Ein ganz böser Fehler?. Mike Scholz

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Название Ein ganz böser Fehler?
Автор произведения Mike Scholz
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754131466



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ich viel lieber. – "Anders geht es bei ihr scheinbar nicht. – So, jetzt aber werden wir rauslaufen, auf den Gang."

      Bei dieser Aufforderung fängt mein Herz an wie wild zu rasen, Schweißtropfen perlen auf meiner Stirn, ein unangenehmes Ziehen hat auf der Stelle von meinem Magen Besitz ergriffen. Trotzdem – oder ge­rade deswegen – drücke ich mich schnell zum Sitzen hoch, befördere meine Beine aus dem Bett und dann hilft mir Frau Miller. Vor meinem inneren Auge aber leuchtet jetzt wie bei einer Leuchtreklame das Wort auf: Spiegel. Denn nun bekomme ich sozusagen frei Haus die Chance geliefert, mich begucken zu gehen, darf nur nicht der Angst die Oberhand in mir überlassen.

      Bis zur Tür klappt das Krückenlaufen schon eine Nuance besser als gestern. Wenn ich mich auch noch nicht dafür begeistern kann, die Knie durchzudrüc­ken, wenn ich mich auch immer noch größten­teils auf Frau Miller stütze. Doch ich fange an, in den Rhyth­mus zu kommen, die Gefühle meiner Gehhilfe und meines Körpers haben begonnen, sich zu vereini­gen.

      Wir stehen auf dem Flur. Aufmerksam schaue ich mir den vor mir liegenden Fußboden an: Braunes Lin­oleum, eben, glatt, ohne Hügel. Und an der von mir aus gesehenen linken Seite hängt ein Balken, der be­stimmt dem Festhalten dient.

      "Und was nun?", will Frau Miller wissen.

      Ich ignoriere ihre Frage, erkundige mich stattdes­sen, wo der nächste Spiegel ist.

      "Gleich um die Ecke ist einer. Wollen wir bis da­hin laufen?"

      Ich nicke bedächtig, als ob in mir eine innere Ruhe eingekehrt ist.

      *

      Einige Zeit später stehe ich vor dem so lange herbei­gewünschten Ziel. Schaue hinein, versuche, mich auf das Bild, was da vor mir auftaucht, zu konzentrieren: Ein krumm stehender, bärtiger, mit halblangen Haa­ren und hässlicher Frisur beschiedener Typ ist sich bei meinem Anblick nicht so sicher, ob er mir weiter­hin die Ehre seiner Aufmerksamkeit schenken soll; zudem hängt auf der rechten Seite seine Lippe herun­ter (er grinst nur mit links) und hat für mich nur ein Stieren mit depressiven, von Wut, Schmerz und Hass gezeichneten Augen übrig.

      Bin ich das???

      Nein! Ich bin das nicht! Wer das sagt, ist ein Lüg­ner! Der muss Unrecht haben! Und doch ... Aber ich ekle mich vor dem Kunden im Spiegel! ... Ekle ich mich vor mir selber?

      Eine ganze Weile lang stehe ich davor, schüttle langsam den Kopf; bis sich eine folgenschwere Er­kenntnis in meinem Kopf Bahn bricht: Ja, ich bin es! Bin es mit Leib und Seele! Bin es wahr und wahrhaf­tig!

      Ich spüre, wie sich etwas in mir verkrampft: Dies war meine letzte Hoffnung, sollte mir aufzeigen, dass nicht Mike Scholz der Dahinsiechende ist. Doch er ist es! Niemals wurde ich verscheißert, mir wurde "nur" nichts gesagt!

      "Na, genug gesehen?", bricht da Frau Miller in meine Hypnoseglocke ein. Doch erst einmal model­liere ich noch an der Frisur herum. Denn irgendje­mand hat mir einen Seitenscheitel übergezogen.

      *

      Beim Zurückwandeln schwinden mir wieder mal rapi­de die Kräfte in den Beinen. Frau Miller hat ganz schön zu tun, mich oben zu halten. Und so lasse ich mich zurück im Zimmer sofort erschöpft und traurig in mein Bett plumpsen, während Frau Miller erleich­tert keucht: "Endlich, geschafft. Du kannst dich ganz schön schwer machen. – Und, befriedigt für heute?"

      "Biseut Nammag ja. Aber dann habch mi wiedr er­holt."

      "Heute klappt es noch nicht mit zweimal am Tag", teilt sie mir bedauernd mit. "Aber ab nächste Woche können wir es durchziehen. Also, tschüss bis mor­gen."

      An der Tür dreht sie sich noch einmal um und hebt den Zeigefinger. "Aber keine krummen Touren mit der Unterarmstütze! Ich vertraue Ihnen. Oder soll ich sie doch lieber mitnehmen?"

      Ich halte ihrer Blickkontrolle stand, worauf sie be­ruhigt geht.

      *

      Am Nachmittag kommt Pia. Eigentlich erwarte ich sie jeden Tag, obwohl ich natürlich weiß, dass es so nicht mehr sein kann. Doch es ist belastend, wenn man ab­geschnitten ist von der Außenwelt. Nur – aller drei Tage ist besser als überhaupt nicht.

      Eine Schwester kommt gleich mit herein. "Wollen Sie Mike mit rausnehmen? Wir packen ihn vorher ein, damit er sich nichts holt. Sonnig ist es ja."

      "Von mir aus, wenn es geht", meint Pia.

      *

      Auf der kleinen Rundfahrt durch das Krankenhausge­lände kommen wir zu einem Haus, an dem die Fens­ter vergittert sind, und wo sich davor ein Rudel Kat­zen tummelt.

      Pia versucht sie anzulocken: "Miez Miez Miez – nix zu machen, die sind zu scheu."

      Plötzlich hören wir einen barbarischen Brüller aus dem Haus.

      "Was war denn das?", fängt Pia an zu staunen. Doch ich kann ihr keine passable Antwort geben, denn dieses Geräusch ist mir genauso unerklärlich wie ihr.

      Dafür erscheint eine Schwester: "Kommen Sie bit­te nicht so nahe heran. Die Patienten drin werden sonst nervös."

      "Wir entfernen uns wieder", wird sie von Pia beru­higt.

      Doch bevor wir wieder gehen, schauen wir erst auf das vor uns stehende Schild, um zu erfahren, was dies für eine Station sein soll.

      "Aha, das ist ein Teil der Klapper", schlussfolgert Pia. "Deswegen wohl auch die vergitterten Fenster. Die dürften dazu da sein, dass keiner aus dem Fenster springen kann."

      "Jetzolln wir abee liebr verschwindn", rate ich ihr. "I hanämich keenlus, vonem Geisestörn gekillt zu werdn."

      Wir machen uns darüber noch eine Weile lustig. – Warum eigentlich? Die können doch nichts dafür. Ebenso wenig, wie ich was dafür kann, dass ich jetzt im Rollstuhl durch die Gegend krauche. (Nehme ich zumindest an.) Also, worüber machen wir uns dann lustig? Wir müssen doch froh sein, dass wir davon nicht betroffen sind. Und außerdem gibt es spezielle Sachen, die nur ein Geistesgestörter beherrscht. – Doch ich gefalle mir jetzt darin zu spinnen, kann nicht aufhören, darüber zu feixen, genieße dieses Ge­fühl, dass es nicht gegen mich geht, endlich wieder mal in vollen Zügen nach so langer Durststrecke.

      *

      Wir stoßen auf eine Bank, wo sich Pia hinsetzt, um rauchen zu können.

      "Also Lus habch ou. Gibs mir bidde eene?"

      "Meinst du echt, dass das gut für dich ist?"

      "Viellcht fangch wiedran. Die Langeweilisett quäln."

      Sie reicht mir die halb aufgerauchte Zigarette her­über. Ich aber muss nach dem ersten Zug feststellen, dass es bescheiden schmeckt. Hinzu kommt noch ein Reiz in der Kehle. Kann mich aber erinnern, dass dies nach einer langen Phase normal ist.

      Ich nehme trotzdem einen zweiten Zug – und fan­ge an zu husten – ausgiebig zu husten.

      Pia nimmt mir die Zigarette sofort wieder weg.

      "Siehst du, es ist doch nicht so gut für dich. Du kannst es mir ruhig glauben!"

      "Vielleichaste rech", lenke ich ein, "aber du mus­sou bedenkn, wie langch nimmer gerouchta." Und da­mit sie keine Zeit hat, etwas zu entgegnen, komme ich gleich mit dem nächsten Thema: "Dies Wochen­end versuchi, Urlau zu kiegn. Wir wolln domasähn, wasda Fakis." So richtig kann ich zwar an eine Ver­änderung oder Rückführung von mir auch nicht mehr glauben, doch das ist meine allerletzte Hoffnung; und an die werde ich mich klammern, solange es geht.

      "Lass dich doch erst einmal gesund pflegen, Mike!"

      Doch ich bleibe störrisch, lasse mich da von nie­mandem beirren: "Kanni schaddn, versuchn werdchs auf allef."

      Darüber scheint Pia nicht so begeistert zu sein. – Warum? Ich weiß es nicht. Bin mir aber sicher, dass ich es bald wissen werde.

      *

      Wieder zurück im Zimmer werde