Verirrungen. Yupag Chinasky

Читать онлайн.
Название Verirrungen
Автор произведения Yupag Chinasky
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783741846120



Скачать книгу

zu konzentrieren. Schon die ganze Zeit hatte er sein Gehirn zermartert, was für ein Typ das Wohnmobil gewesen sein könnte, noch nicht einmal die Automarke hatte er erkannt. Er suchte wieder im Internet und blätterte seitenweise Kataloge durch. Die Kastenform und der Elch waren in seinem Gedächtnis hängen geblieben und die seitliche Schiebetür und das Heckfenster und dass der Wagen voller Schlamm und Dreck gewesen war und dass er deswegen nicht einmal die Farbe richtig zuordnen konnte, nur dass sie hell war, vermutlich weiß oder beige. Jedenfalls war es kein Modell, das er kannte, kein VW-Bus, kein üblicher Campingbus. Wieder und wieder versetzte er sich in die Situation, als er hinter der Schwarzen auf dem Parkplatz angekommen war, wie erstaunt er war, dass sie ihn in ein Wohnmobil mitschleppen wollte, ihn, den eleganten Geschäftsmann, der trotz der Hitze das Jackett und sogar den Schlips anbehalten hatte, ihn wollte diese Nutte in ein altmodisches, völlig verdrecktes Fahrzeug locken. Wenn diese verdammte Gier nicht gewesen wäre, dachte er nun, hätte er sich auf so etwas doch nie eingelassen. Jetzt ärgerte er sich auch, dass er genau deswegen, wegen dieser blinden Gier, nur die Frau angestarrt und sich das Auto so gut wie gar nicht eingeprägt hatte, geschweige denn das Nummernschild, aber das war ja ohnehin unleserlich gewesen, voller Dreck und Staub. Nur in einem war er sich sicher, es war mit seiner Kombination aus Buchstaben und Zahlen, obwohl nicht erkennbar, ein deutsches, also war es ein in Deutschland zugelassenes Auto. Da war doch noch dieser Aufkleber gewesen, dieser Elch, den Skandinavienfahrer gerne verwendeten. Aber ein Auto an Hand eines Aufklebers zu ermitteln, war absurd. Dann fiel ihm der Begriff altmodisch wieder ein, genau das war der plumpe Kasten des Wohnteils, altmodisch. Ein altmodischer Campingbus, sinnierte er und plötzlich sah er etwas vor sich, etwas, das ihm aufgefallen war, das er aber sofort wieder vergessen hatte, weil ihn die Schwarze zum Einsteigen gedrängt hatte. Dieser altmodische Kasten bestand zum Teil aus Wellblech, jedenfalls so etwas Ähnliches wie Wellblech. Ein Material, das bei der Konstruktion von früher schon selten war und heute natürlich überhaupt keine Rolle mehr spielte. Wellblech und Auto? Ja richtig! Solche Autos hatte es tatsächlich gegeben und sie hatten in alten, französischen Krimi ein Rolle gespielt. Besonders ein Film mit Jean Gabin, ein film noir, dessen Titel er vergessen hatte, aber in dem ein Lieferwagen eine wichtige Rolle gespielt hatte, ein altmodischer, wenig eleganter Kastenwagen mit einer Wellblechkarosserie. Sofort begann er die Suche nach französischen Campingbussen im Internet. Manche dieser Wagen hatten tatsächlich solche Karosserien oder zumindest bestanden sie zum Teil aus Wellblech. Eine alte Version des berühmten Citroen Deux Cheveaux zum Beispiel, das war die reinste Wellblechschaukel gewesen, erinnerte er sich nun. Der Aufbau des Wagens auf dem Parkplatz war nicht völlig aus diesem Material gewesen, da war er sich sicher, aber zumindest ein Stück Wellblech war für die Karosserie verwendet worden. So langsam stellten sich die Erinnerung wieder ein und dann fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Ja doch, dieser Streifen an der Seite, eine Verzierung in etwa in einem Meter Höhe, der war ihm aufgefallen, als er einsteigen wollte. Nur weil ihn die Nutte genau in diesem Moment gedrängt, ja regelrecht hochgezogen hatte, war ihm dieses Detail nicht im Gedächtnis hängen geblieben. Wie blöd von ihm. Aber jetzt war er sich absolut sicher. Das war ein wichtiges Merkmal, mit dem er etwas anfangen konnte. Er fuhr fort, das Internet fieberhaft nach französischen Campingbussen abzugrasen. Er arbeitete sich durch lange Seiten mit allen möglichen, meist hässlichen Kastenwagen. Viele Typen konnte er aussortieren, sie sahen ganz anders aus, manche Marken, wie Simca, gab es gar nicht mehr. Da die französischen Autobauer überschaubar sind, konzentrierte er sich auf Renault, Citroen und Peugeot. Ein eckiges, wenig attraktives Wohnmobil mit Wellblechteilen. Am Ende war er sich sicher, es war ein Peugeot. Genau! Das musste der Wagen gewesen sein. Wieder und wieder schloss er die Augen und strengte sein Gehirn an. Ja, das war er. Er war sich sicher.

      Der Detektiv, dem er die neue Erkenntnis sofort mitteilte, kannte einen Polizisten, der Zugang zu der zentralen Zulassungskartei hatte, und fand so heraus, dass es von diesem Typ nur noch wenige zugelassene Wagen in Deutschland gab. Nach ein paar Tagen faxte er ihm eine Liste mit den Kennzeichen und den Adressen der Halter. Um die Recherchekosten in Grenzen zu halten, hatte ihm der Detektiv vorgeschlagen, dass er selbst die Orte aufsuchen und herausfinden solle, ob er den Wagen irgendwo auf der Straße entdeckte. Wegen der weiteren Ermittlungen könne er, der Detektiv, dann wieder in Aktion treten. Und so eröffnete er seiner Frau, dass er an den nächsten Wochenenden einige dringende, geschäftliche Termine wahrnehmen müsse. Sie wunderte sich über diesen ungewöhnlichen beruflichen Einsatz, er habe doch noch nie am Wochenende weg müssen und jetzt gleich so oft. Sie glaubte ihm wieder kein Wort, als er wortreich erklärte, er wolle sich erweitern, seinen Geschäftsbereich über die Stadtgrenzen, ja über die Landesgrenzen ausdehnen und dazu müsse er sich selbst ein Bild von den Regionen machen, die infrage kämen.

      „Du hast bestimmt eine andere in einer deiner Regionen, mit der du dich am Wochenende rumtreibst. Genauso wie du bei einer anderen warst, als du mich abholen solltest. Ihr habt Sexspielchen im Wald gemacht oder komische Wetten abgeschlossen oder euch in einem Sado-Maso-Club vergnügt und dann ist ihr Freund oder Zuhälter unerwartet aufgetaucht und hat dir eine auf den Rüssel gegeben. Oder die Spielchen sind aus dem Ruder gelaufen, du hast verloren und musstest als Strafe nackt durch die Prärie tappen, sozusagen die schlimmste aller Strafen. So war es, lüg mich nicht an und jetzt willst du neue Abenteuer suche, du Giermorchel.“

      Er schwieg, sie bohrte nicht weiter nach, war sich aber ihrer Sache sicher.

      Vier Mal fuhr er vergebens zu einer der Adressen. Drei Mal Fehlalarm, obwohl er das Auto sah, aber entweder stimmte die Farbe nicht oder der kastenförmige Aufbau sah ganz anders aus. Einmal fand er das Auto nicht. Es war nach Aussage von Nachbarn, denen er Kaufinteresse vorgegaukelt hatte, vor Kurzem verschrottet oder verkauft worden, weil der Besitzer, ein alter Mann, ins Altersheim umgezogen sei. Dann endlich, am fünften Wochenende, wurde er fündig. Er war in ein kleines Dorf gekommen, ein typischer Schlafort in der Nähe einer Großstadt. Er sah den Peugeot bereits im Vorbeifahren vor einem Haus stehen und erkannte die typische Kastenform mit dem Wellblechstreifen am Rand, auf Anhieb wieder. Er war immer noch schmutzig, wenn auch nicht mehr gar so sehr wie auf dem Parkplatz damals. Das Nummernschild war jetzt deutlich zu erkennen und er notierte sich die Nummer. Als er zum zweiten Mal vorbei fuhr, sah er auch den Aufkleber mit dem Elch. Er atmete tief durch, das war es also. Warte nur Freundchen, bald habe ich dich. Dann suchte er sich einen Platz, von dem aus er das Auto und das Haus beobachten konnte, nicht zu nah, nicht zu weit weg, eine heikle Sache in einem kleinen Dorf. Aus seinem Auto heraus machte er mit seinem Handy ein paar Fotos von dem Objekt und von dem Haus, auf dessen Hof das Auto stand. Es sah ziemlich heruntergekommen aus, ein freistehendes Einfamilienhaus mit einem großem Hof und einem kleinen Vorgarten. Er konnte nicht erkennen, ob jemand zu Hause war und so beschloss er, in seinem Auto zu warten und das Haus zu beobachten. Die Zeit verging im Schneckentempo. Nichts rührt sich. Niemand kam, keiner ging. Ab und zu kamen zwar Menschen vorbei, auch ein Nachbar tauchte wiederholt auf und äugte neugierig zu ihm hin, aber ansonsten gab es so gut wie keine Veränderungen, die ganze Gegend war wie ausgestorben. Er blieb die ganze Zeit im Auto sitzen, ziemlich abgetaucht, um möglichst wenig aufzufallen, um kein Aufsehen zu erregen. Er wollte nur beobachten, nur feststellen, wie der Besitzer aussahe und ob auch eine schwarze Frau auftauchen würde. Sie wäre sozusagen der letzte Beweis. „Euch Arschlöchern werde ich auf die Spur kommen“, dachte er und gähnte. Dieser Job war unsäglich langweilig und einschläfernd. Im Auto sitzen und warten und beobachten, nein, Detektiv wäre kein Beruf für ihn. Das Autoradio ging schon längst nicht mehr, die Energiesicherung hatte es abgeschaltet. Den Motor anlassen wollte er natürlich nicht. Er hatte Hunger und Durst und gähnte wieder, kniff die Augen zusammen und blinzelte. Die Augenlider wurden immer schwer. Es wurde dunkel. Die Fahrt war lang und anstrengend gewesen. Viel Verkehr, ständig hatte er sich konzentrieren müssen und auch jetzt war nicht die Zeit zum Ausspannen und Erholen. Erst duselte er vor sich hin, dann nickte er ein, schrak noch ein paarmal hoch, doch schließlich schlief er, obwohl er sich vorgenommen hatte, genau das zu vermeiden und obwohl es unbequem ist, auf dem Vordersitz eines Autos zu schlafen, mit dem Steuer vor der Brust und den Pedalen vor den Füßen. Als er aufwachte, begann es gerade wieder hell zu werden. Er blinzelte erneut und riss dann die Augen auf. Das Wohnmobil war weg. Er fluchte, was für eine Kacke.

      Zumindest wusste er jetzt, dass jemand da war, dass jemand die ganze Zeit dagewesen oder in der Nacht gekommen war und dann weggefahren ist. Obwohl immer noch kein Mensch