Der Krieg. Barbara E. Euler

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Название Der Krieg
Автор произведения Barbara E. Euler
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742794246



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      Langsam schritt Herigold auf das Tabernakel zu.

       Gloria Patri et Filio et Spiritui Sancto, sicut erat in principio et nunc et semper et in saecula saeculorum, amen. Amen! Amen!

      Das Tabernakel, goldbeglänzt, üppig, thronte mitten im Chorraum, hoch ragte es hinter dem Altar auf und der Großmeister hob die sanfte Hand und passte den Schlüssel in das Schloss, geräuschlos in der ehrfürchtigen Stille, die dem letzten Amen des Gesangs gefolgt war; geräuschlos drehte er den Schlüssel und wie ein Schweben war’s, als die goldene Tür sich auftat und das schwere, silbergolden geschmiedete, über und über ziselierte und mit Rubinen vollendete Geschirr freigab – die massiven Kelche für den Messwein, den schweren, geschwungenen Krug, grazile Teller und unter dem golddurchwirkten, aus Atlasseide gefertigten Velum das Ziborium mit den Hostien. Wie betäubt kniete die Gemeinde nieder.

      Im Anblick des Heiligtums warf auch Herigold sich auf die Knie. Lang verharrte er so, die Arme auf dem Boden ausgebreitet wie der gemeinsten Diener einer, unbewegt. Aller Augen lagen auf dem Großmeister. Wie einer der ihren war er, niedrig und gering, nicht achtete er seines Ranges und seiner Macht. Sanftmütig war er und gerecht, erfüllt von heiliger Demut wie keiner, aber auch keiner der Großmeister vor ihm.

      Kleine Schellen kündigten die Kollekte an und riefen die Menschen in die Wirklichkeit zurück. Alle erhoben sich und tasteten nach ihren Beuteln, während Herigold reglos liegen blieb. Weißgekleidete Mädchen und Jungen brachten mit zarten Glöcklein versehene Rietkörbchen, aus Kapellen und Nischen traten sie heraus und gingen mit ihren kleinen Schritten auf die Gläubigen zu. Zu einem jeden gingen die Kinder hin, sie waren zu vielen und sie waren stolz und sie lächelten und verneigten sich gar viele Male ob der Gaben, die ihnen reichlich in die Körblein dargebracht wurden. Auch zu Cornelis kamen sie. Ein Mädchen kam zu ihm, das zu kluge Augen hatte für eines, das wohl fünf war oder sechs. Alte Kinderaugen; als Bader hatte er solche gesehen, oft kam es vom Hunger. Dies hier war wohl genährt. Es gab andere Gründe. Rasch warf Cornelis seine Münze ein und empfing ein strahlendes Lächeln von dem Kind. Er fröstelte.

      Dann war die Kollekte vorbei. Langsam, sehr langsam nur hob Herigold den schmalen Oberkörper von dem kalten Stein, sehr langsam. Kniend führte er die zarte Rechte an die Stirn, die linke Schulter, die rechte. Ein Junge näherte sich mit einer silbernen Wasserschüssel, in die der Großmeister die feinen Hände tauchte. Ein zweiter kam mit weichem Tuch und tupfte das Wasser von des Großmeisters Händen. Die Jungen verbeugten sich und zogen sich mit ihren Utensilien zurück. Herigold erhob sich in einer einzigen gleitenden Bewegung, bis er stand und die Rechte an das bestickte Velum brachte und es hochhob und behutsam beiseitelegte.

      Da stand es, das Ziborium, aus reinem Golde gefertigt und von einem Glanz, wie kein Irdisches ihn verbreitete. Langsam, zögernd nur, hob Herigold die Hände zu dem Wunderkelch auf, zu beiden Seiten hielt er sie, ohne den Kelch zu berühren, fasste dann sich ein Herz und legte die feinen Hände an das goldene Gefäß und nahm es aus dem Tabernakel heraus und wandte sich den Menschen zu, hielt es den Menschen hin, hoch hob er es, dass ein jeder es sähe, dass ein jeder spürte und erfasste, dass das Köstlichste nun ganz nahe war.

      Behutsam platzierte der Großmeister dann das kostbare Ziborium auf den weichen Tuchen des Altars und fiel wiederum vor ihm auf die Knie, gemeinsam mit dem Oberpriester, und gemeinsam murmelten sie ein Dankgebet in der Heiligen Sprache der Kirche, ehe sie sich erhoben und melodischer Orgelklang erblühte und die Feier der Eucharistie begann.

      In einer geschmeidig fließenden Kette brachten nun Messdiener das goldene Geschirr aus dem Tabernakel heran. Eins um eins übergaben sie dem Oberpriester ihre kostbare Fracht – die flachen Schalen, erhaben in ihrer Schlichtheit, die üppig geschwungene goldene Kanne mit dem Messwein, in deren eingepassten Deckel ein Diamant glitzerte, und einen rund getriebenen Kelch mit schwerem Fuß, in dessen Mitte ein breit ausladender Nodus, einem Knauf gleich zum besseren Greifen des Kelchs, filigran ziselierte Szenen aus dem Leben Jesu Christi abbildete, auf dass alle, die es sähen, es verstünden, auch ohne der Heiligen Sprache Zeichen mächtig zu sein. Freilich mussten der meisten Augen dafür scharf sein, sehr scharf, denn der Kelch verließ nicht den Chorraum und die Gemeinde sah ihn stets von ferne nur.

      Mit einem Kniefall und einer Bekreuzigung nahm der weiß gekleidete Oberpriester ein jedes Teil des kostbaren Geschirres an und setzte es lautlos auf des Altares weiche, dicht gewebte Decke. Geschmeidig hob dann Herigold seine segnende Hand darüber, Stück um Stück segnete er und sprach andächtig und leise seine Gebete, um des Allerhöchsten Wohlgefallen flehend.

       Quam oblationem tu, Deus, in omnibus, quæsumus, benedictam, adscriptam, ratam, rationabilem, acceptabilemque facere digneris: ut nobis Corpus et Sanguis fiat dilectissimi Filii tui, Domini nostri Jesu Christi.

      Jetzt hob Herigold den Deckel vom goldenen Ziborium, das die runden, von sorgenden Nonnen mit Hingabe gebackenen Hostien enthielt, und nahm eines der feinen, hauchdünn gebackenen Plättchen zwischen die zarten Finger und hielt es langsam hoch und legte den dunklen, warmen Blick darauf, sehr lange.

       Qui pridie quam patertur, accepit panem in sanctas, ac venerabiles manus suas, et elevatis oculis in caelum ad te Deum Patrem suum omnipotentem, tibi gratias agens, benedixit.

      Behutsam bettete Herigold endlich die Hostie auf die mit einem kostbaren Spitzentuch bedeckte Patene und trat demütig zurück, damit der Oberpriester das Weihrauchopfer über der Hostie auf dem Goldteller spenden konnte. Würzig und warm umhüllte der Duft den Altar; den Großmeister; die Priester und Messdiener; den König, die Königin; die Wachen; ein Hauch des heiligen Rauches schwebte auch über die Gläubigen im großen Kirchenschiff, die andächtig niederknieten.

       Fregit, deditque discipulis suis, dicens: Accipite, et manducate ex hoc omnes. Hoc est enim corpus meum.

      Das leise Knistern, als er unterm Sprechen die zarte Hostie brach, dröhnte durch die ehrfürchtige Stille. Wie auf einen geisterhaften Befehl traten jetzt Königin und König und die notabelsten der Kleriker und Edlen aus den Reihen des Chorgestühls heraus in ihren üppig fließenden Gewändern, Purpur und Lapis und Gold, und versammelten sich um den Altar, in schweigendem Einverständnis, verbunden durch Weihrauch und Glauben und das Wissen von Macht. Herigold gab ein Zeichen und sie knieten gemeinsam nieder.

      Andurkan verlor dabei sein Lächeln und ersetzte es durch nichts. Der Physikus kannte dieses leere Gesicht. Manchmal war die Abwesenheit von Ausdruck das Beste, was der König erringen konnte, und sein ganzer Stolz. Er war darin wie Unak. Der große Lehrmeister, in so vielen Dingen. Es war gut, dass er da war. Der Physikus suchte des Eisländers Blick. Der Eisländer, im dunstigen Dämmer zwischen den Säulen, fühlte die sachte Berührung und sah auf. Ihre Blicke trafen sich und sie tauschten ein kleines Lächeln.

      Vorsichtig ließ nun Herigold Heilige Hostien aus dem Goldpokal auf einen kleinen Teller rinnen und machte ein Kreuzzeichen darüber und tat einen Kniefall und legte den kostbaren Teller in des Oberpriesters Hände, auf dass der groß gewachsene Kleriker dem Großmeister die Hostien bereithalte. Andächtig schob Herigold sich eine Hostie in den Mund; der Oberpriester tat es ihm gleich. Einen Augenblick lang verharrten die Kleriker mit geschlossenen Augen. Gemeinsam begannen sie dann, das Rund der Mächtigen abzuschreiten, die vor ihnen niederknieten. Demütig öffneten die Hohen Herrschaften ihre Münder. Mit seiner weißen, makellosen Hand ließ Herigold eine Hostie auf eines jeden Zunge gleiten. Dann legte er den Menschen sanft die Hand auf, behutsam, um nicht die zarten, funkelnden Netze und filigranen, samtglänzenden Kappen, kunstvoll gewundenen seidenen Tücher und hohen, fischbeingestützten Hauben zu blessieren, und malte mit dem Daumen Kreuzlein auf die hohen Stirnen wie bei einem Kind. Auch Jolanthe öffnete für Herigold ihre Lippen und empfing von ihm die Heilige Gabe. Cornelis sah die unruhigen roten Flecken auf ihren Wangen, ehe sie rasch den Schleier wieder fallen ließ.

      Andurkan konzentrierte sich auf das langsame Auflösen der Hostie in seinem Mund und darauf, ruhig zu atmen. Durch den Weihrauch sah er, wie Herigold sich nun von dem Oberpriester den kostbaren Messwein aus dem Krug in den Kelch gießen ließ. Wiederum knieten die Höchsten Priester nieder und sprachen ein unhörbares Gebet.

      Dann richteten sie sich auf.