Eine Geschichte aus zwei Städten. Charles Dickens

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Название Eine Geschichte aus zwei Städten
Автор произведения Charles Dickens
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783753197937



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des bitter kalten Tages seinen Rock nicht auf dem Leib, sondern über die Schultern geschlenkert trug. Seine Hemdärmel waren aufgerollt und seine braunen Arme bis zum Ellbogen nackt. Auch hatte er keine andere Kopfbedeckung als sein kurzgeschnittenes, krauses, schwarzes Haar. Er selbst war ein dunkelfarbiger Mann mit grauen Augen und einer breiten, kühnen Nasenbrücke dazwischen. Im ganzen sah er gutlaunig, dabei aber auch unversöhnlich aus, und Entschiedenheit des Willens und des Entschlusses waren ihm auf die Stirne gezeichnet, Man mußte sich wohl vorsehen, ihm entgegenzutreten, wenn er eine enge Steige mit einem Abgrund auf jeder Seite hinabstürmte, da diesen Mann nichts zum Ausweichen gebracht haben würde.

      Als er hereinkam, saß seine Frau, Madame Defarge, hinter dem Zahltisch der Gaststube. Sie war eine stämmige Frau von dem Alter ihres Gatten und hatte ein wachsames Augenpaar, das selten auf etwas hinzuschauen schien. Ihre große Hand war mit schweren Ringen geschmückt, und ihr gesetztes, derbzügiges Gesicht verriet große Selbstbeherrschung. Überhaupt zeigte Madame Defarge etwas so Charakteristisches, daß man von ihr zum voraus sagen konnte, sie mache in den Rechnungen, denen sie vorstand, nicht leicht einen Verstoß zu ihrem Nachteil. Da sie sehr empfindlich gegen Kälte war, hatte sie sich in einen Pelz gehüllt und außerdem ein mächtiges, hellfarbiges Tuch um den Kopf gebunden, das jedoch nicht bis zu den großen Ohrenringen niederreichte. Ihr Strickzeug lag müßig vor ihr, da sie eben mit dem Ausstochern ihrer Zähne beschäftigt war, und in dieser Arbeit mußte ihre linke Hand den rechten Ellenbogen unterstützen. Als ihr Eheherr eintrat, sagte sie nichts, sondern hustete nur ganz leichthin. Dies mit dem Erheben ihrer dunkel gezeichneten Augenbrauen um die Breite einer Linie über ihren Zahnstocher deutete dem Gatten an, daß er gut tun werde, sich im Zimmer nach den Gästen umzusehen, da während seiner kurzen Abwesenheit neue Kundschaft eingetreten sei.

      Der Weinwirt ließ seine Augen umherschweifen, bis sie auf einem ältlichen Herrn und einem jungen Frauenzimmer, die in einer Ecke saßen, haften blieben. Es war auch andere Gesellschaft da; ein Paar spielte Karten, ein anderes machte eine Dominopartie, und drei standen neben dem Schenktisch und schlürften sparsam den kleinen Rest ihres Weines. Als der Wirt hinter den Tisch trat, fiel ihm auf, daß der ältliche Herr mit einem Blick auf die junge Dame die Worte fallen ließ:

      »Dies ist unser Mann.«

      »Was Teufels wollt ihr in dieser Galeere da?« sagte Monsieur Defarge zu sich selbst; »ich kenne euch nicht.«

      Er stellte sich an, als nehme er keine Notiz von den beiden Fremden, sondern ließ sich mit dem Kundentriumvirat, das neben dem Schenktisch trank, in ein Gespräch ein.

      »Wie geht es, Jacques?« sagte einer von den dreien zu Monsieur Defarge. »Ist aller ausgeflossener Wein schon versorgt?«

      »Bis auf den letzten Tropfen, Jacques«, antwortete Monsieur Defarge.

      Nach diesem Austausch von Taufnamen hustete Madame Defarge, die noch immer ihre Zähne mit dem Stocher bearbeitete, wieder ein klein wenig und zog die Brauen um eine Linie höher.

      »Es kommt nicht oft vor«, bemerkte der zweite von den dreien gegen Monsieur Defarge, »daß dieser Haufe unglücklichen Viehs Wein oder überhaupt etwas anderes zu kosten kriegt als Schwarzbrot und Tod. Ist es nicht so, Jacques?«

      »Jawohl, Jacques«, entgegnete Monsieur Defarge.

      Nach diesem abermaligen Taufnamenaustausch hustete Madame Defarge, die in gründlicher Fassung noch immer ihren Zahnstocher handhabte, abermals ein wenig und erhob die Brauen um die Breite einer weitern Linie.

      Nun brachte der Letzte von den dreien sein Sprüchlein an, nachdem er zuvor sein leeres Trinkglas schmatzend auf den Tisch niedergesetzt hatte.

      »Ah, um so schlimmer. Dieses arme Gesindel hat immer einen bitteren Mund und ein saures Leben, Jacques. Hab' ich nicht recht, Jacques?«

      »Sicherlich, Jacques«, lautete Monsieur Defarges Erwiderung. Dieser dritte Taufnamenaustausch war kaum beendigt, als Madame Defarge ihren Zahnstocher beiseite steckte, die Augenbrauen scharf in die Höhe zog und leicht in ihrem Sitze raschelte.

      »Halt, da; richtig«, murmelte der Ehemann. »Messieurs, meine Frau.«

      Die drei Gäste nahmen vor Madame Defarge die Hüte ab und schwenkten sie achtungsvoll. Sie dankte für diese Huldigung durch eine Verbeugung des Kopfes und durch einen raschen Blick, den sie über das Kleeblatt hingleiten ließ. Dann schaute sie sich rasch, als geschehe es nur zufällig, in der Zechstube um und nahm endlich mit dem Anschein großer Ruhe und geistiger Fassung ihr Strickzeug auf, in das sie sich alsbald völlig vertieft hatte.

      »Meine Herren«, sagte ihr Gatte, der sein helles Auge nicht von ihr verwandte, »guten Tag. Das Zimmer für einen ledigen Herrn, das ihr zu sehen wünschtet und nach dem ihr mich fragtet, eh' ich hinausging, ist im fünften Stock. Die Treppe dazu findet ihr dort links in dem kleinen Hof (er deutete die Richtung mit der Hand an) neben dem Fenster meiner Wirtschaft. Doch ich erinnere mich – einer von euch ist ja schon dagewesen und kann den Weg zeigen. Adieu, meine Herren.«

      Sie zahlten ihren Wein und entfernten sich. Monsieur Defarges Augen hafteten noch immer auf der strickenden Frau, als der ältliche Herr aus seiner Ecke hervortrat und um geneigtes Gehör bat.

      »Recht gern, Herr«, versetzte Monsieur Defarge und trat ruhig mit ihm unter die Tür.

      Ihr Gespräch war sehr kurz, aber auch sehr entschieden. Schon bei den ersten Worten fuhr Monsieur Defarge zusammen und wurde sehr aufmerksam. Er hatte keine Minute zugehört, als er nickte und hinausging. Der Herr winkte dann dem jungen Frauenzimmer und verließ mit ihr gleichfalls das Zimmer. Madame Defarge strickte mit hurtigen Fingern und ruhigen Augenbrauen und sah nichts.

      Mr. Jarvis Lorry und Miß Manette trafen, sobald sie die Tür der Weinstube hinter sich geschlossen, in der Flur, nach der eben zuvor das Kleeblatt gewiesen worden war, wieder mit Monsieur Defarge zusammen. Die Flur führte zu einem stinkenden, kleinen Hinterhof und war der allgemeine Zugang zu einer ansehnlichen Häusergruppe, die von einer großen Menschenmenge bewohnt wurde. In dem dunkeln, mit Backsteinen gepflasterten Vorplatz zu der finsteren Backsteintreppe ließ sich Monsieur Defarge vor dem Kind seines alten Herrn auf ein Knie nieder und führte ihre Hand an seine Lippen. Die Handlung war zart, wurde aber nichts weniger als zart ausgeführt, und unmittelbar darauf kam eine merkwürdige Veränderung über den Mann. Sein Gesicht zeigte keinen Frohsinn, keine Offenheit mehr und verriet jetzt einen heimlichen, finsteren, gefährlichen Mann.

      »Es ist sehr hoch und der Zugang etwas beschwerlich. Besser, wir fangen langsam an.« So sprach Monsieur Defarge mit rauher Stimme zu Mr. Lorry, als sie die Treppe hinanzusteigen begannen.

      »Ist er allein?« flüsterte dieser.

      »Allein! Gott behüte, wer sollte bei ihm sein?« antwortete der andere ebenso leise.

      »Er ist also immer einsam?«

      »Ja.«

      »Auf sein Verlangen?«

      »Aus Notwendigkeit. Wie er war, als ich ihn sah, nachdem man mich aufgefunden und befragt hatte, ob ich ihn aufnehmen und auf meine Gefahr hin verschwiegen sein wolle, – wie er damals war, so ist er auch jetzt.«

      »Wohl sehr verändert?«

      »Verändert!«

      Der Wirt hielt an, um mit seiner Hand gegen die Mauer zu schlagen und einen schweren Fluch vor sich hinzumurmeln. Keine unmittelbare Antwort hätte nur halb so nachdrücklich sein können. Mr. Lorry fühlte sich bedrückter und bedrückter, je höher er mit seinen beiden Begleitern hinaufkam.

      Eine solche Treppe mit ihren Zugaben in den älteren, übervölkerten Stadtteilen von Paris würde schon heutzutage schlimm genug sein, war aber damals für nicht daran gewöhnte und nicht abgehärtete Sinne etwas Abscheuliches. Jede kleine Wohnung innerhalb der großen Kloake eines einzigen hohen Hauses, das heißt jede Stube, jede Räumlichkeit hinter der nach der gemeinsamen Treppe hinausführenden Tür setzte ihren Haufen Unrat, den Rest von dem, was nicht zu den Fenstern hinausgeworfen wurde, auf ihrem Vorplatz ab. Die nicht zu bewältigende, hoffnungslose Masse von Fäulnis, zu der in solcher