Название | Joseph Conrad: Das Ende vom Lied – Weihe – Hart of Darkness: |
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Автор произведения | Joseph Conrad |
Жанр | Документальная литература |
Серия | maritime gelbe Buchreihe |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783754176207 |
In jenen verklungenen Tagen hatte er viele tausend Pfund von seiner Reeder und seinem eigenen Geld in Händen gehabt. Er hatte getreulich, wie es das Gesetz von einem Kapitän erwartet, die einander widerstreitenden Interessen der Reeder, Befrachter und Versicherung vertreten. Er hatte nie ein Schiff verloren oder sich zu einer zweideutigen Handlung hergegeben; und er hatte gut ausgehalten und schließlich sogar die Vorbedingungen überdauert, die die Entstehung seines guten Namens ermöglicht hatten. Er hatte sein Weib begraben (im Golf von Petschili), hatte seine Tochter an den Mann ihrer unglücklichen Wahl verheiratet und ein sehr stattliches Vermögen beim Bankrott des bekannten Travancore-Dekhan-Bankvereins verloren, dessen Sturz den Osten wie ein Erdbeben erschüttert hatte. Und er war fünfundsechzig Jahre alt.
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II
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Sein Alter drückte ihn nicht schwer; und seines Ruins schämte er sich nicht. Er war nicht der einzige gewesen, der an die unbedingte Sicherheit des Bankvereins geglaubt hatte. Leute, deren Urteil in Geldangelegenheiten so zuverlässig schien, wie das seine in allem, was die See betraf, hatten gemeint, er habe sein Geld gut angelegt, und hatten selbst bei dem großen Zusammenbruch viel Geld verloren. Der einzige Unterschied zwischen ihm und ihnen war, dass er alles verloren hatte. Und doch nicht alles. Von seinem verlorenen Vermögen war ihm eine sehr hübsche kleine Bark „FAIR MAID“ übriggeblieben, die er gekauft hatte zum Zeitvertreib für die Jahre, in denen er sich vom Dienst zurückgezogen haben würde – als Spielzeug, wie er es selbst nannte.
Dass er der See müde sei, hatte er ausdrücklich in dem Jahre vor der Verheiratung seiner Tochter erklärt. Als aber das junge Paar weggezogen war, um sich in Melbourne niederzulassen, hatte er entdeckt, dass er an Land doch nicht glücklich werden könne. Er war zu sehr Kapitän der Handelsmarine, als dass ihn bloßer Jachtsport hätte befriedigen können. Er wünschte wenigstens den Anschein von Geschäften beizubehalten; und die Erwerbung der „FAIR MAID“ gewährleistete ihm die Möglichkeit, sein Leben fortführen zu können. Seinen Bekannten in verschiedenen Häfen stellte er sie als ‚mein letztes Kommando’ vor. Wenn er einmal zu alt geworden war, dass man ihm weiterhin hätte ein Schiff anvertrauen dürfen, dann wollte er sie abtakeln und an Land gehen, um sich begraben zu lassen, in seinem Testament aber die unbedingte Verfügung hinterlassen, dass am Begräbnistage die Bark hinausgeschleppt und in tiefem Wasser sauber versenkt werden sollte. Seine Tochter würde ihm sicher nicht die Erfüllung seines Wunsches verwehren, dass kein Fremder nach ihm sein letztes Kommando in die Hände bekommen würde. Bei dem Vermögen, das er ihr hinterlassen konnte, spielte der Wert einer Fünfhundert-Tonnen-Bark keine Rolle. All dies pflegte er mit einem lustigen Augenzwinkern zu erzählen; der rüstige alte Mann hatte zu viel Lebenskraft, um ein schmerzliches Bedauern aufbringen zu können; ein wenig Wehmut klang vielleicht doch mit, denn er fühlte sich im Leben zu Hause und fand ehrliche Freude an seinen Gefühlen und Genüssen; an seinem eigenen ehrenwerten Ruf und seinem Reichtum, an der Liebe für seine Tochter und der Zufriedenheit mit dem Schiff – dem Spielzeug seiner einsamen Mußezeit.
Die Kajüte hatte er sich mit all der Bequemlichkeit einrichten lassen, die sein eigener einfacher Geschmack, ihm zur See zu erlauben schien. Ein großer Bücherkasten (er war leidenschaftlicher Leser) nahm eine Seite der Staatskabine ein. Das stark nachgedunkelte Ölbildnis seiner verstorbenen Frau, auf dem das Profil und eine lange Ringellocke eines jungen Weibes zu erkennen waren, hing seiner Bettstelle gegenüber. Drei Chronometer tickten ihn in den Schlaf und begrüßten ihn beim Erwachen mit dem dünnen Stimmendurcheinander ihrer Gangwerke. Er stand jeden Tag um fünf Uhr auf.
Der Offizier von der Morgenwache, der achtern beim Rad seinen Frühkaffee trank, konnte durch die weite Mündung der Kupferventilatoren all das Plätschern, Schnauben und Sprudeln von seines Kapitäns Morgentoilette hören. Diese Geräusche waren unweigerlich von einem gleichtönigen, tiefen Murmeln gefolgt: der Kapitän sprach mit ernster Stimme das Vaterunser. Fünf Minuten später tauchten sein Kopf und seine Schultern aus der Kajütenluke auf. Unbeweglich hielt er eine Zeitlang auf der Treppe an und sah ringsum nach dem Horizont, nach oben, nach der Segelstellung, und zog dabei in tiefen Zügen die frische Luft ein. Dann erst pflegte er auf die Hütte hinaufzugehen und, während der Offizier grüßend die Hand an den Mützenrand legte, mit einem majestätischen und wohlwollenden „Guten Morgen“ zu antworten. Bis acht Uhr schritt er gewissenhaft das Deck ab. Manchmal, doch nicht öfter als zweimal im Jahre, musste er dabei einen starken, keulenartigen Stock gebrauchen, wegen einer kleinen Steifheit in der Hüfte, eines Anflugs von Rheumatismus, wie er annahm. Im Übrigen wusste er nichts von den Übeln des Fleisches. Beim Klang der Frühstücksglocke ging er hinunter, um seine Kanarienvögel zu füttern, die Chronometer aufzuziehen und den Platz am Kopfende des Tisches einzunehmen. Von dort aus hatte er die großen Lichtbilder seiner Tochter, ihres Gatten und zweier dickbeiniger Babys – seiner Enkelkinder – vor Augen, die in schwarzen Rahmen in das Ahornholz der Wandverkleidung eingelassen waren. Nach dem Frühstück pflegte er das Glas über diesen Bildern selbst mit einem Tuch abzuwischen und das Ölbild seiner Frau mit einem Federwisch abzustauben, der an einem kleinen Messinghaken neben dem schweren Goldrahmen hing. Dann schloss er die Tür seiner Staatskabine hinter sich und setzte sich auf das Ruhelager unter dem Bild, um ein Kapitel aus einer dicken Taschenbibel, ihrer Bibel, zu lesen. An manchen Tagen aber saß er nur eine halbe Stunde da und hielt die Finger zwischen den Blättern und das geschlossene Buch auf dem Knie. Vielleicht hatte er sich plötzlich daran erinnert, wie sehr sie das Segeln geliebt hatte.
Sie war ein guter Schiffskamerad und eine echte Frau gewesen. Für ihn war es ein Glaubenssatz, dass es niemals ein helleres, traulicheres Heim zur See oder zu Lande gegeben hatte oder geben konnte, als sein Heim unter dem Hüttendeck des „KONDOR“, mit der großen Hauptkajüte, die ganz in Weiß und Gold gehalten und wie für ein immerwährendes Fest von einer unverwelklichen Blumenkette umzogen war. Sie selbst hatte die Mitte jedes Feldes in der Vertäfelung mit einem Strauß heimatlicher Blumen geschmückt. Es hatte sie zwölf Monate gekostet, um mit dieser liebevollen Arbeit um die ganze Kajüte herumzukommen. Ihm war es als ein Wunderwerk der Malerei erschienen, unübertrefflich vollendet in der geschmackvollen Ausführung; und der alte Swimburne gar, sein Erster Offizier, blieb, sooft er zu den Mahlzeiten herunter kam, wie angenagelt stehen und bewunderte das Fortschreiten des Werkes. „Man könnte diese Rosen beinahe riechen“, erklärte er und schnüffelte den leisen Terpentingeruch ein, der damals den Salon durchzog und (wie der Alte nachher gestand) ihm mitunter ein wenig die Freude am Essen genommen hatte. Nichts Derartiges aber stand dem Genuss im Wege, den er an ihrem Singen fand. „Frau Whalley ist eine wirklich vollkommene Nachtigall, Herr“, pflegte er sachverständig zu bemerken, nachdem er über das Oberlicht gebeugt ein Stück bis zu Ende angehört hatte. Bei gutem Wetter konnten die beiden Männer während der zweiten Wache ihre Triller und Läufe hören, die mit Klavierbegleitung aus der Kajüte drangen. Am Tage ihrer Verlobung hatte er nach London um das Instrument geschrieben; sie waren aber mehr als ein Jahr verheiratet, als es sie endlich erreichte. Die große Kiste bildete einen Teil der ersten Ladung, die ohne Umladen um das Kap herumgekommen war und im Hafen von Hongkong gelöscht wurde – ein Ereignis, das den Männern, die jetzt über die geschäftigen Quais schreiten, schattenfern schien wie vorgeschichtliche Zeitalter. Kapitän Whalley aber konnte während der Stunde der Einsamkeit sein ganzes Leben wieder durchleben, mit seiner Romantik, seinen stillen Freuden und seinen Schmerzen. Er selbst hatte seiner Frau die Augen schließen müssen. Sie ging unter der Flagge über Bord, wie eine rechte Seemannsfrau, sie selbst im Herzen ein Seemann. Er hatte über ihr das Totengebet gelesen, aus ihrem eigenen Gebetbuch, und die Stimme war ihm nicht gebrochen. Wenn er die Augen hob, hatte er den alten Swimburne sehen können, der ihn ansah und die Mütze an die Brust gedrückt hielt und dessen runzeliges, wetterverbranntes