Название | Zwei Ozeane auf Abwegen |
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Автор произведения | Jenny Karpe |
Жанр | Языкознание |
Серия | Zwei Kontinente |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783753196671 |
»Ach, warte«, unterbrach Mortimer. »Du kannst dich ja nicht wehren!« Sein Lachen war schallend, aber nicht echt.
Am liebsten hätte Augustin den Schädel des Administrators genommen und mit voller Wucht in Richtung der Bildschirme geschleudert. Dann musste er nicht mehr die Insel sehen, auf der die beiden wichtigsten Seelen fehlten.
»Wo sind sie jetzt?«, fragte er. »Was wollen Sie bezwecken? Und warum ausgerechnet die zwei?«
Mortimer schenkte ihm einen missbilligenden Blick. »Du meine Güte, glaubst du echt, dass ich dir das verrate? Phil, du wirst mich begleiten und es dir höchstpersönlich ansehen. Was hältst du von einem kleinen Tauschgeschäft?«
»Ich mache keine Geschäfte mit Verbrechern.«
»Das Wort Halunke wäre mir lieber. Man sagt so selten Halunke, heutzutage.« Wie schaffte es dieser Typ nur, gleichzeitig furchteinflößend und doch so lächerlich zu sein? »Ich weiß, was du dir wünschst, und ich kann dir diesen Wunsch erfüllen«, fuhr der Administrator verheißungsvoll fort. »Man nennt mich auch den Wunscherfüller.«
»Tut man nicht«, murmelte Augustin finster.
»Stimmt, tut man nicht. Du bist witzig, Phil. Ich denke, wir haben denselben Humor. Unsere Zusammenarbeit wird herrlich.« Mortimer seufzte und sah ihn für einen langen Moment an. Dann verlangte ein Aufflackern des Unterarms nach seiner Aufmerksamkeit.
»Ich werde vermisst, wie rührend«, zischte er. Seine Augen verengten sich für einen winzigen Moment. Betont gemächlich begann er damit, seine eigenartige Fernbedienung erneut mit dem Hemd zu bedecken. Es war mittlerweile zerknittert. Dann, als wäre es nur beiläufig, wechselte er das Thema. »Du kannst deinen Körper zurückhaben, deinen digitalen, aber menschlichen Augustin-Körper. Mit echten Beinen und Armen und einer Sehschwäche von minus drei Dioptrien.«
Augustin ließ sich nicht anmerken, dass er für eine Sekunde schwach wurde. Wehmut ergriff Besitz von ihm. Wie sehr sehnte er sich nach seinem alten Körper? R1 war schrecklich langsam, seine Bewegungen spielten sich wie in Zeitlupe ab. Allein sein Verstand war schneller.
»Wie wollen Sie das anstellen?«, fragte Augustin, als er feststellte, dass Mortimer auf seine Antwort wartete.
»Es gibt selbstverständlich ein Back-up deines Avatars. Das müsste ich nur freischalten, mit dir verknüpfen und deine Seele zurück ins Programm laden.«
Augustin stellte sich vor, wie er Aaron in die Arme schloss. Die Theke seines Geschäfts von Staub befreite. Am Rande der Insel saß und aufs Meer blickte. Plötzlich tauchte das Gesicht von Emilia vor seinem inneren Auge auf, doch er verwarf es schnell. Er sollte das alles nicht haben. Er war derjenige, der auf die Insel aufpasste. Hana und Elliott waren fort. Die beiden Forscher sollten Bestandteil des Insellebens bleiben und dort ihre ungefährliche Rolle spielen. Augustin war bewusst in der Realität geblieben. Er war zwar nicht in der Lage, sich einen neuen Körper zu programmieren, aber selbst wenn er es könnte – er durfte nicht hineinschlüpfen und das Labor unbeaufsichtigt lassen.
»Danke«, knurrte er. »Aber ich verzichte.«
»Hm, von mir aus. Dann eben kein Tauschgeschäft.« Mit einem Griff an das blau leuchtende Feld ließ Mortimer den Roboter aufstehen. »Ich bin hier fertig.«
Ohne sein Zutun bewegten sich Augustins Beine, schlossen sich dem Gang des Administrators an. Verzweifelt suchte er verfügbare Befehle durch, aber keiner ließ sich aktivieren. Mortimer lotste ihn durch das Tor, das auf die Flure von Wyoming Wonders führte. Dabei blickte er auf sein Handgelenk, als würde er nach der Uhrzeit schauen.
»Es ist herzzerreißend, dir zuzusehen«, meinte Mortimer. »Erspar dir die Mühe.«
Augustin schwieg. Der Administrator sah also, welche Befehle er ausprobierte. Hoffentlich blieb ihm der Rest seiner Gedanken verschlossen.
Mortimer verriegelte das Tor mit einem nahezu unsichtbaren Wandschalter. Erst vor wenigen Stunden war Augustin das letzte Mal hier gewesen. Vor ihnen lag eine gewaltige Halle. Gegenüber stapelten sich weitere Flure mit hunderten Laboren, Etage um Etage. Das Gebäude von Wyoming Wonders war höher als der Felsen, den Augustin sein Zuhause nannte. Auf dem Glasdach lag Sand mit wenigen freien Flächen dazwischen. In den Sonnenstrahlen tanzte Staub. Es war beunruhigend still.
Auf dem Boden der Halle befand sich das schwarze Steingebilde, das wie eine Mauer den Raum längs teilte. Darauf standen die Namen aller, die Teil der Experimente waren, tausende Seelen für die Wissenschaft. Phil Williams hatte sich damals freiwillig gemeldet, als er den Kampf gegen den Nierenkrebs verloren hatte. Das war schon viele Jahrzehnte her. Er wäre mittlerweile längst tot, selbst ohne den Tumor und seine Metastasen. Der Gedanke, dass es kein Problem war, eine Seele zu speichern und in ein Programm zu übertragen, ängstigte und beruhigte ihn zugleich. Es gab ihm das Gefühl, bis zu einem gewissen Punkt unantastbar zu sein. Zumindest bislang.
Mortimer wandte sich nach rechts. In dieser Richtung befand sich der Aufzug, den die R4-Roboter und Forscher benutzten. Ausnahmsweise schwieg der Administrator den kompletten Weg über. Vermutlich auch, weil Augustin damit aufhörte, Befehle auszuprobieren. Seine Gedanken rasten weiter und suchten nach einem Ausweg.
Am Ende des Flures stiegen sie in den Aufzug. Mortimer drückte einen Knopf, sie fuhren nach oben. All das nahm Augustin nur gedämpft wahr, als hätte jemand seine Sensoren manipuliert. Eine der Warnungen seines Systems ließ sich zudem nicht mehr aus seinem Sichtfeld entfernen und verharrte am rechten Bildrand.
Warnung. Fremdsteuerung. Eingeschränkter Zugriff.
Augustin seufzte innerlich. Als ob er das noch nicht bemerkt hätte.
Lautlos blieb der Aufzug stehen und öffnete seine Türen. Sie stiegen in der Etage direkt unterhalb der Glasdecke aus. Zu gerne hätte Augustin die warmen Sonnenstrahlen auf seinen Plastikgelenken gespürt. Der Flur führte wie in den übrigen Etagen in einer geraden Linie an der Wand entlang, doch hier gab es offenbar ein anderes, spezielles Labor. Beinahe unsichtbar schmiegte sich rechts neben dem Aufzug eine Tür in das Mauerwerk. Daneben war ein kleines Metallschild angebracht worden.
Labor 001/002
Darunter befand sich schwarzes Klebeband, das mehr Schrift verdeckte. Mortimer hielt seinen Unterarm an den Griff, erhielt einen Piepton zur Antwort und stieß die Tür auf.
»Willkommen.« Mortimer ließ Augustin wie einen benutzten Regenschirm mitten im Raum zurück und ging zu einer exorbitanten Bildschirmwand herüber. Mehrere Inseln flimmerten darauf, manche schneebedeckt, manche ohne ersichtliche Küste, manche nachtschwarz. Davor befand sich ein U-förmiger Schreibtisch mit benutzten Getränkedosen und halb geleerten Popcornschachteln darauf. Im Grunde war dieses Labor wie das von Insel 317, nur ein wenig opulenter. Augustin fragte sich, was er hier verloren hatte.
»Oha«, machte Mortimer nach einem raschen Blick auf einen der unteren Monitore. Er setzte sich auf den linken Drehstuhl und machte eine beiläufige Handbewegung, als würde er Augustin einen Gefallen abschlagen. »Bin gleich wieder zurück. Fass nichts an.«
Augustin wollte gerade etwas erwidern, als der Kopf des Administrators nach unten sackte.
Kapitel 03
Nicht einmal in der Realität war Kira so verloren gewesen. Ihre Füße wussten, wohin sie gingen, aber teilten dem Kopf nichts mit. Vermutlich wollten sie bloß nicht stehenbleiben. Mittlerweile kreisten ihre Gedanken um Aaron. Würde sie ihn überhaupt finden können? Wahrscheinlich war er an einem völlig anderen Ort – real oder nicht – und steckte ebenfalls in einem fremden Körper. Trotzdem hoffte sie an jeder Kreuzung, dass er ihr lächelnd entgegenkam und die Antworten mitbrachte, nach denen Kira sich sehnte.
Gleichzeitig hielt sie die Augen nach Juniper offen. Sie hatte sich noch nicht entschieden, ob sie die Forscherin um Hilfe bitten wollte oder nicht. Anscheinend hatte Juniper nicht bemerkt, dass ihre Geliebte durch eine