Von Zwanzig bis Dreißig. Theodor Fontane

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Название Von Zwanzig bis Dreißig
Автор произведения Theodor Fontane
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783754179932



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dem man das, was man damals ein »Genie« nannte, so wundervoll hätte demonstrieren können wie an ihm. Ich sage mit Vorbedacht »damals«; jetzt denkt man Gott sei Dank anders darüber. Man weiß jetzt, daß ein Philister ersten Ranges ein großes Genie sein kann, ja, erst recht, während man sich ein solches, in den dreißiger und vierziger Jahren, ohne bestimmte moralische Defekte nicht gut vorstellen konnte. Jedes richtige Genie war auch zugleich ein Pump- und Bummelgenie. Von dieser Regel gab es nur wenig Ausnahmen.

      Faucher erschien in den Sonnabendsitzungen, die, wie schon kurz erwähnt, bei Maron stattfanden, mit großer Pünktlichkeit, sprach aber wenig, weil ihn unser lyrisches Treiben eigentlich langweilte, nicht aus Mangel an literarischem Verständnis, sondern umgekehrt, weil er von künstlerischem Sinn mehr besaß als wir. Er hatte die feinere Zunge und zeigte sich vor allem als der kritisch Überlegene. Die Hauptsache waren ihm die Kneipereien, die sich an die »Sitzungen« anschlossen. An mir nahm er ein gewisses Interesse, was halb schmeichelhaft, halb unschmeichelhaft war. Er sah mich aus seinen klugen Augen an und schien dabei sagen zu wollen: »Es ist doch unglaublich, was noch für Menschen vorkommen.« Einmal lud er mich ein, ihn zu besuchen. Seine Wohnung war Unter den Linden, die Nachbarecke von Kranzler. Wenn ich nicht irre, führten breite Außentreppen, wie man sie in Schweizer Häusern sieht, zu seinem in einem Hofflügel gelegenen Zimmer hinauf. Man sah, wenn man eintrat, sofort, daß er aus einem guten Hause stammte; von der herkömmlichen Ödheit einer Berliner Chambre garnie zeigte sich nichts, alles war eigentümlich und anheimelnd zugleich, und statt der »Philöse« erschien ein hübsches Mädchen, das den Tee brachte.

      »Nun, lieber Fontane, es ist nett, daß Sie gekommen sind. Ich habe Sie gebeten, um Sie heute abend mit einem Dichter bekannt zu machen.«

      Er sah wohl an meinen Augen, daß ich, nach diesen seinen Einleitungsworten, einen zweiten Besucher erwartete.

      »Nein«, lachte er, »nicht so. Der Dichter, mit dem ich Sie bekannt machen will, liegt hier schon auf dem Tisch. Und es ist niemand anders als unser Schutzpatron Lenau. Sie kennen ihn nicht, das haben Sie mir letzten Sonnabend freimütig gestanden; aber die andern, die sich alle für Lenau-Enthusiasten halten, kennen ihn eigentlich auch nicht. Maron kennt die ›Schilflieder‹, damit schließt so ziemlich seine ganze Weisheit ab.«

      »Die ›Schilflieder‹?«

      »Ja. Und ich freue mich, daß Sie sie noch nicht kennen, denn ich komme dadurch zu dem Vergnügen, Ihnen diese wundervollen Sachen vorlesen zu können.«

      Und nun begann er. Ich war hingerissen, was ihn sichtlich freute. »Ja, Freund«, nahm er wieder das Wort, »da kommt nun freilich unser Maron nicht gegen an, trotzdem er sich's beinah einbildet. Aber diese ›Schilflieder‹, das ist doch gar nichts; hören Sie weiter.«

      Und nun las er mir aus der ersten Abteilung – nur etwa dreißig Seiten, die aber das Beste enthalten, was Lenau geschrieben hat – noch etliche Sachen vor: »Nach Süden«, »Dein Bild«, »Das Mondlicht«, »Nächtliche Wandrung«, »Bitte«, »Das Posthorn«.

      Der Eindruck auf mich war ein großer, überwältigender. Drei Tage später hatte ich die Gedichte. Das damals erstandene Exemplar hat mich durchs Leben hin begleitet, und ich lese noch darin. Ich würde das noch öfter tun, wenn ich die vorgenannten Stücke nicht auswendig wüßte. Sie sind meine Lieblinge geblieben. Der Mehrzahl haftet etwas Schmerzrenommistisches an, aber trotzdem finde ich sie schön bis diesen Tag.

      Im Herbst 1840 verließ ich Berlin und kam, wie von dem ganzen Kreise, so auch von Faucher ab. Erst fünf Jahre später sah ich ihn wieder. Ich war damals in der Schachtschen Apotheke, Ecke der Friedrichs- und Mittelstraße. Eines Abends, auf dem Heimwege, sah ich mich, keine dreißig Schritt mehr von meiner Wohnung entfernt, von sechs, acht Strolchen, die sofort einen Kreis um mich schlossen, angebettelt. Alle hatten die Rockkragen in die Höhe geklappt und die Mützen und Hüte tief 'runtergezogen; ein paar humpelten, einer schien bucklig oder wenigstens mit sehr hoher Schulter. Dieser trat an mich heran, streckte mit gemachter Ängstlichkeit seine hohle Hand gegen mich aus und sagte: »Herr Jraf, bloß Zweigroschen.« Es war Faucher. Ich hätte nun sagen können: »Faucher, seien Sie nicht verrückt.« Aber das wäre Spielverderberei gewesen und hätte vielleicht auch zu sonderbaren Auseinandersetzungen geführt. Ich suchte also nach dem geforderten Geldstück, und weil ich ein solches leider nicht finden konnte, mußte ich mich mit einem Viergroschenstück loslösen, wofür ich unter devoten Bücklingen und heitrem Gejohle im Hintergrunde belobt wurde. Bald darauf erfuhr ich, daß die Raubzüge dieser Bande mit einer Art Regelmäßigkeit unternommen würden, immer in nächster Nähe der Linden, und daß sie's dabei bis auf mehrere Taler brächten, die dann sofort im Kap-Keller – zweites Haus in der Friedrichsstraße – verkneipt wurden.

      Aus welchen Elementen sich die Bande zusammensetzte, hab' ich nie sicher in Erfahrung gebracht. Wahrscheinlich fanden sie sich zufällig zusammen, vielleicht aber waren es auch einige der berühmten »Sieben Weisen aus dem Hippelschen Keller«, die den damaligen eigentlichen Umgang Fauchers bildeten. Alle Sieben haben eine Rolle gespielt. Es waren, wenn ich recht berichtet bin, die folgenden: Bruno Bauer, Edgar Bauer, Ludwig Buhl, Max Stirner, Leutnant St. Paul und Leutnant Techow. Der siebente war eben Faucher selbst.

      Zu diesen hier Genannten, mit Ausnahme von Buhl und Stirner, bin ich zu verschiedenen Zeiten in wenigstens lose Beziehungen getreten. Bruno Bauer sah ich, zwanzig Jahre später, als er das Wagenersche Konversationslexikon schrieb, allwöchentlich einmal auf der Kreuzzeitungs-Druckerei, wenn er in seinen Schmierstiefeln, mit Knotenstock und Schirmmütze, von Rixdorf nach Berlin hereinkam. In einem späteren Kapitel erzähl' ich davon. Seine Bedeutung steht fest; mein Geschmack aber war er offen gestanden nicht. Mit seinem Bruder Edgar war ich in den fünfziger Jahren in England oft zusammen. Er stand wohl, in der Hauptsache, dem älteren Bruder um ein erhebliches nach, war ihm aber an Witz und glücklichen Einfällen überlegen. Nur ein Beispiel stehe hier für viele. Gleich nach dem Regierungsantritt König Wilhelms war auch Edgar Bauer, wie so viele Flüchtlinge, von London nach Berlin zurückgekehrt, sah sich aber hier alsbald in Preßprozesse verwickelt und wurde durch den Landgerichtsrat Pielchen verurteilt. Er verkündete dies seinen Lesern in einem Leitartikel, der, wie folgt, anhob: »Wie den Individuen, so werden auch den Völkern alle Gnadengeschenke nach einer besonderen Skala zugemessen – England hatte vor dem seinen Peel, Preußen hat jetzt sein Pielchen.« Über meine Begegnung mit Saint Paul habe ich in meinem Scherenberg-Buche ziemlich ausführlich berichtet, und Leutnant Techow lernte ich im Herbst achtundvierzig kennen, als er als Festungsgefangener oder vielleicht auch erst in Untersuchungshaft in den Kasematten von Spandau saß. Der Tag ist mir unvergeßlich. Ein Verwandter von mir, ein in der Pépinière lebender Bataillonsarzt, forderte mich zu dieser Techow-Expedition auf, deren eigentlicher Unternehmer Du Bois-Reymond war. Dieser hat sich auch späterhin, als er längst eine Weltberühmtheit geworden, in einer schönen und mich erschütternden Weise als Freund Techows bekannt und seinen Fürsprecher gemacht. Leider ohne Erfolg. Ich sage »leider«, aber nur aus menschlicher Mitempfindung heraus, während ich im übrigen der kriegsministeriellen Entscheidung, die Techow für immer vom vaterländischen Boden ausschloß, zustimme. Es gibt eben Dinge, Gott sei Dank nicht oft, bei denen nicht gespaßt werden darf und wo der ausnahmsweise wirkliche Ernst der Sache – das meiste ist bloß Larifari – das Gemütlichsein verbietet... Wir trafen also nachmittag bei Techow ein. Die Kasematte, drin er saß, glich einem in einen Eisenbahndamm eingeschnittenen Kellerraum, hatte aber nichts sonderlich Bedrückliches. Techow war lebhaft, quick, elastisch. Was gesprochen wurde, weiß ich nicht mehr, trotzdem ich sonst immer bei unalltäglichen Gelegenheiten gut aufzupassen verstand. Über Techows weitres Leben zu berichten, über seine Flucht, seinen Aufenthalt erst in London und dann in Melbourne – wo er Droschkenkutscher war – und endlich über seine Rückkehr an die Heimatstür, um an dieser abgewiesen zu werden – dazu ist hier nicht der Ort. Ich erzähle deshalb lieber ein paar Einzelnheiten aus dem Leben, das die »Sieben Weisen des Hippelschen Kellers« damals führten, gleich hinzusetzend: relata refero.

      Einige Mitglieder des Kreises verheirateten sich. Der erste, der es wagte, war der seitdem so berühmt gewordene Stirner. Seine Frau hatte etwas Geld, das, der Weisheit der »Sieben Weisen« entsprechend, sofort in einem großen Gesamtunternehmen angelegt werden sollte. Man beschloß, eine »Milchwirtschaft«