Wir denken an..... Heinrich Jordis-Lohausen

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Название Wir denken an....
Автор произведения Heinrich Jordis-Lohausen
Жанр Документальная литература
Серия Wir denken an ....
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783753190594



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man malt nicht wegen der Farben, diese sind lediglich Mittel und Zweck, zum Erzählen. Die Farbe macht das Erzählen deutlich und ich brauche nur so viel Farbe, als dazu gerade notwendig ist…. Kolorismus – das heißt Farbe als Selbstzweck – ist Unsinn.“

      Das „Erzählte“ – klarer kann es Böcklin nicht sagen – er ist nicht zuerst Maler, sondern Erzähler, Dichter. „Wenn man solche Kerle malt“ meint Böcklin zu Lasius, „muss man sich auch seelisch in sie hineinleben. Ein Pferdeleib mit menschlichem Oberkörper ist noch lange kein Kentaur!“

      Auch frühere Künstler waren in erster Linie Dichter gewesen, vielleicht alle frühen Künstler. Auch ihnen war nicht das Zuschaustellen von Linien und Farben letztes Ziel ihres Malens gewesen, sondern das Wiederbringen von etwas, das schon vor ihrem Bild da war, und immer war dieses im buchstäblichen Sinn. „Wieder-zu-gebende“ – (der Engel, oder die biblische Szene oder der Held oder der Heilige) – das Entscheidende ihrer künstlerischen Absicht gewesen – und niemals hätten diese einfachen Menschen verstanden, dass sich spätere Jahrhunderte mehr für ihren Stil und ihre Technik interessieren würden, als für das, was sie selbst als das Wichtigste ihres Werkes ansahen – das Erinnern an etwas, das wert ist, erinnert zu werden.

      Zu denken, dass zufällige Art und Weise der Abbildung wichtiger sein könnte als das Abzubildende selbst – das zu denken, wäre ihnen nur widersinnig erschienen und die Bezeichnung „Vorwand“ für den Gegenstand ihres Bemühens gleichbedeutend mit einer Verkehrung der natürlichen Ordnung der Dinge.

      Und wie die Künstler dachten, dachten ihre Auftraggeber: auch sie wollten eine Madonna und nicht einen Stil, eine Landschaft und nicht eine Manier, ein Portrait und nicht einen „Ismus“. So zu empfinden allerdings war eines Tages unzeitgemäß geworden. Und wollte einer – entgegen der nunmehr üblichen Entwertung der Dinge durch die Virtuosität ihrer Wiedergabe – an der alten Rangordnung festhalten, so musste er, um überhaupt beachtet zu werden, der Neugier seines Publikums unerwartete Tore auftun. Und das tat Böcklin. Aus dem Aufbäumen seines schöpferischen Willens gegen die Zeichen der Zeit, entsprang das Herausfordernde seiner Kunst.

      Indessen die Impressionisten den banalsten Alltag in der Zufallsschönheit einzelner flüchtiger Farbaugenblicke verklärten, malte Böcklin ganz altmodisch Götter und Ungeheuer vergangener Jahrtausende. Diese aber in verblüffender Leibhaftigkeit. Das war seine der impressionistischen entgegengesetzte Kunst.

      Und was noch befremdlicher war, er malte auswendig und hatte dank unermüdlicher Studien, einen derart umfangreichen Vorrat naturgetreuer Vorstellungen fertig im Gedächtnis, dass er der Nachhilfe ihrer Gegenwart nicht mehr bedurfte. Nur ausnahmsweise verließ er in späteren Jahren sein Atelier, um sich eines vorübergehend verlorengegangenen Eindrucks von neuem zu versichern. So reiste er einmal in ununterbrochener Fahrt von Zürich nach Neapel, setzte sich dort an den Strand und prägte sich die vergessenen Formen der sich in wilder Brandung überschlagenden Wellen neuerdings ein.

      Und wie damals Stunden, war er in früheren Jahren Tage hindurch zwischen den Felsen gehockt und war der hochaufspritzenden Gischt mit dem Pinsel ins Wasser gefolgt, um ihre flüchtigen Muster aus Sonne und Schaum aus nächster Nähe zu fassen.

      Und so – mit allen Zeichnungen ihrer Oberfläche und allen Tönungen ihrer Tiefe – hat denn auch kein Abendländer vor Böcklin die salzige Flut in Bilder gebannt.

      Andere hatten das Meer als Hintergrund und Begrenzung, als Teil einer Landschaft oder Sinnbild des Sturmes, als Staffage einer Seeschlacht oder als Inbegriff schillernder Farbflecke dargestellt – aber nie von so nahe – nie mit demselben Zauber eines nicht nur sichtbaren, sondern auch hör- und fühlbaren Elements.

      Böcklin erst gab den Menschen des Nordens das lockende, heidnische Südmeer als das zurück, was es den Gefährten des Odysseus gewesen war – als ein gewaltiges, sich jeden Augenblick erneuerndes mythisches Wesen.

      Bezeichnend, welch entscheide Rolle das Musikalische in seinem Schafften gespielt hat! Der Strich einer Geige konnte ihn ebenso heftig erregen wie das Leuchten einer Farbe – und schon in seiner Jugend pflegte er seine Arbeiten ständig mit Flötenspiel, später mit Phantasien auf dem Klavier und Harmonium, zu unterbrechen.

      Bestrebt, die Wirkung seiner Bilder, bis zur Illusion eines gleichzeitigen Eindrucks von Gesicht, Gehör und Tastsinn zu steigern, hat Böcklin die Kraft seiner Farben immer wieder an Klangeffekten gemessen und versucht, eine bestimmte, mit Worten nicht näher zu erläuternde Übereinstimmung zwischen den beiden Sinneseindrücken hervorzubringen.

      Er hat daher auch, eher unbewusst wohl als mit Absicht, die Darstellung solcher Naturerscheinungen bevorzugt, deren Betrachtung unwillkürlich Geräuschvorstellungen erweckt – wie der Anblick flötender Hirtenknaben, die Bewegung windgebeugter Zypressen oder das Aufleuchten an Felsklippen und Uferhöhlen zerschellender Wellenkämme. Trotzdem kannte er wie keiner die Grenzen der Malerei – und als ihm Wagner vorschlug, die Dekoration seiner Musikdramen zu übernehmen, lehnte er ab. Und auch später, als die beiden Männer einander in Neapel von neuem begegneten, kamen sie sich nicht näher.

      Und doch waren sie – beide gleich versessen auf die Wiederbelebung versunkener Welten – Zwillinge derselben Idee, das in dichterischer Eingebung Geschaute durch die sinnliche Gewalt von Klang und Farbe in die Gegenwart zurückbeschwören.

      Van Gogh

      Maler des 19. Jahrhunderts hat das 20. so stark beschäftigt wie Van Gogh. Dieses außergewöhnliche Interesse ließe sich allein durch die ungewöhnliche Ausdruckskraft seiner Bilder erklären, suchte nicht eine tiefere Teilnahme hinter diesen Bildern immer wieder den Menschen, der derartige Werke hervorgebracht hat und der – halb Weiser, halb Narr – durch unsere Zeit gewandelt ist wie ein moderner Parsifal durch eine heillose Welt.

      Vincent Van Gogh wurde am 30. März 1853 in einem kleinen Dorfe in Nordbrabant geboren. Sein Vater war Pastor und Van Gogh verlebte seine Kindheit in der wohlgeordneten Ruhe eines niederländischen Pfarrhauses. Schon der Knabe war ein Grübler, und seine Neigung, den Dingen auf eigentümlichen Wegen bis auf den Grund zu folgen, trennt ihn von Anbeginn von der problemlosen Heiterkeit seiner Geschwister.

      Wahrscheinlich schreckten sie oft genug vor der Fremdartigkeit des großen Bruders zurück. Denn der Drang, sich mitzuteilen, hat die Fesseln seiner schwerblütigen Natur zuweilen jäh unterbrochen und nach einer Unmittelbarkeit des Ausdruckes gesucht, der die kleinen Gemüter fassungslos gegenüberstanden.

      Dieses Streben, das Tiefliegende bloßzulegen, das Echte von jeder verfälschenden Hülle zu befreien und das Wesentliche an Menschen und Dingen ganz unmittelbar werden zu lassen, durchzieht das Ganze, sonst so widerspruchsvolle Leben Van Goghs bis an sein tragisches Ende.

      Mit 16 Jahren tritt der kaum der Schule entwachsene in das Geschäft seines Oheims ein. Der Onkel ist Kunsthändler und Teilhaber einer über zahlreiche Hauptstädte Europas verzweigten Unternehmung. Sieben Jahre lang arbeitet Van Gogh in deren verschiedenen Niederlassungen im Haag, in London und in Paris, dann muss er erkennen, dass ihn dieser Beruf niemals befriedigen kann.

      Kunstwerke sind wehrlos. Die Händler aber werden nicht aufhören, diese Wehrlosigkeit zu nützen und die Geschöpfe einer göttlichen Eingebung an den jeweils Meistbietenden zu verschachern. Kunsthandel ist angewandte Demokratie. Ihm gilt ein Dollar so viel wie der andere ….

      Wahrscheinlich hat selten ein Künstler so unmittelbar begreifen gelernt, dass Geld den Geist tötet. Und als Fanatiker der Wahrheit hat Van Gogh keinen Augenblick länger gezögert, aus dieser Erkenntnis die Folgerungen zu ziehen.

      Mit 23 Jahren kehrt er allen Aussichten auf leichten Gelderwerb für immer den Rücken – reist von Paris nach England zurück und wird Hilfslehrer auf dem Land in der Nähe von London.

      Doch dieselbe Gewissenhaftigkeit, die ihn vom Kunsthandel weggetrieben hat, vertreibt ihn von neuem. Er erkennt, dass ihm alle Voraussetzungen fehlen, um sich einer so verantwortungsvollen Aufgabe wie der Erziehung von Kindern zu widmen.

      Wieder gibt er die Stelle auf, verlässt England und studiert Theologie.