Unterwegs und Daheim. Mark Twain

Читать онлайн.
Название Unterwegs und Daheim
Автор произведения Mark Twain
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754179086



Скачать книгу

erinnern Sie sich, wie bange die arme Marie war?«

      »Jawohl,« sagte ich, »nein, wie einem alles wieder gegenwärtig wird.«

      Das wünschte ich zwar aufs innigste, aber es war wie aus meinem Gedächtnis weggeblasen! Das Klügste wäre gewesen, offen die Wahrheit zu gestehen, aber das konnte ich nicht übers Herz bringen, nachdem das junge Mädchen mir solches Lob gespendet, weil ich sie wieder erkannt hatte. So geriet ich denn immer tiefer hinein und hoffte vergebens auf einen rettenden Faden, um aus dem Labyrinth zu kommen.

      Die Unerkennbare fuhr lebhaft fort: »Denken Sie, Georg hat doch noch Marie geheiratet!«

      »Wirklich? Ist es möglich!« –

      »Jawohl; er sagte, er glaube, daß ihr Vater viel mehr schuld gewesen sei, als sie selbst; und ich glaube, er hatte recht, meinen Sie nicht auch?«

      »Natürlich, es war ja ganz klar, ich habe es doch immer gesagt.«

      »O nein, Sie waren ja anderer Meinung, wenigstens in jenem Sommer.«

      »Im Sommer, da haben Sie ganz recht, aber im folgenden Winter sagte ich's.«

      »Nun, es stellte sich heraus, daß Marie gar nicht schuld war, sondern nur ihr Vater und der alte Darley.«

      Um doch etwas zu erwidern, sagte ich:

      »Ja, Darley habe ich immer als ein lästiges altes Geschöpf angesehen!«

      »Das war er auch, aber trotz seiner Sonderbarkeiten waren sie ihm zärtlich zugethan; – wissen Sie noch, wie er immer versuchte, ins Haus zu kommen, sobald es nur im geringsten kalt war?«

      Ich getraute mir nicht, weiter zu gehen. Offenbar war dieser Darley kein Zweifüßler, sondern irgend ein Vierfüßler, vielleicht ein Hund, möglicherweise ein Elefant. Da nun jedes Tier eine Haut hat, so fiel ich im Anschluß an ihre Frage mit der Bemerkung ein: »Und was er für ein Fell hatte!«

      Diese Bemerkung mußte passen, denn sie sagte zustimmend: »Ja, ein sehr dickes – und erst seine Wolle!«

      Das verblüffte mich, ich wußte nicht recht weiter und sagte nur:

      »Ja, an Wolle fehlte es ihm nicht!«

      »Einen Neger, mit solchem Wollhaar könnte man lange suchen,« meinte sie.

      Das war ein Lichtblick, denn mir fing an schwül zu werden, und ich war froh, als sie fortfuhr:

      »Er war doch selbst bequem genug einquartiert, aber wenn es kalt wurde, fand er sich stets bei der Familie ein und war nicht wieder aus dem Hause, zu bringen. Man sah ihm manches nach, weil er vor Jahren Tom das Leben gerettet hatte. Erinnern Sie sich noch an Tom?«

      »Ganz deutlich, er war ein so hübscher Mensch!«

      »Jawohl, und das Kind ein so niedliches Ding.«

      »Ein hübscheres Kind habe ich nie gesehen.«

      »Ich that nichts lieber, als mit ihm tändeln und spielen.«

      »Und ich schaukelte es so gern auf den Knieen.«

      »Sie haben ihm auch den Namen ausgesucht, – wie war es doch?«

      Jetzt kam ich aufs Glatteis! Hätte ich nur des Kindes Geschlecht gewußt. Zum guten Glück fiel mir ein Name ein, der für alle Fälle paßte. Ich sagte:

       »Es wurde Fränzchen genannt.«

      »Nach einem Verwandten vermutlich. Aber dem verstorbenen, das ich nie gesehen habe, gaben Sie auch den Namen; wie hieß denn das?«

      Da das Kind tot war und sie es nie gesehen hatte, dachte ich, man könnte auf gut Glück einen Namen wagen und so antwortete ich:

      »Es hieß Thomas Heinrich!«

      Sie wurde nachdenklich und sagte: »Das ist doch sonderbar – sehr sonderbar!«

      Ich saß ganz still und der kalte Schweiß lief an mir herunter. Aber, so arg meine Verlegenheit war, so hoffte ich doch, mich aus der Klemme zu ziehen, wenn sie nur nicht noch mehr Namen von Kindern wissen wollte. – Ich war begierig, wo der nächste Blitz einschlug. Sie war noch mit dem Namen des letzten Kindes beschäftigt, sagte aber plötzlich:

      »Es war recht schade, daß Sie gerade fort waren als mein Kind geboren wurde, sonst hätten Sie seinen Namen auch wählen müssen.«

      »Ihr Kind? Sind Sie denn verheiratet?«

      »Ich bin seit dreizehn Jahren verheiratet.«

      »Getauft, meinen Sie wohl.«

      »Nein, verheiratet, – dieser Knabe hier ist mein Sohn.«

      »Das scheint ja ganz unglaublich, – fast unmöglich! Wenn Sie es nicht für unhöflich halten, möchte ich mir wirklich erlauben zu fragen, ob Sie älter als achtzehn sind?«

      »Am Tag des Sturmes, von dem wir sprachen, war ich gerade neunzehn, das war mein Geburtstag.«

      Dadurch wurde ich wenig klüger, da ich das Datum des Sturmes nicht wußte.

      Ich dachte nach, was ich wohl Unverfängliches sagen könnte, um meinen Anteil an der Unterhaltung beizutragen und meinen Mangel an Erinnerungen weniger bemerklich zu machen. Aber nichts Unverfängliches wollte mir einfallen. Wenn ich sagte: ›Sie haben sich seitdem nicht im geringsten verändert!‹ so war das riskiert; meinte ich dagegen: ›Sie sehen jetzt viel besser aus,‹ so ging das auch nicht. Eben wollte ich einen Ausfall auf das Wetter machen, als meine Landsmännin mir zuvorkam und rief:

      »Wie habe ich mich gefreut, einmal wieder von den lieben alten Zeiten zu sprechen! Sie nicht auch?«

      »Gewiß, eine solche halbe Stunde habe ich noch nie erlebt,« versetzte ich voll Gefühl und hätte mit Wahrheit hinzufügen können: ›Lieber wollte ich mir bei lebendigem Leibe die Haut abziehen lassen, als sie noch einmal durchzumachen.‹ Ich war von Herzen dankbar, mit der Feuerprobe fertig zu sein und wollte mich eben verabschieden, als sie fortfuhr:

      »Nur eins geht mir im Kopf herum!«

      »Was denn?«

      »Der Name des verstorbenen Kindes. Wie sagten Sie doch, daß es hieß?«

      Jetzt war ich übel daran; ich hatte des Kindes Namen ganz vergessen, wie konnte ich ahnen, daß ich ihn noch einmal brauchen würde. Ich ließ mir nichts anmerken und sagte kühn:

      »Joseph Wilhelm.«

      Aber der Knabe neben mir verbesserte meinen Irrtum:

      »Nein; Thomas Heinrich.«

      Ich bedankte mich bei ihm und sagte: Ach ja, ich habe es mit einem andern Kind verwechselt, richtig, Thomas Heinrich hieß das arme Kind; Thomas, hm – nach dem großen Thomas Carlyle, und Heinrich – hm – nach Heinrich VIII., die Eltern waren sehr zufrieden mit den Namen.«

       »Dadurch wird es nur noch sonderbarer,« murmelte meine schöne Freundin.

      ›Warum denn?«

      »Weil die Eltern es immer Amalie Susanne nennen, wenn sie von ihm sprechen.«

      Jetzt war meine Weisheit zu Ende; ich war wie auf den Mund geschlagen und wußte weder aus noch ein. Um die Sache fortzusetzen, hatte ich lügen müssen, und das wollte ich nicht. So saß ich denn stumm und ergeben da, und ließ mich von dem Feuer meiner eigenen Beschämung langsam zu Tode braten. Plötzlich aber lachte meine Gegnerin hell auf und sagte:

      »Mir haben die Erinnerungen an alte Zeiten mehr Spaß gemacht als Ihnen. Ich merkte bald, daß Sie sich nur stellten, als ob Sie mich kennten, und nachdem ich mein Lob an Sie verschwendet hatte, beschloß ich, Sie zu strafen, was mir auch gelungen ist. Es war mir sehr angenehm, durch Sie Georg und Tom und Darley kennen zu lernen; denn ich hatte vorher nie etwas von ihnen gehört. Wenn man es nur richtig anzufangen weiß, kann man von Ihnen wirklich eine ganze Menge Neuigkeiten erfahren. Marie, und der Sturm, der die vorderen Boote