Geliebter Unhold. Billy Remie

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Название Geliebter Unhold
Автор произведения Billy Remie
Жанр Языкознание
Серия Chroniken der Bruderschaft 4
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783753189772



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großer Magie über eine weite Entfernung hinweg konnte einen gewöhnlichen Magier auslaugen bis zum Herzstillstand.

      Einen gewöhnlichen Magier.

      Nicht den dunklen Prinzen. Und doch spürte natürlich auch er die große, mentale Anstrengung überdeutlich. Es war, wie nach einer langen, kräftezehrenden Krankheit zu erwachen und festzustellen, dass die Muskulatur abgebaut hatte, Beine und Arme sich wie flatternder, haltloser Stoff anfühlten, nicht wie Gliedmaßen. Wenn der Schwindel im Kopf zunahm, sobald man sich aufsetzte. Und wenn man Hunger hatte, aber bereits eine Keule Fleisch den Magen rebellieren ließ.

      Immerhin schien das Blut zu helfen, das Marks ihm stündlich bringen ließ. Mit einem weiteren Tag Verspätung gelang es Riath dann endlich, aufzustehen und sich ein Hemd und eine Hose überzuziehen. Dafür hatte er den verdammten Schneesturm in Carapuhr allerdings loslassen müssen. Vermutlich klarte das Wetter im Norden bereits auf, was bedeutete, der Kaiser würde seinen Rückweg antreten.

      Doch Riath glaubte ohnehin, dass Eagle längst Boten geschickt hatte, die das Kaiserreich über die »Wahrheit« informiert hatte. Anders konnte er sich Kaceys Schweigen nicht erklären.

      Er musste ihn persönlich sprechen, es war höchste Zeit. Doch wenn ihn jemand in der Stadt erkannte, würde er wohl im Kerker und am Ende vor dem Henker landen. Dieses Mal, da war er sich absolut sicher, würden sie ihm den Kopf abschlagen. Da der letzte Angriff auf sein Leben nicht von Erfolg gekrönt gewesen war.

      Nein, wenn er sich in der Stadt blicken ließe, müsste er zuvor einige Verbündete an Land gezogen haben.

      Gedankenverloren strich er mit den Fingerspitzen über seine Narbe, die sich als hauchdünner Strich auf seiner Kehle abzeichnete. Sie war so gut verheilt, dass sie nur noch einer Falte glich, die keine Sonne abgekommen hatte. Dennoch spürte er, wenn er an sie erinnert wurde, die Atemnot, das Brennen, die Angst. Er hatte damals nicht gewusst, dass er den Anschlag überleben würde. Sterben war etwas Schreckliches, so voller instinktiver Furcht, voller Kälter, Schmerzen und Qual. Riath sah das Gesicht seines Mörders deutlich vor sich, immer wieder, jede Nacht, und in seinem Inneren brodelte eine so lebendige, heiße Wut, dass er brüllen und irgendetwas zerstören wollte, nur um dem Druck in seiner Brust ein wenig Luft zu verschaffen.

      Er beherrschte sich, hob sich all die Wut für seinen allerletzten Zug auf, und wenn er Jahrzehnte darauf wartete, war es das wert.

      Riath trat aus seinem Zelt in das Lager, wo seine Leute bereits tüchtig ihrer Arbeit nachgingen. Knechte kümmerten sich um die Feuer, das Essen, putzten Rüstungen, Stiefel, Zaumzeug und Sättel, leerten Bettpfannen aus, striegelte die kräftigen, ausdauernden Pferde aus Nohva.

      Sie hatten die Zelte in einer dichten Baumgruppe aufgeschlagen, direkt ins Unterholz, das sie nun wie ein natürlicher Wall umgab. Das Blätterdach des Urwaldes war dicht, doch es gab diese eine Lücke, durch die die Sonne drang und direkt auf Riaths Zelt fiel.

      »Mein Prinz!«, begrüßten ihn seine Getreuen ebenso wie die Knechte, die ihm begegneten, legte ihre Fäuste auf ihre Herzen und neigten huldvoll das Haupt, als er an ihnen vorüber ging. Er beachtete sie gar nicht, ihre Unterwürfigkeit war ihm so vertraut wie das Kribbeln der Sonne auf seinem Gesicht.

      Disziplin musste sein, er hatte bei Wexmell gesehen, wohin zu intime Vertraulichkeit mit den Untertanen führte. Wie sie den Respekt vor dem Amt verloren hatten, wie sie den König als Freund, denn als Herrscher angesehen und geglaubt hatten, sich alles erlauben zu dürfen, einschließlich öffentlichen Beleidigungen und Drohbriefen. Und das nur, weil Wexmell sich weigerte, Zauberkundige in Nohva in Gefängnisse zu stecken oder sie zu Sklaven der Allgemeinheit zu machen. Es war sogar von magischer Kastration die Rede gewesen, was für einen Magiebegabten bedeutet, seiner Fähigkeiten beraubt zu werden.

      Riath ließ unter seinen Leuten niemals zu, dass sie vergaßen, wer er war. Er war nahbar, er trank und kämpfte Seite an Seite mit seinen Getreuen, er unterhielt sich mit Knechten, er machte sich auch mal die Finger schmutzig, doch er erlaubte niemals, dass sie in seiner Gegenwart vergaßen, dass er ihr Prinz war und sie ihm Respekt schuldeten. Und Treue.

      Und bisher hatte ihn niemand aus den eigenen Reihen verraten, im Gegenteil, er hatte dadurch sogar mehr Leute gewonnen, darunter Marks, der zuvor gegen die Magier rebelliert hatte.

      Allerdings musste Riath gestehen, war es nicht mehr sonderlich schwer gewesen, den Krieger zu überzeugen, nachdem er mit eigenen Augen gesehen hatte, dass die Hexenjäger sinnlos brandschatzten und mordeten. Er würde niemals Marks ratloses, schmutziges Gesicht vergessen, als er ihn mitten in dem brennenden Dorf erblickt hatte, inmitten der völlig außer Kontrolle geratenen Hexenjäger, die wie die Barbaren über unschuldige Bauern hergefallen waren, wegen eines angeblichen Hexenmädchens. Eine Lüge, erschaffen von den Jägern, um Angst und Schrecken zu verbreiten. Um das Volk mit Gewalt zu zwingen, den Magiern keinen Unterschlupf zu gewähren.

      Da war dieser Junge gewesen, Riath erinnerte sich genau, als er im Lager vor einem der Feuer zum Stehen kam und die züngelnden Flammen erblickte. Er sah es noch vor sich, als wäre es gestern gewesen, ein Bursche im Alter von zehn Sommern rannte über die Straße und schrie so spitz, dass seine Stimme den Kampflärm übertönte. Ein helles, gellendes Kreischen, das von einer ungeheuren Qual zeugte. Er hatte gebrannt, lichterloh in Flammen gestanden, geschrien und war an Marks vorbeigerannt, eine Qualm- und Hitzewolke hinter sich herziehend, bis er einfach zusammengebrochen war, nicht mehr als ein zu Kohle verbranntes Stück Menschenfleisch. Marks hatte ihm mit grauenhaftem Unglauben nachgesehen und dann Riath am Ende der Straße erblickt. Er hatte geblinzelt, den Kopf geschüttelt, und Riath war langsam auf ihn zugegangen und hatte ihm die Wahl gelassen. Marks war auf die Knie gefallen – und versuchte noch heute Wiedergutmachung zu leisten. Riath war sich sicher, dass sein Getreuer noch immer von dem Jungen träumte.

      Sie hatten die Hexenjäger gemeinsam vertrieben, aber der Schlange noch nicht den Kopf abgeschlagen. Es wäre zu riskant gewesen, in ihre Nachhut einzufallen.

      Mak kam durch die Zelte auf Riath zugetrabt, die langen Ohren eingeknickt und mit der Rute wedelnd.

      Riath begrüßte ihn, ging in die Hocke und ließ zu, dass der kleine Racker seine Pfoten auf seine Brust stellte, damit sie auf Augenhöhe waren. Mak hechelte erhitzt, als wäre er stundenlang gerannt, in seinen Augen glitzerte absolute Zufriedenheit und an seinen Lefzen klebte frisches Blut.

      »Hast du eine Gazelle gerissen, kleines Reißzähnchen?« Riath kraulte ihn ausgiebig, der dünne Kopf des Schakals wirkte winzig und zerbrechlich in seinen großen Pranken, doch er ging so sanft mit ihm um wie mit einem Neugeborenen. »Keine Nachricht von unserem Schönling, hm?«

      Riath griff in den Beutel, der um Maks Rumpf gebunden war und runzelte verwundert die Stirn. Seine Finger ertasteten ein Stück Pergament.

      Damit hatte er nicht gerechnet.

      Während Mak an ihm hochsprang und seinen Hals voller Zuneigung leckte, tätschelte Riath ihn nur noch halbherzig, da all seine Gedanken auf den Brief gerichtet waren. Obgleich es kein richtiger Brief war, sondern ein kurzer, winziger Zettel ohne Sigel und unsauber gefaltet. Er klappte ihn auseinander und las die wenigen Worte. Nur ein Satz, keine Namen. Das war auch nicht nötig.

      Riath warf die Nachricht ins Feuer, seine Miene war undurchdringlich, aber in seinem Inneren verspürte er ein erdrückendes Gefühl.

      »Komm«, sagte er dann ernst, »gehen wir ein Stück.«

      Er wollte sich die Beine vertreten, auch wenn sich seine Knie noch immer anfühlten, als bestünden sie aus eingeschmolzenem Stahl.

      Vom Lager führte ein schmaler Trampelpfad durch den dichten Urwald eine Anhöhe hinauf.

      Er verscheuchte alle Gedanken.

      Die schwüle Hitze legte sich bald nicht nur auf Riaths Haut und sorgte dafür, dass sein schwarzes Hemd an ihm klebte, sondern drang auch in seine Lunge ein und ließ ihn schwer schnaufen.

      Mak sprang leichtfüßig neben ihm her, seine lange Zunge hing fast auf dem Boden, doch er jagte weiterhin begeistert allem nach, was sich bewegte.

      Der Weg unter Riaths