Herr und Untertan. Stefan G. Rohr

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Название Herr und Untertan
Автор произведения Stefan G. Rohr
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783753188539



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mit diesem Büchlein und den vielen Erzählungen gab es erstmals einen umfänglicheren Eindruck in alles, was Viktoria erlebt hatte. Und es war so möglich, die Lücken so zu füllen, dass sie dem tatsächlichen Geschehen entspricht oder sehr, sehr nahe kommt.

      Und nun möchte ich beginnen. Mit der Geschichte von Viktoria.

      Kapitel 1

      Das alte Jagdhaus lag idyllisch inmitten eines kleinen Fichtenwäldchens. Von diesem Ort her gelangte der geneigte Besucher schnell in die sich über weite Flächen ausdehnende Heide. Im Frühling duftete es nach frischem Grün, Wiesenblumen und für einen kurzen Moment stets auch intensiv nach Waldmeister. Im Herbst hingegen war die Luft lange vom Geruch der vielen Pilze erfüllt, die es rundherum zu sammeln gab. Während das junge Jahr bereits vorangeschritten war, sollte es aber noch einiges dauern, bis die passionierten Gesellschaften, mit geflochtenen Körbchen und einem kleinen Messer bewaffnet, in die Pilze gehen konnten. Und das war gut so, denn der Hochsommer hierzulande galt nun einmal als die schönste Zeit.

      Dem Gebäude war es noch gut anzusehen, dass es einmal recht hochherrschaftlich daherkam. Damals, als es noch zum Besitz einer mächtigen Adelsfamilie gehörte, strahlte es förmlich vor Gediegenheit und Glanz, dem selbst die erkennbare Zweckmäßigkeit kein Abbruch tat. Seiner Bestimmung folgend war es als Landsitz und für den Aufenthalt stattlicher Jagdgesellschaften entworfen. Traditionell das Ambiente, nützlich das Beiwerk, zu denen die großen Stallungen, die nicht unweit des Hauptgebäudes angesiedelt waren ebenso zu zählen war, wie das separate Gesindehaus, welches so gestaltet war, dass es jeden Förster in Entzücken versetzt haben würde.

      Doch schon die adligen Vorbesitzer konnten ihr Besitztum lang vor dem Verkauf nicht mehr dem Sinne entsprechend nutzen. Und der neue Eigentümer, der ehrenwerte Kaufmann Franz-Joseph Kohlhaase, war bar einer derartigen Passion. Das aber sollte nicht der alleinige Grund sein. Für die Jagd war diese Region zwar mehr als geeignet. Rot- und Dammwild, Füchse, Sauen und Fasane oder Hasen gab es genügend. Derlei Veranstaltungen aber waren eben nicht umsonst. Für solches Unterfangen waren viele Goldtaler aufzuwenden. Und es lag dem Kaufmann alles andere im Sinn, sich mit derartigem Luxus nur zum Zwecke der Prahlerei das bereits getätigte Kreditvolumen weiter zu beschweren. So geriet es dann auch dem genauen Auge zu erkennen, dass hier oder dort am einst so ästhetisch wirkenden Bau der Zahn der Zeit nagen würde, es sich nun nicht mehr allein nur versteckte Blessuren zeigten, auch wenn es nicht auf den ersten Blick anheimelte, als wäre der Bau bald schon marode.

      Die Hausherrin, Katharina Kohlhaase, sie war eine geborene Sonnenberg und stammte aus dem nahen Hamburg, staunte an diesem Tage nicht schlecht, als ihr Gatte ganz unerwartet bereits am Mittag mit seiner Kutsche vorgefahren kam. Sie sah zwar nicht, dass er es offenbar sehr eilig hatte, denn er wartete nicht einmal mehr ab, bis ihm der Kutscher den Tritt herunterklappte, hiernach die Türe öffnend, sprang Kohlhaase in voller Montur doch wie ein tobender Stier aus dem Gefährt und stürmte in das alte Gebäude. Und es genügte ihr ein kurzer Blick in sein Gesicht, als er, sichtlich außer Atem und mit geröteten Wangen, den Salon betrat. Nicht einmal seinen Zylinder hatte er abgenommen.

      „Katharina…!“, rief er aufgeregt und sah starr in das fragende Gesicht seiner Frau. Doch er verharrte kurz, denn eines der Dienstmädchen war zugegen und sortierte gerade das Silberbesteckt, welches sie zuvor geputzt hatte.

      Der strenge Blick des Hausherren genügte, und das junge Ding machte einen kurzen Knicks in Richtung ihrer Herrschaften und verließ mit eiligen Tippelschritten unter dem blauen Rock mit der aufgebundenen weißen Schürze flugs den Salon.

      „Katharina!“, eröffnete Kohlhaase erneut. „Es ist ein Wunder geschehen. Und ich muss Dir dieses sogleich eröffnen, denn fortan soll sich alles zum Guten wenden. Und es gilt nun eine formidable Sorgfalt für Planung und Erledigung um des guten Gelingens wegen an den Tag zu legen“.

      Katharina hörte ihrem Mann ruhig zu. Bislang konnte sie sich keinerlei Reim aus seinen Worten stricken. Doch sie wusste sich zurücknehmend zu verhalten, denn sie kannte ihren Gatten schon lang und deshalb nur zu gut. Und er würde es ihr gewiss ohnehin in Kürze und in Gänze zum Verständnis gebracht haben.

      Er stand immer noch, stemmte nun aber seine Arme links und rechts in die Hüften, während er dazu seine Brust nach einem tiefen Atemzug durch die Nase hervorstreckte: „Unsere Victoria wird in den Hafen der Ehe segeln. Ich habe es heute um halb elf mit dem ehrenwerten Medizinalrat Dr. Johann Krottenkamp zur Vereinbarung gebracht …“.

      Katharina Kohlhaase zog die Augenbrauen hoch. Zum einen war da diese Ansprache, in der ihr Gatte von `ihrer´ Victoria sprach. Denn für Allgemein, und das war in der Regel fast immer, ging ihm ein fröhlicher und liebevoller Singsang bezüglich seiner Tochter nicht über die Lippen. Dann war das Kind stets `Deine´ Viktoria, häufig mit missbilligendem und durchaus als abfällig zu wertendem Unterton. Doch wie er nun daherkam, der Herr Kaufmann mit Zylinder und stolzer Brust, das war dann doch geeignet, der sonst so ruhigen Dame ein wenig Zorn in die Magengrube zu verbringen.

      „Du redest so, als würdest Du von einem Geschäftsabschluss über dreißig Fuder besten Pariser oder Grasser Parfüms prahlen“, und sie sah ihren Mann mit ernster Miene an: „Und es wäre mir nicht ungelegen gekommen, einen eigenen Anteil zu halten, wenn ein werbender Pfau sein Rad vor unserer Tochter schlägt, es so zu entscheiden ist, ob wir es gutheißen wollen oder dem Spuk doch lieber ein jähes Ende setzen sollten.“

      Nun staunte der Herr Vater nicht schlecht. Welch´ ungewohnt gewagte Worte seiner Gattin. Und hörte er aus diesen vielleicht sogar eine Widerständigkeit heraus, gar eine Missbilligung seines ihm doch als Familienoberhaupt unstrittig gebührenden Handelns? Doch es erschien ihm eher opportun, ganz aus dem Bauchgefühl heraus, in diesem Moment nicht auf seine Rechte des Herrn im Hause zu beharren, sondern das Gute in seiner Nachricht zu betonen, denn scheinbar war dem eigenen Weib der Sinn seines Erfolges noch nicht klar geworden.

      So zog er den hohen Hut von seinem Kopfe, stellte diesen auf eine der Kommoden, knüpfte sich seine Weste halb auf und setzte sich mit einem bittersüßen Lächeln auf den Ohrensessel neben seiner Gattin. Dann nahm er die Gesindeklingel und läutete, dabei vermied er es, derlei in ebensolcher Vehemenz und Dringlichkeit zu vollziehen, wie es ihm ansonsten so zu eigen war.

      Die junge Dienstmagd war schnell erschienen und stand mit gefalteten Händen und einem leicht gesenktem Kopf vor ihren Herrschaften.

      Der Hausherr schaute mit großer Ernsthaftigkeit. „Du warst sehr schnell zugegen“, und er sah dem jungen Ding, das aus irgendeinem Provinznest am Rande der Heide aus bäuerlicher Folge den Weg in die Magdschaft genommen hatte und gerade einmal wenige Wochen im Dienste der Familie stand, strengen Blickes ins Gesichtchen. „Solltest Du vielleicht der Ungeheuerlichkeit des Lauschens gefrönt haben?!“

      Die junge Frau schüttelte heftig den Kopf. Das würde ihr nicht im Träume einfallen, bekundete sie eindrücklich, und es war ihr die Angst ins Gesicht geschrieben.

      Kohlhaase nahm sich zurück. Es war nun nicht gerade der Moment für eine Schelte, auch wenn er sich mit großer Überzeugung wähnte, das freche Ding sogleich ihrer unverschämten Neugierde überführen zu können, gleich folgend eine gerechte Strafe in Form eines einbehaltenen Wochenlohnes zu verkünden. Doch er gab nur Anweisung: „Bringe uns eine mittlere Karaffe Sherry. Und lasse Dir dabei nicht wieder so viel Zeit, dass es Abend wird, bevor ich mein Glas in Händen halte!“

      Als die sich die Türe wieder schloss wendete sich Kohlhaase seiner Gattin zu. Und tatsächlich, ja: er lächelte ein wenig: „Liebe Frau, nun sein nicht primelig. Denn sage mir, dass ich mich irre, wenn ich erneut zu behaupten wage, dass unsere Viktoria in ebensolcher Weise schwierig in den heiligen Stand der Ehe zu bringen ist, wie ein lahmer Gaul die Wetten hält.“

      Seine Ehefrau blies nun spontan die Wangen auf. Schon wollte sie sich zu dieser despektierlichen Metapher äußern, doch der Hausherr ließ sie erst gar nicht zu Wort kommen: „Echauffiere Dich nicht, geliebte Frau“, im Tonfall blieb er säuselnd. „Was ist es denn anderes, wenn unser Töchterlein so gebrechlich