banküberfalls! So etwas hatte er noch nie erlebt! Unglaublich!

      „Oh, das tut mir leid.“ Die Rentnerin holte ihn aus seinen Gedanken zurück. Ihr war jetzt wohl selbst bewusst geworden, was sie angerich­tet hatte, denn sie hielt erschrocken die Hand vor den offenen Mund.

      Der Räuber dreht sich gerade wieder zum Filialleiter um, da hörten sie es alle: das laute Martinshorn. Über die Gesichter der Kunden huschte Erleichterung, doch dem Filialleiter blieb fast das Herz stehen.

      Auch der Gangster erkannte natürlich die für ihn brenzlige Situation sofort, langte mit der linken Hand durch die vordere Öffnung der gläsernen Kassenbox, bedrohte die Kunden mit der Waffe und schrie:

      „Los! Her mit dem Geld!“

      Matthießen zögerte für einige Sekunden, doch dann gab er nach.

      Der Mann riss ihm die Tüte aus der Hand, dann raste er zur Tür und stieß sie auf.

      Draußen quietschten Brem­sen.

      Der Ganove stoppte abrupt, machte einen Schritt zurück in die Bank und schlug die Tür von innen zu. Der Filialleiter hatte für den kurzen Moment den Polizeibeam­ten Feller erkannt und verdrehte die Augen. Der Gangster brüllte:

      „Wo ist der Schlüssel für die Tür? Los! Schließen Sie schnell ab!“

      Und Matthießen hörte noch ein leises: „So ein gottverdammter Mist.“

      Der Filialleiter hatte sich wieder einigerma­ßen im Griff und reagierte ruhig.

      „Den hat die Kassiererin in der Ta­sche. Einen Augenblick, ich hole ihn sofort.“

      „Los! Mann! Beeilen Sie sich!“

      Für einen Augenblick stutzte Klaus Matthießen. Da schwang so etwas wie Angst mit in seiner Stimme. Doch egal, er musste jetzt gehorchen. Er warf noch einen Blick zu den Kunden. Die drei standen verschüchtert in der äußersten Ecke. Die beiden Männer stützten die Rentnerin, über deren Wangen ein paar Tränen liefen. Bei Elke Mommsen angelangt, bückte er sich und zog aus ihrer Rockta­sche den Schlüssel für die Eingangstür. Gerade wollte er wieder