Название | Paulo wird ein Goor (9) |
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Автор произведения | HaMuJu |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783847655732 |
Ich hatte die spärlich ausgestattete Bibliothek in der Hütte bestimmt schon zweimal durchgelesen, ich brachte aber auch schon mal ein Buch mit, und so saß ich stundenlang am See und las. Hin und wieder wurde die wohltuende Ruhe durch das Blubbern von Gasblasen im hinteren Seeteil unterbrochen, ich hörte auch schon einmal Tierschreie von dort, sonst war es aber absolut ruhig.
Ich lebte regelrecht in den Tag hinein, ich zog mich manchmal bis zum Abend nicht an und sprang ab und zu in den See. Ich war dann immer sehr traurig, wenn meine paar Tage Auszeit beendet waren und ich wieder zurück unter Menschen musste. Ich befreite meinen Wagen von der Decke, in die ich ihn in der Remise gehüllt hatte, verschloss die Hütte und klappte die Fensterläden vor. Dann startete ich mein Auto und fuhr eine Stunde lang durch den dichten Wald in die Zivilisation zurück. Aber was hieß schon Zivilisation? Ich kam zu meinem Wohnblock und wurde am Parkplatz von unserem meckernden Hausmeister begrüßt, ich stieg aus, grüßte ihn, hörte mir einen Moment sein Gezeter an und ging dann ins Haus. Es umgab mich, seit ich den Wald verlassen hatte, die Geräuschkulisse des Alltags. Es begann damit, dass ich mein Autoradio anstellte und mich von den Belanglosigkeiten einlullen ließ, die der Sender verbreitete. Die Verkehrshektik machte mir auf der Schnellstraße anfangs Schwierigkeiten, man hupte mich an und zeigte mir einen Vogel, weil ich die linke Spur blockierte. Zu Hause schob ich mit dem Fuß die Zeitungen an der Wohnungstür zur Seite, ich öffnete den Briefkasten und entnahm ihm meine Post. Es hatte sich in der kurzen Zeit meiner Abwesenheit eine Menge Post angesammelt, vieles war aber auch Werbung und wurde von mir sogleich entsorgt.
Wie von einem Automatismus getrieben stellte ich den Fernseher an und sah mir eine Nachrichtensendung an, ohne aber etwas Neues zu erfahren, ich hörte aber auch nur halb zu, es war die Rede von einem Kopenhagen-Gipfel und es wurde eine Rede Obamas zu Afghanistan erwähnt. Die Nachrichtensprecherin sah aus wie eine Puppe und veränderte während der ganzen Sendung ihre Haltung nicht, sie bemühte sich, ein freundliches Gesicht zu machen, ihre Mimik wirkte aber steinern. Am nächsten Morgen musste ich wieder in mein Krankenhaus, wo ich inzwischen seit zwölf Jahren als Oberarzt arbeitete, viel Lust hatte ich nicht dazu, ich glaubte, dass man mir das in der letzten Zeit auch ansah. Es gab viele Kollegen, die mich mieden und ganz wenige, die das Gespräch mit mir suchten. Die Urologie leitete seit drei Jahren ein Chefarzt, der in meinen Augen ein aalglatter Konformist war. Er hatte die unschöne Eigenart, während der Visite, bei der immer acht Ärzte zugegen waren, seine Macht zu demonstrieren, besonders gerne tat er das im Beisein von Patienten. Nicht genug damit, dass er wie ein eitler Hahn vorneweg stolzierte, er ging mich dann auch direkt an: „Dr. Köhler, warum hat der Patient nicht......Dr. Köhler, ich hatte Sie doch gebeten......“.
Er sah mich dann immer sehr vorwurfsvoll an und wartete dann auf eine Antwort von mir, die ich ihm dann nie zufriedenstellend geben konnte. Ich bekam einen roten Kopf und schämte ich vor den anderen, der Chefarzt hatte dann seine Genugtuung. Man hatte mich bei der Besetzung des Chefarztpostens drei Jahre zuvor übergangen, ich wusste nicht, warum. Der neue Chefarzt war ein Externer, er war bestimmt vier Jahre jünger als ich. Meine Zukunftsperspektive war düster, bei der Vorstellung, noch zwanzig Jahre unter dem aalglatten Chef arbeiten zu müssen, der mir ganz offensichtlich nicht gewogen war, wurde mir fast schlecht, aber was sollte ich tun? Sollte ich mich an ein anderes Krankenhaus bewerben, ich wüsste nicht, dass irgendwo eine Chefarztstelle vakant wäre. Und einfach eine Versetzung an ein anderes Krankenhaus? Man würde mich fragen, warum ich mich denn versetzen lassen wollte. Meine Zukunft sah nicht rosig aus. Ich mochte mein Krankenhaus nicht, es war einer jener typischen Nachkriegsbauten, der schon äußerlich wenig Attraktivität aufwies. Die architektonische Blässe schien sich auf das Arbeitsklima zu übertragen, alle Mitarbeiter liefen herum wie graue Mäuse, freudlos und ohne inneren Antrieb. Wenn man sich vom Parkplatz dem Gebäude näherte, lastete der Bau wie ein Klotz auf der Seele, er erdrückte alle Lebensfreude und jegliche Energie. Die Mitarbeiter huschten wortlos aneinander vorbei und strebten ihrem Einsatzort zu, wo sie der Aalglatte erwartete, er war wie ein Sachwalter des Überkommenen, Grauen, Alten.
Schon die Luft, die einen nach Betreten des Baus umgab, war stickig und abgestanden, ja leicht säuerlich, man konnte sich nur mit Mühe vorstellen, wie Patienten in solch einer Luft genesen konnten, eher machte die Luft die Patienten noch kränker. Insgesamt nahm sich die Atmosphäre nicht gut an, sie hemmte mich in meiner Lebensentfaltung, über allem lag ein Hauch von Morbidität und Verfall. Was sich da an Unheil eines Tages über mir zusammenbraute, war dem ganzen Todgeweihten entsprungen, es lag als Wesensmerkmal in ihm begründet.
Eine Unachtsamkeit im Umgang mit einem Patienten führte zu einer drastischen Verschlechterung von dessen Allgemeinzustand, ich hatte vergessen, ihm seine täglichen Herztabletten zu geben, sodass er die Stationsschwester zu Hilfe rief, die wiederum nichts anderes zu tun hatte, als den Chefarzt zu informieren, der mich dann prompt zu sich bestellte. Da saß ich dann wie ein Sextaner beim Schulleiter, der Chefarzt machte mich herunter wie ein Spieß einen Soldaten, der eine Befehlsverweigerung begangen hatte und so kam ich mir auch vor. Es war sicher eine gravierende Verfehlung, dass ich dem Patienten sein lebenserhaltendes Medikament nicht gegeben hatte, rechtfertigte meine Fehlhandlung aber eine solch entwürdigende Maßregelung durch einen vier Jahre Jüngeren? Noch so eine Fehlhandlung und mir drohte die Entlassung, sagte der Aalglatte zu mir! Ich war wie vor den Kopf gestoßen, dachte aber gleich daran, wie es denn wäre, tatsächlich entlassen zu werden, ein Leben abseits der tristen Umgebung mit ihren überkommenen Riten und Hierarchiestrukturen führen zu können, aber das blieben Fantasiegespinste, wie sollte ich ohne Einkommen mein Dasein bestreiten, sollte ich von Sozialhilfe leben? Könnte ich mich in meinen Konsumgewohnheiten auf das Niveau meiner Studienzeit zurückentwickeln?
Ich dachte zu Hause lange über die Lebensalternative nach, lag bei laufendem Fernseher auf der Wohnzimmercouch und grübelte. Der Aalglatte war in meinen Augen ein einsamer Mensch, sein Leben war vorgezeichnet, es gab nichts, was aus eigenem innerem Antrieb heraus geschähe, er hätte keine Möglichkeit, entscheidend auf sein Leben einzuwirken. Aber wie sah das denn bei mir aus? Hatte ich denn wirklich die Gelegenheit, die Weichen in meinem Leben zu stellen? War ich nicht noch viel mehr Rädchen im Getriebe, als mein Chef? Ich schlief auf der Couch ein und wachte mitten in der Nacht wieder auf, zu müde, um aufzustehen und zu wach, um weiterzuschlafen. Ich goss mir einen Wkisky ein und kippte ihn in einem Schluck weg. Ich merkte, wie mein Blut den starken Schnaps bis in den entlegensten Winkel meines Körpers transportierte und dort für ein wohltuendes Kribbeln sorgte. Die besagte Wirkung blieb beim zweiten und dritten Whisky aus, ich wurde davon nur noch müder. Die Müdigkeit vermochte es aber nicht, mich in den Schlaf zu tragen, stattdessen schlug ich mir grübelnd die Nacht um die Ohren und war am Morgen wie gerädert. Ich überlegte kurz, mich im Krankenhaus dienstunfähig zu melden, verwarf den Gedanken dann aber wieder, duschte, machte mir einen starken Kaffee und fuhr zur Arbeit.
Und wieder begann einer jener tristen Tage in dem trostlosen Gemäuer, das einen so herunterriss. Als ich vor zwanzig Jahren mit Marietta dort anfing, kam und das beiden nicht so bedrückend vor. Wir waren jung und voller Enthusiasmus, wir wollten die Medizin auf den Kopf stellen und eckten schnell überall an, bis wir uns langsam dem System unterwarfen, was das allmähliche Ende unserer Beziehung bedeutete, wir liefen am Ende nur noch als die Hüllen unseres Selbst herum, wir agierten nicht mehr, sondern reagierten nur noch. Zu Hause sprachen wir kaum noch ein Wort miteinander. Wir tranken beide, anfangs rauchten wir auch noch, was wir uns aber zum Glück schnell wieder abgewöhnten. Je länger wir in der ausgefahrenen Tretmühle von Krankenhaus arbeiteten, desto mehr lebten wir uns auseinander, bis es am Ende nichts Verbindendes mehr gab, wir ödeten uns an.
Von daher war es Mariettas Glück, den Chefarztposten bekommen zu haben, für sie begann etwas Neues,