Gar greuliche Thaten. Erik Schreiber

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Название Gar greuliche Thaten
Автор произведения Erik Schreiber
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783753196879



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      „Meine Herren“, sagte er, nachdem er sich gesetzt hatte, „Sie haben mich gebeten, die Wahrheit über dieses Rätsel herauszubekommen. Ich habe die Wahrheit gefunden und muß sie sagen, ohne dass ich zum Schein den Versuch mache, den Schlag zu mildern. Wenn jemand erst einmal seine Nase in solche Dinge hineinsteckt, kann er es sich leider nicht leisten, irgendwelche Rücksichten zu nehmen.“

      „Ich vermute“, brach Crake das Schweigen, „das soll heißen, dass wir alle angeklagt oder verdächtig sind.“

      „Wir sind alle verdächtig“, erwiderte Pater Brown. „Auch ich, denn ich habe die Leiche gefunden. Aber davon spreche ich jetzt nicht. Passen Sie auf: eben habe ich mit Wilton telephoniert. Er hat mich ermächtigt, Ihnen eine ernste Nachricht mitzuteilen. Ich glaube, Sie wissen jetzt schon alle, wer Wilton war und was er wollte.“

      „Ich weiß es: er war auf der Fährte Daniel Boons und konnte nicht ruhig schlafen, bevor er ihn hatte“, antwortete Peter Wain. „Ich habe auch gehört, dass er der Sohn des alten Horder sein soll und deshalb die Blutrache auf sich genommen hat. Jedenfalls ist er auf der Fährte dieses Daniel.“

      „Nun“, sagte Pater Brown, „er hat ihn gefunden.“

      Peter Wain sprang aufgeregt vom Sessel auf.

      „Den Mörder?“ rief er; „ist der Mörder in Arrest?“

      „Nein“, sagte Pater Brown ernst. „Ich habe Ihnen gesagt, dass die Nachricht ernst ist. Sie ist ernster als Sie meinen. Ich fürchte, der arme Wilton hat eine schwere Verantwortung auf sich geladen. Auch uns wird sie, fürchte ich, treffen. Er brachte den Verbrecher zur Strecke, und als er ihn gestellt hatte – ja, da hat er eben die Strafe selbst vollzogen.“

      „Meinen Sie, dass Daniel –“

      „Ich meine, dass Daniel tot ist“, sagte der Priester. „Es gab einen Kampf, und Wilton tötete ihn.“

      „Geschieht ihm recht“, brummte Herr Crake.

      „Man kann ihm nicht übelnehmen, dass er einen solchen Spitzbuben um die Ecke gebracht hat“, stimmte ihm Wain bei, „besonders wenn man an die Vendetta denkt.“

      „Da bin ich anderer Meinung“, sagte Pater Brown. „Wir reden wohl alle manchmal Unsinn zusammen, wenn wir das Lynchen und die gesetzlose Willkür verteidigen. Aber ich glaube fast, dass wir es sehr bedauern würden, unserer Gesetze verlustig zu gehen. Außerdem scheint es mir unlogisch, Wiltons Mord an dem Verbrecher zu verteidigen, ohne auch nur danach zu fragen, warum der Verbrecher seinerseits mordete. Ich weiß nicht, ob Daniel ein gewöhnlicher Verbrecher war – vielleicht war er ein Ausgestoßener und hatte eine fixe Idee, dass er den Pokal besitzen müsse. Vielleicht hat er ihn zuerst im guten verlangt, dann gedroht und erst nach einem Kampf getötet – beide Opfer fanden nahe bei ihrem Hause den Tod. Was gegen Wiltons Vorgehen spricht, ist die Gewißheit, dass wir jetzt nie mehr etwas Näheres über Daniels Standpunkt erfahren werden.“

      „Ach, für diese ganze sentimentale Verteidigung von schurkischen, schuftigen Mordgesellen habe ich nichts übrig“, rief Wain in Hitze. „Wenn Wilton den Verbrecher kaltgemacht hat, so war das ein ordentliches Stück Arbeit, und damit basta.“

      „Sehr richtig, sehr richtig.“ Sein Onkel nickte lebhaft.

      Pater Browns Miene wurde noch ernster, als er einen Blick über das Halbrund von Gesichtern schweifen ließ.

      „Ist das wirklich Ihrer aller Meinung?“ fragte er. Und schon während dieser Frage verstand er, dass er ein Engländer, ein Verbannter war. Er begriff, dass er sich unter Ausländern befand, auch wenn sie Freunde waren. Um diesen Ring von Ausländern kreiste ein ruheloses Feuer, das seinem Blute fremd war. Der wildere Geist der westlichen Nation, die es fertigbringt, sich zu empören, zu steinigen und – vor allem – sich zu verbünden. Er wußte, dass sie sich bereits verbündet hatten.

      „Ja“, sagte Pater Brown mit einem Seufzer, „ich soll das also so verstehen, dass sie endgültig das Verbrechen dieses Unglücklichen oder seine Privatrache – wie immer Sie es nennen wollen – gutheißen? Dann wird es ihm ja nichts schaden, wenn ich Ihnen mehr darüber mitteile.“

      Er stand plötzlich auf. Sie verstanden die Bewegung nicht, aber auf sonderbare Weise schien sie die Luft des Zimmers zu verändern, ja abzukühlen.

      „Wilton hat Daniel auf recht merkwürdige Art getötet“, fing er an.

      „Wie?“ fragte Crake plötzlich.

      „Mit einem Pfeil“, erwiderte Pater Brown.

      Dämmerung zog sich in dem langgestreckten Zimmer zusammen, das Tageslicht war nur noch ein schwaches Leuchten von dem großen Fenster im inneren Zimmer her, wo der Millionär gestorben war. Fast automatisch wanderten die Augen der Gruppe langsam dorthin, aber noch hörte man keinen Laut. Dann endlich ertönte die Stimme des alten Crake, heiser, kreischend und senil, ein krähendes Geschwätz.

      „Was soll das – was soll – Brander Merten durch 'nen Pfeil getötet – dieser Verbrecher durch 'nen Pfeil –“

      „Durch denselben Pfeil,“ sagte der Priester, „und im gleichen Augenblick.“

      Wieder herrschte ein ersticktes, aber doch geschwollenes und zum Bersten gespanntes Schweigen. Dann begann der junge Wain: „Meinen Sie –“

      „Ich meine, dass Ihr Freund Merton Daniel Boon war“, sagte Pater Brown fest. „Einen anderen Daniel werden Sie nicht finden. Ihr Freund Merton war in den Pokal verliebt – er betete ihn jeden Tag an wie einen Götzen; als wilder Bursch hat er einmal zwei Menschen getötet, um in den Besitz des Kleinods zu gelangen. Freilich glaube ich auch jetzt noch, dass die beiden nur im Verlauf des Einbruchs getötet wurden. Jedenfalls hatte er jetzt den Pokal. Drage kannte die Geschichte und erpreßte Geld von ihm. Aber Wilton war aus einem ganz anderen Grunde hinter ihm her. Vermutlich hat er die Wahrheit erst erfahren, als er schon hier im Hause war. Jedenfalls aber hat seine Jagd in diesem Hause und in dem Zimmer dort geendet, denn dort hat er den Mörder seines Vaters umgebracht.“

      Lange Zeit antwortete niemand. Dann hörte man, wie der alte Crake mit den Fingern auf dem Tisch trommelte und brummte: „Brander war gewiß wahnsinnig. Ja, er muß wahnsinnig gewesen sein.“

      „Aber um Himmelswillen!“ platzte Peter Wain los, „was sollen wir tun? Was sollen wir sagen? Das ändert ja alles! Was sollen wir mit den Zeitungen und den Geschäftsleuten anfangen? Brander Merton ist ungefähr dasselbe wie der Papst oder der Präsident.“

      „Ja gewiß, das ändert natürlich alles“, begann der Anwalt Barnard Blake leise. „Der Unterschied bringt mit sich –“

      Pater Brown schlug mit der Hand auf den Tisch, dass die Gläser klirrten. Man konnte sich fast einbilden, dass ein gespenstisches Echo von dem geheimnisvollen Kelch erklang, der noch immer im Nebenzimmer stand.

      „Nein!“ rief er mit einer Stimme wie ein Pistolenschuß. „Es gibt keinen Unterschied. Ich habe Ihnen die Möglichkeit gelassen, den armen Teufel zu bedauern, solange Sie ihn noch für einen gewöhnlichen Verbrecher hielten. Damals wollten Sie nicht auf mich hören – damals waren Sie nur für persönliche Rache. Sie waren dafür, ihn ohne Gehör und ohne öffentlichen Prozeß hinschlachten zu lassen wie ein wildes Tier. Sie sagten, es sei ihm recht geschehen. Gut. Wenn Daniel Boon recht geschah, dann ist auch Brander Merton recht geschehen. Entscheiden Sie sich – für Volksjustiz oder unsern langweiligen Rechtsweg – aber im Namen des Allmächtigen, lassen Sie gleiche Willkür herrschen oder gleiches Gesetz.“

      Niemand antwortete außer dem Anwalt, und er antwortete mit einem Knurren.

      „Was wird die Polizei sagen, wenn wir ihr mitteilen, dass wir das Verbrechen gutheißen wollen?“

      „Was wird sie sagen, wenn ich ihr mitteile, dass Sie es schon gutgeheißen haben?“ antwortete Pater Brown. „Ihre Ehrfurcht vor dem Gesetz kommt etwas spät, Herr Justizrat.“

      Nach einer Pause fuhr er mit milderer Stimme fort: „Ich persönlich bin bereit, die Wahrheit zu sagen, wenn die zuständige