Der Tote im Wald. Irene Dorfner

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Название Der Tote im Wald
Автор произведения Irene Dorfner
Жанр Языкознание
Серия Leo Schwartz
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847661573



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      Leo begrüßte die Kollegen per Handschlag, während Hilde Gutbrod das Büro mit einem lauten Gruß verließ. Sie musste schnellstmöglich mehr Informationen über den neuen Kollegen rauskriegen. Dieser Mann war ganz bestimmt nicht liiert und überaus interessant für ihre Nichte Karin, die 42 Jahre alt war und bis jetzt noch keinen passenden Mann gefunden hatte. Leo Schwartz wäre für Karin geradezu genial! Sie müsste ihm allerdings diesen schrecklichen Kleidungsstil abgewöhnen, aber das würde das kleinste Problem werden.

      „Guten Morgen Herr Schwartz. Mein Name ist Hans Hiebler, willkommen in Mühldorf.“ Der 52-jährige, 1,80 Meter große, sportliche, überaus attraktive und gepflegte Mann lächelte ihn freundlich an. Dieser Mann war ihm sofort sympathisch.

      „Vielen Dank, sehr freundlich.“

      „Werner Grössert,“ stellte sich der nächste Kollege knapp vor. Grössert war 38 Jahre alt, 1,75 m groß, hatte kurze, braune Haare und war sehr gut gekleidet: dunkler Anzug, weißes Hemd, dezente Krawatte und saubere, glänzende Schuhe; alles sicher sehr teuer.

      „Dann sind Sie der Leiter des Teams?“

      „Nein, das bin ich, Viktoria Untermaier mein Name. Ich hoffe, Sie haben keine Probleme mit einer Frau als Chefin.“

      Die 47-jährige, 1,65 m große, mollige, hübsche Frau drückte ihm fest die Hand.

      „Entschuldigen Sie, ich dachte…“

      „Ja, das denken viele. Der Kollege Grössert sieht überaus seriös aus, aber die Optik kann auch täuschen. Auch ich heiße Sie natürlich herzlich willkommen in unserem Team und hoffe, dass wir alle gut zurechtkommen. Das dort ist Ihr Schreibtisch.“

      „Vielen Dank.“

      Leo hätte im Erdboden versinken können. Er hatte sich tatsächlich wieder einmal vom Äußeren blenden lassen und sah dabei ziemlich blöd aus. Seine Vorgesetzte Viktoria Untermaier ging aber nicht weiter darauf ein und Leo betete, dass sie das nicht zu ernst nahm und er nicht gleich mit seiner ersten Bemerkung bei ihr verspielt hatte. Oder schlimmer noch, dass sie ihn für dumm und oberflächlich hielt. Egal, bei passender Gelegenheit würde er nochmal mit ihr reden oder sonst irgendwie die Sache wieder hinbiegen.

      Leo setzte sich an seinen neuen Arbeitsplatz und sah sich den großen, modernen Schreibtisch genauer, der nicht nur mit einem modernen PC mit einem für seine Begriffe riesigen Bildschirm ausgestattet war, sondern auch die Schubladen waren ordentlich und sauber mit allem gefüllt, was man brauchte. Ganz im Gegensatz zu seinem alten Schreibtisch in Ulm, auf und in dem stets Chaos herrschte.

      Er fand eine Akte in einem der drei Ablagefächer auf seinem Schreibtisch vor und nahm sie zur Hand, was Frau Untermaier wohlwollend registrierte.

      „Ich möchte hier gleich etwas klarstellen, damit kein Getratsche aufkommt,“ sagte Frau Untermaier laut. „Uns ist bekannt, dass Sie hierher strafversetzt wurden Herr Schwartz, obwohl das im Amtsdeutsch natürlich anders formuliert wird. Ich möchte nicht wissen, was der Grund dafür war und auch die Kollegen hier hat das nicht zu interessieren. Hier spielt Ihr Vorleben und Ihre vorherige Karriere überhaupt keine Rolle. Ich erwarte von Ihnen hier bei uns absolut professionelle und saubere Team-Arbeit, was bedeutet, dass wir alles miteinander absprechen und abstimmen. Keine Alleingänge und keine illegalen Geschichten. Haben wir uns verstanden?“

      Leo nickte. Natürlich war er einverstanden. Frau Untermaier war also ebenfalls informiert und hielt ihm dieselbe Standpauke wie Krohmer. Absolut verständlich bei seiner Vorgeschichte. Er musste zugeben, dass sich die kleine Frau Untermaier durchaus behaupten konnte. Die Herren Hiebler und Grössert nickten nur. Wussten auch sie davon? Aber wie kämen sie an die Informationen aus seiner Personalakte?

      „Gut, dann wäre das geklärt. Ich möchte Sie bitten, die Akte, die Sie in Händen halten, genau zu studieren. Wenn Sie Fragen haben, wenden Sie sich bitte an die Kollegen oder an mich. Kurz noch zum organisatorischen Ablauf: Die Kaffeemaschine steht hier hinten im Eck. Derjenige, der die letzte Tasse nimmt, setzt umgehend neuen auf, was meine Person selbstverständlich einschließt. Ich werde ungemütlich, wenn ich keinen Kaffee habe. In der Kantine finden Sie rund um die Uhr etwas zu essen und Getränke, aber das hat Ihnen Frau Gutbrod bestimmt alles gezeigt und mitgeteilt.“

      „Ja, das hat sie.“

      „Na dann hätten wir alles soweit geklärt!“

      Leo entschied, sich einen Kaffee zu holen und sich an die Arbeit zu machen. Ganz so schlimm wie befürchtet war das doch bisher nicht gelaufen. Er spürte, dass die Kollegen ihm gegenüber etwas verschlossen und einsilbig waren. Aber er war zuversichtlich, dass sich das Klima hier in den nächsten Tagen deutlich verbessern würde. Er setzte sich wieder an den Schreibtisch, trank einen Schluck Kaffee und sah sich seine Kollegen verstohlen genauer an. Hiebler war ganz bestimmt ein lockerer Typ, der würde kein Problem werden. Aber diese Untermaier und vor allem Grössert waren schwierigere Typen. Das wird schon werden!

      Leo schlug die Akte auf, las sie ausführlich und verschluckte sich beinahe an seinem Kaffee, denn der Inhalt schockierte ihn. Es ging um den verschwunden 30-jährigen Alexander Binder, sein Vorgänger hier bei der Kripo.

      „Soll das heißen, dass mein Vorgänger verschwunden ist?“

      Leo stellte die Frage einfach in den Raum. Bisher war es absolut still, beinahe unheimlich gewesen, wobei Leo sich sehr unwohl gefühlt hatte. Und nun starrten ihn alle an.

      „Richtig, es geht um Ihren Vorgänger Binder. Wir dachten, wir lassen Sie mal drüber schauen, vielleicht finden Sie etwas, was wir übersehen haben. Ihnen eilt ein gewisser Ruf voraus, den wir gerne für unseren verschwundenen Kollegen nutzen würden.“

      Also hatten sich die Kollegen doch über ihn informiert und wussten Bescheid! Leo war nicht sauer, er hätte das genauso gehandhabt. Hans Hiebler hatte Leos Überraschung bezüglich des verschwundenen Kollegen sofort bemerkt, holte sich einen Stuhl und setzte sich zu ihm, was Leo sehr angenehm war.

      „Genau vor 12 Wochen verschwand Alex, einfach so. Natürlich haben wir alle Hebel in Bewegung gesetzt und haben ihn gesucht, fanden aber nicht die kleinste Spur. Er war begeisterter Radfahrer und war an dem Tag seines Verschwindens nach Aussagen seiner Verlobten auf eine Radtour Richtung Burghausen aufgebrochen. Mehrere Passanten haben ihn unterwegs gesehen, aber auf Höhe Kastl verliert sich seine Spur. Wir sind alle Wege mehrmals abgefahren, haben Spürhunde eingesetzt. Nichts, nicht der kleinste Hinweis. Auch nicht von dem Rad, das mehrere Tausend Euro wert ist. Auch aus dem privaten Umfeld des Kollegen gibt es nicht den kleinsten Hinweis darauf, dass er die Schnauze voll gehabt hatte und aussteigen wollte. Im Gegenteil, er stand kurz vor der Hochzeit mit einer reizenden, vermögenden Frau. Aber sehen Sie sich die Unterlagen unvoreingenommen in aller Ruhe nochmals durch, vielleicht finden Sie ja etwas.“

      Hiebler lächelte ihn aufmunternd an und ging wieder an seinen Schreibtisch. Leo suchte sich aus dem Internet die Karte des Kastler Forstes und verglich sie mit dem Gebiet, das von der Polizei durchsucht wurde. Nur in diesem Teil wurde nach Binder gesucht. Warum? Er verglich den Wald mehrmals und musste feststellen, dass der Kastler Forst riesig war. Es wäre unmöglich gewesen, den ganzen Wald zu durchsuchen. Leo kopierte einige Waldstücke aus der Karte und zeichnete die Radwege ein. Binder könnte auf mehreren Strecken nach Burghausen gefahren sein. Er rief den Förster des Kastler Forstes an und erkundigte sich, ob in dem fraglichen Zeitraum irgendwelche Abschnitte gesperrt waren.

      „Wegen Forstarbeiten waren zwei Abschnitte gesperrt,“ sagte der Förster und gab ihm die Koordinaten durch, die Leo sofort in seine selbstgebastelte Karte einzeichnete.

      „Wäre es möglich gewesen, diese Abschnitte trotzdem mit einem Fahrrad zu befahren?“

      „Erlaubt ist das nicht, aber daran hält sich keiner. Wenn man die Wege nicht befahren kann, dann gehen Passanten eben durch den Wald, Verbote interessieren da nicht. Auch über die Gefahren macht sich kaum jemand Gedanken. Ich habe längst aufgehört, mich darüber aufzuregen. Die Wege werden jeweils ordentlich abgesperrt. Falls doch etwas passiert, stehen wir nicht in der Haftung.“

      „Wurde im Wald ein Fahrrad gefunden?“