Название | Der Schuß von der Kanzel |
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Автор произведения | Conrad Ferdinand Meyer |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783738037937 |
Der General plauderte in der hallenartig gebauten und zur jetzigen Herbstzeit nur allzu luftigen Veranda, deren sechs hohe Säulen ein prächtiges ausländisches Weinlaub umwand, gemütlich mit seinem Nachbar, dem Krachhalder, einem der Kirchenältesten von Mythikon, die der Kandidat während seines Vikariats allsonntäglich im Chore hatte sitzen sehen und die ihm bekannt waren wie die zwölf Apostel. Mit aufgestützten Ellenbogen ritt Wertmüller auf einem leichten Sessel und zeigte seine scharfe Habichtsnase und das stechende Kinn im Profil, während der schöne, alte, schlaue Kopf des Krachhalders einen ungemein milden Ausdruck hatte.
»Wir sind wie die Blume des Feldes«, führte der Alte in erbaulicher Weise das Gespräch, »und es trifft sich, Herr Wertmüller, daß wir beide in diesen Tagen unser Haus bestellen. Ich mache Euch kein Geheimnis daraus: Drei Pfund vergabe ich zur neuen Beschindelung unserer Kirchturmspitze.«
»Ich will mich auch nicht als Lump erweisen«, versetzte der General, »und werfe testamentarisch ebensoviel aus zur Vergoldung unsers Gockels, daß sich das Tier nicht schämen muß, auf der neubeschindelten Spitze zu sitzen.«
Der Krachhalder schlurfte bedächtig aus dem vor ihm stehenden Glase, dann sprach er: »Ihr seid kein kirchlicher Mann, aber Ihr seid ein gemeinnütziger Mann. Erfahret: Die Gemeinde erwartet etwas von Euch.«
»Und was erwartet die Gemeinde von mir?« fragte der General neugierig.
»Wollt Ihr es wissen? Und werdet Ihr es nicht zürnen?«
»Durchaus nicht.«
Der Krachhalder machte eine zweite Pause. »Vielleicht ist Euch eine andere Stunde gelegener«, sagte er.
»Es gibt keine andere Stunde als die gegenwärtige. Benützt sie!«
»Ihr würdet Euch ein schönes Andenken stiften, Herr General, bei Kind und Kindeskind...«
»Ich unterschätze den Nachruhm nicht«, sagte der General.
Dem Krachhalder, der den wunderlichen Herrn so aufgeräumt sah, schien der günstige Augenblick gekommen, dem lange genährten Wunsche der Mythikoner in vorsichtigen Worten Gestalt zu geben.
»Euer Forst im Wolfgang, Herr Wertmüller«, begann er zögernd. Der General verfinsterte sich plötzlich, und der alte Bauer sah es wie eine Donnerwolke aufsteigen, »stößt seine Spitze...«
»Wohin stößt er seine Spitze?« fragte Wertmüller grimmig.
Der Krachhalder überlegte, ob er vor- oder rückwärts wolle, ungefähr wie ein mitten auf dem See vom Sturm Überraschter. Er entschied sich für das Vorrücken. »... mitten durch unsere Gemeindewaldung...«
Jetzt sprang der General mit einem Satze von seinem Sessel auf, faßte ihn an einem Bein, schwang ihn durch die Lüfte und setzte sich in Fechtpositur.
»Wollen mich die Mythikoner plündern?" schrie er wütend, »bin ich unter die Räuber gefallen?« Dann fuhr er, seine hölzerne Waffe senkend, gelassener fort: »Daraus wird nichts, Krachhalder. Redet das den Leuten aus. Ich will Euch nicht noch von jenseits des Grabes eine Nase drehen!«
»Nichts für ungut«, versetzte der Alte mit Ruhe, »Ihr werdet es bedenken, Herr Wertmüller.«
Auch er hatte sich erhoben und nahm von dem Generale mit einem treuherzigen Händedruck den landesüblichen Abschied.
Wertmüller geleitete ihn ein paar Schritte, dann wandte er sich, und vor ihm stand sein Leibmohr Hassan. Der Schwarze machte eine flehentliche Gebärde und bat, das Deutsche wunderlich radbrechend, um einen Urlaub für morgen nachmittag; denn seine Seele zog ihn zu seinen neuen Freunden in Meilen.
»Bist du ganz des Teufels, Hassan!« schalt ihn der General. »Sie haben dir letzten Sonntag drüben arg genug mitgespielt.«
»Mitgespielt!« wiederholte der Mohr, der das Wort mißverstand. »Schön, wundervoll Spiel!«
»Hast du denn gar kein Ehrgefühl? Die Berührung mit der Zivilisation richtet dich zugrunde – du säufst wie ein Christ!«
»Nicht saufen, Gnaden! Schön Spiel, einzig Spiel! J-aß!« Er riß eine solche Grimasse und verdrehte die Augen mit so leidenschaftlicher Inbrunst, daß Pfannenstiel, der, wie oft die unschuldigen Menschen, viel Sinn für das Komische und überdies jetzt etwas gespannte Nerven hatte, in ein vernehmliches Gekicher ausbrach, welches er mit aller Gewalt nicht unterdrücken konnte.
Seine Gegenwart verraten sehend, trat der Kandidat, da er nicht wie eine überraschte Dryade in die Eiche hineinschlüpfen konnte, verschämt hinter derselben hervor und näherte sich dem General mit wiederholten verlegenen Bücklingen.
»Was will denn Er hier?« fragte dieser gedehnt und maß ihn vom Wirbel bis zur Zehe: »Wer ist Er?«
»Ich bin der Vetter ... des Vetters ... vom Vetter...« stotterte der Angeredete.
Der General runzelte die Stirne.
»Mein Vater war ein Pfannenstiel und meine Mutter ist eine selige Kollenbutz...«
»Will Er mir seinen ganzen verfluchten Stammbaum explizieren? Was Vetter? Mein Bruder ist Er – alle Menschen sind Brüder! Scher Er sich zum Teufel!« und Wertmüller wandte ihm den Rücken.
Pfannenstiel regte sich nicht. Der Empfang des Generals hatte ihn versteinert.
»Fannen-stiel –«, buchstabierte der Schwarze das ihm noch unbekannte Wort, als wolle er seinen deutschen Sprachschatz bereichern.
»Pfannenstiel?« wiederholte auch der aufmerksam werdende General, »der Name ist mir bekannt – halt, Er ist doch nicht der Autor«, und er kehrte sich dem Jüngling wieder zu, »der mir gestern seine Dissertation über die Symbolik der Odyssee zugesendet hat?«
Pfannenstiel neigte bejahend das Haupt.
»Dann ist Er ja ein ganz liebenswürdiger Mensch!« sagte Wertmüller und ergriff ihn freundlich bei der Hand. »Wir müssen uns kennenlernen.«
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