Название | Geschichten aus Friedstatt Band 2: Flammendurst |
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Автор произведения | Christian Voss |
Жанр | Языкознание |
Серия | Geschichten aus Friedstatt |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783742781253 |
Gerade hatte sie die Talsohle erreicht, da blieb sie erschrocken stehen – eine Person trat aus den Schatten der überhängenden Felszunge – erst war nicht auszumachen, ob es sich tatsächlich um einen Menschen handelte. Schena erschrak. Jetzt hatte sie Gewissheit. Ihr toter Ziehvater stand vor ihr. Dremrich sah hervorragend aus, wie das blühende Leben – besser als zu Lebzeiten.
"Vater?!" Die Erscheinung begann erkennend zu lachen – blieb aber bis auf weiteres stumm.
Schena lief auf ihn zu, die abweisende, angsteinflößende Umgebung war vergessen.
"Vater – ich habe dich so vermisst!" Das Abbild rührte sich nicht. Schena wich ängstlich und enttäuscht zurück, denn das Double war eiskalt und starr.
"Vater?" Der aufkommende Zweifel ließ ihre Stimme zittern.
Die Erscheinung nickte. Dremrich drehte sich um, sah zurück und winkte seiner Tochter ihm zu folgen.
Sie stand unschlüssig da, Blitze zuckten, der Donner hallte ohrenbetäubend nach.
Sie folgte seiner Aufforderung, aber nur sehr langsam. Sie konzentrierte ihren Blick auf die Erscheinung. Die Umgebung begann zu schwanken, auszubluten und stellenweise zu verblassen.
Ein Tor sprang auf, wie aus dem Nichts – es ähnelte den legendären Mondtoren, die die Zwerge einst in ihren Schriften erwähnten. Eine Art Transportmittel, abhängig von den jeweiligen Mondphasen. Sie kannte sie aus Abbildungen alter Schriften. In ihrer Jugend gewährte ihr Dremrich oft Zugang in die reichhaltige Bibliothek von Friedstatt – dort studierte sie aufmerksam und mit steigendem Interesse ausgewählte Schriften. Drem verschwand in einem gleißenden Lichtpunkt.
Es wurde heiß, ein glühender Wind wehte roten Sand heran. Die Sonne stach feindselig herab. Kannte sie diese Wüste? Drem winkte von oben herab, er stand plötzlich und unerwartet auf einer meterhohen Sanddüne. Der feine Sand summte geheimnisvoll. Es klang wie ein bekanntes Wiegenlied. Schena folgte. Vorsichtig tastete sie sich nach oben. Drem hatte bereits den Kamm erreicht und starrte abwartend in die glühende Ferne.
Er deutete in eine bestimmte Richtung. Oben angekommen, sah sie Rauch aufsteigen, dort am Horizont befanden sich flache Hütten. Ihre Dächer sahen aus wie riesige, schwarze Schildkrötenpanzer fest aneinandergefügt, im täglichen Abwehrkampf gegen die flirrende Hitze.
In dem Moment wo ihre Augen diese Szene erfassten, war es als flöge sie dorthin. Im Sturzflug näherte sie sich der Mitte der kleinen Siedlung, um kurz darauf rasend schnell in einen Schacht hinabzufahren, geradewegs ins unbekannte Dunkel der Erde. Sie eilte an Erzadern vorbei, die lebhaft in der Erdnacht funkelten. Es dauerte gefühlte Stunden, bis diese Fahrt in den Schacht abrupt endete. Sie sah Türme, Häuser, Mauern, Gassen und Wege – hell erleuchtet und belebt. Musik tönte heran, Lachen. Scharen von Kindern spielten ausgelassen und die Alten sahen ihnen fröhlich dabei zu. Ein Sternenhimmel aus Erzen funkelte über dieser ausgelassenen Szenerie. Sie befanden sich in einer ausgedehnten Grotte, so gewaltig, dass eine ausgewachsene Stadt der Menschen dort Platz fand, doch die Bevölkerung unterschied sich ganz deutlich. Es war eine Stadt der Demarow, der Erdelfen.
Gerade als sie begann das Treiben unter ihr zu genießen, brach Licht von oben herein. Riesige Steinquader regneten herab und zertrümmerten umliegende Gebäude. Die Erdelfen schrien, die Weiber kreischten und heulten, die Kinder flohen und versuchten teils vergeblich diesen planetengroßen Brocken auszuweichen. Dumpfe Schläge drangen von überallher an ihre sensiblen Ohren.
Die Decke brach ein – immer mehr Licht flutete dieses Refugium unter der Erde. Drem stand still und regungslos neben seiner Stieftochter und starrte ungerührt in das Verderben, das die Stadt auszulöschen drohte.
"Tu doch was – nein! So etwas darf einfach nicht passieren!" Ihre Stimme überschlug sich.
Schena liefen die Tränen in Strömen – sie fühlte sich schwach und ausgeliefert.
Drem nickte mechanisch und sah nach oben. Schena folgte seinem starren Blick. Zahllose Feuer brannten bereits zwischen den Trümmern unter ihr, es wurde spürbar heiß und die Schreie, die aus dem angerichteten Chaos drangen, klangen immer verzweifelter.
Zwischen den Steinen fiel noch etwas anderes in die entstandenen Risse und Öffnungen. Schena kannte sie nur aus Erzählungen, aber für sie waren es eindeutig und unverkennbar „Syders“. Hunderte, Tausende – unzählige fielen in Trauben herab.
Ein schier unendlicher Strom floss in die Höhlen, ein Überlebenskampf von ungeheurer Wildheit entbrannte, doch am Schluss, wurden die verzweifelt Kämpfenden einfach überflutet und fortgerissen. Schena raufte sich die Haare, die Männer fielen vor ihren Augen, die Frauen wurden gnadenlos massakriert. Blut strömte und Köpfe rollten, die von Magie verseuchten Wesen, töteten ohne Skrupel. Die Rüstung und ihre Waffen waren untrennbar mit ihnen verbunden und nahmen ihnen jegliche Regung von Menschlichkeit und Mitgefühl. Schena spürte plötzlich eine ungeahnte Leichtigkeit. Der Boden unter ihr fiel hinab, während sie für einen Moment in der Luft schwebte. Weitere Scheusale tropften herein und flossen weiterhin in Strömen von Körpern an ihr vorbei. Sie zappelte wild und klammerte sich haltsuchend an ihren Ziehvater, der genau wie sie schwerelos in der Luft ausharrte. Und plötzlich fielen sie. Fühlbar drängte ihr Herz in ihre Kehle, sie keuchte atemlos und glaubte jeden Moment zu ersticken. Alles verschwamm – Schreie der Verzweiflung begleiteten schneidend ihren Sturz ins Dunkel.
Der Nebel war verraucht. Es roch würzig, ihr war augenblicklich kalt, ein Schauer lief durch ihren Körper.
Sie spürte Übelkeit. Noch immer kniete sie vor ihrem Altar. Das Rehwisch–Kraut war niedergebrannt. Ein Haufen Asche, mehr nicht. Schena brauchte eine gewisse Zeit, um sich zu orientieren. Tausend Augen – Syders – sie ließ die wirren Bilder vor ihrem inneren Auge Revue passieren. Was hatte sie gesehen? Die Zukunft oder die Vergangenheit ihres verschollenen Volkes? Und was suchte Ihr Vater in ihrer Vision? Die Syders waren auf dem Marsch, diese beunruhigende Wahrheit war in Friedstatt in aller Munde. Die Garnison vergrätzt, bezogen Prügel von den Orks – auch ein unhaltbarer Zustand, wie Schena fand. Dieser greise Stadthalter erwies sich als sitzfest, er war nicht bereit seine Macht zu teilen oder in Gänze aufzugeben, an einen dahergelaufenen selbsternannten König. Die Krise hatte seine Position nur gestärkt.
Schena erhob sich von ihren Knien. Der Bellerasier lief gerade an der Kammer vorbei. Sein Erscheinungsbild erschreckte sie mehr, denn je. Statt ihm neugierig nachzustarren, wie sie es sonst tat, schloss sie die Tür ihrer Kammer.
Wie konnte es zu so einer erschütternden Vision kommen?
Sie gab zuallererst dem Kraut die Schuld, sicher war es mit Magie versetzt worden – gestreckt, um mehr Kunden anzulocken. Sie beschloss den verantwortlichen am nächsten Tag auf dem Basar aufzusuchen und ihn zur Rede zu stellen. Sie vermisste ihren Vater, es war hart sich allein durchzuschlagen, mit seinem Tod war ihre Kindheit beendet. Jetzt war sie Primus der Arena und nach den Vorfällen von vor drei Monaten auf der schwarzen Liste der Inquisition. Die Luft wurde merklich dicker in Friedstatt.
Es