Hilferuf aus Griechenland. Irene Dorfner

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Название Hilferuf aus Griechenland
Автор произведения Irene Dorfner
Жанр Языкознание
Серия Leo Schwartz
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847679851



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Schließlich kannte sie die schwäbische Sparsamkeit. Das Geld war jetzt zweitrangig.

      Sie reichte Leo einen Zettel, den er ohne zu lesen in seine Brieftasche schob. Er ärgerte sich, dass er bis morgen früh warten musste und lief nervös im Zimmer auf und ab. Am liebsten wäre er sofort aufgebrochen.

      „Setz dich bitte, heute kannst du nichts mehr erreichen. Du machst mich wahnsinnig mit deiner Nervosität.“

      Christine fühlte mit Leo. Sie konnte sich vorstellen, wie es in ihm aussah. Diese Kerstin würde sie am liebsten schütteln und ihr eine scheuern, denn so durfte man mit einem Kindsvater nicht umgehen. Vor allem nicht mit Leo. So verworren und schwierig manche Situationen auch sein mochten, war sie immer für klare Verhältnisse gewesen, auch wenn diese noch so unangenehm waren. Für sie gab es nur absolute Offenheit. Lügen, Intrigen und Geheimnisse waren ihr fremd. Sie konnte kaum zusehen, wie Leo litt. Warum hatte ihm die Exfrau das angetan? Christine kannte Leo sehr gut, er hätte alles für sein Kind getan.

      „Wie alt ist dein Sohn? Wie heißt er?“ Die Fragen sprudelten aus Christine heraus, worauf Leo kaum eine Antwort hatte. Er kannte nur den Namen: Marcel. Was für ein wunderschöner Name. Wie er wohl aussah? Sah er ihm ähnlich?

      „Ich rufe Kerstin nochmal an, ich muss mit ihr sprechen. Zu viele Fragen sind unbeantwortet und belasten mich. Ich kann nicht bis morgen auf Antworten warten.“

      Christine wollte ihn davon abhalten, denn solche Dinge gehörten ihrer Meinung nach persönlich besprochen, nicht am Telefon. Aber sie kannte Leo so gut, er würde sich nicht davon abhalten lassen. Er wählte, aber es meldete sich niemand. Beinahe alle zwei Minuten versuchte er, seine Exfrau zu erreichen. Ohne Erfolg.

      „Das ist doch nicht normal. Was ist da los?“

      „Dafür gibt es sicher eine ganz einfache Erklärung. Erwartest du von ihr, dass sie rund um die Uhr am Telefon sitzt? Warte bis morgen, dann wirst du alles erfahren. Du musst lernen, geduldiger zu sein.“

      Christine verstand ihn. An seiner Stelle würde sie auch nicht warten wollen. Aber irgendwie musste sie Leo beruhigen, den sie noch niemals in so einem Zustand erlebt hatte. Sie war darüber sehr erschrocken, wollte sich das aber nicht anmerken lassen. Sie ging in die Küche und machte etwas zu Essen, wodurch sie sich ablenken konnte.

      Sie saßen schweigend zusammen und aßen, wobei Leo nur in seinem Teller rumstocherte. Christine wollte ihn aufheitern, wusste aber nicht, wie sie das anstellen sollte. Ein Blick in seine Augen und sie bekam eine Gänsehaut.

      „Iss! Du musst bei Kräften bleiben. Wer weiß, was dich auf Kos erwartet.“

      Leo wusste, dass Christine Recht hatte und zwang sich, einige Bissen zu essen. Nach zweiundzwanzig Uhr klingelte es an der Haustür.

      „Erwartest du Besuch?“

      Christine ging zur Tür und öffnete, sie schien nicht überrascht. Die Unterbrechung kam ihr sehr gelegen, denn sie hatten stundenlang immer und immer wieder alle Möglichkeiten durchgesprochen, ihr rauchte der Kopf.

      Es war Ursula Kußmaul, die heute in den unterschiedlichsten Lilatönen gekleidet war. Der gelbe Hut und die grüne Tasche stachen sofort ins Auge. Ursula grüßte knapp und setzte sich Leo gegenüber. Er war überrascht und sah erst sie und dann Christine an.

      „Was machst du hier um diese Uhrzeit?“

      Natürlich hatte Leo bemerkt, dass Christine den Besuch zu erwarten schien. Was war hier los?

      „Ich bin die Feuerwehr und möchte helfen“, rief Ursula lachend aus und zog ihren Hut vom Kopf. Sie war eine Frohnatur, die so leicht nichts aus der Bahn werfen konnte. Als sie Leos Gesichtsausdruck bemerkte, ruderte sie einen Gang zurück. Ihre Scherze waren hier wohl nicht gewünscht. „Was werde ich hier wohl machen? Christine hat mich angerufen und mich um Hilfe gebeten. Und voilà, da bin ich. Die Vernehmung, die ich bis eben noch hatte, war sehr erfolgreich, der Typ hat gesungen wie ein Vögelchen. Dabei dachte ich eigentlich, dass das eine ganz harte Nuss ist. Aber jetzt bin ich hier.“

      Leo war irritiert und verstand kein Wort.

      „Ich habe Ursula angerufen, ich kann dich auf keinen Fall alleine nach Kos schicken. So, wie du dich verhältst, kannst du nicht klar denken. Ich bin zu alt für solche Geschichten und wäre dir nur ein Klotz am Bein. Meine Knie spielen nicht mehr mit und die Hitze auf Kos würde mich an den Rand eines Herzinfarktes bringen. Ich werde eben alt.“ Sie machte eine kleine Pause. Sie kannte Leo und ihr war klar, dass ihm ihr Alleingang überhaupt nicht schmeckte. Aber es war jetzt nun mal so, wie es ist. Sie hatte eigenmächtig hinter seinem Rücken gehandelt und stand auch dazu. „Ich habe mich daran erinnert, dass Ursula einige Zeit in Griechenland verbracht hat und daher die Sprache ziemlich gut spricht. Sie hat Urlaub genommen und wird dich begleiten.“

      „Wie bitte?“ schrie Leo.

      „Ich spreche nicht nur Griechisch, sondern bin auch mit der Mentalität der Menschen dort vertraut. Außerdem kenne ich mich auf Kos sehr gut aus. Ach, war das eine schöne Zeit, ich könnte euch Geschichten erzählen. Die sind nicht ganz jugendfrei. Da gab es einen kleinen Griechen, einige Jahre älter als ich, …“

      Leo unterbrach Ursula. Er interessierte sich nicht für ihre Geschichten und ihr Geplapper. Das war das einzige, das er an Ursula Kußmaul nicht mochte. Er war verärgert über Christines Vorstoß, das hätte sie vorab mit ihm besprechen müssen. Er war kein Kleinkind und hasste es, wenn über seinen Kopf entschieden wurde. Außerdem wollte er die Angelegenheit alleine in die Hand nehmen.

      „Das ist zwar lieb gemeint, aber das kann ich nicht annehmen. Das ist eine reine Privatsache und ich will dich auf keinen Fall da hineinziehen. Wer weiß, was dort alles auf mich zukommt. Nein, vielen Dank, aber ich muss dein Angebot ablehnen, so verlockend es auch klingt. Ich fliege alleine und werde schon irgendwie klarkommen.“

      Christine schien bereits mit einer solchen Reaktion gerechnet zu haben, stand auf und stemmte die Arme in die Hüften.

      „Jetzt hör mir mal gut zu, Leo. Du fliegst auf jeden Fall mit Ursula, keine Widerrede! Wenn du sie nicht mitnimmst, dann werde ich ihren Platz einnehmen. Und das wird kein Vergnügen werden, das kann ich dir versprechen. Wie dumm bist du eigentlich? Hier ist eine junge, sehr fähige Polizistin, die nicht nur die Sprache auf Kos spricht, sondern auch noch Land und Leute kennt. Du müsstest ihr eigentlich auf Knien dafür danken. Und was machst du? Bejammerst dich selber und willst den Helden spielen. Du kannst auf Kos jede Hilfe brauchen und lehnst sie dennoch ab? Bist du total verblödet? Dass dir deine Exfrau deinen Sohn verschwiegen hat, ist tragisch und das tut mir sehr leid. Dass der Junge verschwunden ist, ist doppelt schlimm. Du kannst nicht klar denken. Reiß dich gefälligst zusammen und denke klar und vernünftig.“

      Sie sprach ruhig, aber bestimmt, sogar sehr bestimmt. Leo hörte ihr mit offenem Mund zu. Es war still geworden. Christines Standpauke hatte Ursula sehr amüsiert. Sie musste sich beherrschen, um nicht laut loszulachen.

      „Wage es ja nicht, eine Begleitung abzulehnen. Wenn du Ursula nicht willst, komme ich mit,“ setzte Christine nach.

      Leo lehnte sich zurück und dachte nach.

      „Du hast ja Recht, Christine. Ich danke dir, dass du dich um mich kümmerst.“ Er stand auf und nahm seine Freundin in die Arme, was ihr sehr gut tat.

      Er wandte sich nun Ursula zu und nahm ihre Hand in die seine.

      „Vielen Dank Ursula, ich nehme deine Hilfe sehr gerne an. Deine Sprach- und Ortskenntnisse kann ich sehr gut gebrauchen. Ich weiß nicht, wie ich dir das danken soll.“

      „Keine Sorge, da wird mir schon etwas Passendes einfallen. Schluss mit der Gefühlsduselei. Ich habe eine Karte von Kos mitgebracht“, sagte sie, kramte in ihrer riesigen, plüschigen grünen Tasche, rückte den Sessel näher an den Couchtisch und breitete die Karte auf dem Tisch aus. „Hier ist die Adresse, die dir deine Exfrau genannt hat,“ sie malte mit einem Leuchtstift ein dickes Kreuz auf die Karte. „Christine war so schlau, uns in dieses Hotel einzuquartieren. Das ist keinen Kilometer entfernt. Ich habe uns einen Leihwagen reserviert, der für uns morgen am Hotel bereitsteht. Ich