Название | Geschichten des Windes |
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Автор произведения | Claudia Mathis |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783753197715 |
„Du kannst froh sein, dass du ihn nicht weggeworfen hast. Der Stein ist bestimmt sehr wertvoll.“
Arthurs Blick erhellte sich. „Denkst du wirklich?“
Sean nickte.
„Aber was hat das zu bedeuten? Denkst du, dass ich jemals hinter sein Geheimnis komme?“
Sean seufzte. „Das kann ich dir wirklich nicht sagen, tut mir leid. Aber jetzt ist es nicht mehr nur dein Geheimnis. Ich werde meine Augen offenhalten, versprochen.“
Er blickte aufmunternd zu Arthur und dieser lächelte dankbar.
Zwölf
- 1697 -
Die Zeeland glitt geschmeidig mit geblähten Segeln durch das graublaue Meer. Angenehmer herbstlicher Wind spielte mit dem braunen, halb langen Haar des schlanken Seemanns. Seine verdiente Pause nach der letzten Wache genoss er am liebsten an der Reling. Sean, nun achtzehn Jahre alt, war ein Mann geworden. Und er hatte die letzten fünf Jahre fast ausschließlich auf dem Meer verbracht.
Mit Arthur in Amsterdam angekommen, heuerten sie auf einem Schiff Richtung Mittelmeer als Schiffsjungen an. Die erste Zeit war aufregend, aber auch sehr anstrengend gewesen. Sie mussten fast die ganze Zeit das Deck schrubben, in der Kombüse Zwiebeln und Ähnliches schneiden, Wasser abpumpen und andere anstrengende Arbeiten verrichten. Doch wenigstens hatten sie diesmal eine Hängematte zum Schlafen.
Es war eine weite Fahrt gewesen bis zum Mittelmeer und Sean und Arthur mussten viele Häfen anfahren. Die Venedigs Glanz, eine Italienische Cocca, tat dabei einen hervorragenden Dienst. Sie war der klassische, mediterrane, bauchige Schiffstyp mit drei Masten. Mit diesen drei Masten wurde die Last besser verteilt und die kleineren Segel ließen sich besser kontrollieren als die großen bei den Zweimastern.
Das Leben an Bord war hart. Durch das karge Essen und das ständige Klettern in den Wanten hatte Sean seine schlanke Figur behalten, aber harte Muskeln schmückten nun seine Arme, den Oberkörper und seine Oberschenkel. Die größte Herausforderung für ihn war jedoch der Drill gewesen, der an Bord herrschte. Die kleinste Befehlsverweigerung wurde mit harten Strafen geahndet. Trotzdem gefiel Sean das Leben auf dem Schiff, das Vorwärtskommen, das fortwährende Abenteuer.
Nach der Reise ins Mittelmeer waren Sean und Arthur weiter auf diversen Schiffen innerhalb Europas unterwegs gewesen und vertieften ihre nautischen Fertigkeiten. Sie hatten viel erlebt und wussten für ihre jungen Jahre bereits eine Menge über die Seefahrt. Sean war nicht nur geschickt im Segelhissen und -einholen, er entwickelte sich auch zum Meister der verschiedensten nautischen Knoten und konnte die meisten davon blind und in hoher Geschwindigkeit schlagen. Auch für Navigation interessierte sich Sean sehr und er durfte manchmal dem Kapitän über die Schulter schauen, wenn er über den Seekarten brütete und mit Kompass und Jakobsstab die Routen berechnete.
Amsterdam war inzwischen so etwas wie ihr Heimathafen geworden und Sean hatte sich in diese Stadt verliebt. Ihre Lage und Architektur beeindruckten ihn. Am meisten faszinierte ihn der Ring von künstlichen Kanälen durch die Stadt, der sogenannte Grachtengürtel. Er diente zur Entwässerung des feuchten Bodens und zur Reinigung der Stadt. Dazu wurden täglich die Schleusen geöffnet und das alte Wasser ins Ijsselmeer gespült. Die meisten Häuser waren aus Backstein gebaut und auch viele der unzähligen Brücken. Ein Einwohner erzählte Sean, dass die Häuser Amsterdams auf Millionen Holzpfählen standen, die zur Stabilität in den festen Sandboden unter dem Morast getrieben waren. Amsterdam war lange eine wichtige und reiche Handelsstadt gewesen und vertrieb vor allem Nelken, Zimt, Seide, Kaffee und Porzellan in viele Länder. Doch England, Frankreich und andere Seemächte drängten sich im Welthandel immer mehr in den Vordergrund. Somit spezialisierten sich die Niederländer auf den Geldmarkt und Amsterdam war nun das finanzielle Zentrum der Welt und der Gulden fast überall anerkannt. Es hatten sich viele Juden mit guten Fähigkeiten auf diesem Gebiet angesiedelt, was die Existenz des Judenviertels mit Synagoge erklärte.
Amsterdam war für Sean und Arthur der Ausgangspunkt für viele Reisen gewesen. Sie fuhren auf Handelsschiffen zu den großen Häfen Europas. Die Schiffe aus den verschiedensten Ländern waren so unterschiedlich wie die Waren, welche sie beförderten. Das Be- und Entladen der Schiffe stellte immer eine enorme Anstrengung dar und kostete viel Zeit und Kraft.
Auf ihren Reisen konnten Sean und Arthur abwechslungsreiche und faszinierende Landschaften bewundern. Die kalte und feuchte Fjordküste Norwegens bot dabei einen beeindruckenden Kontrast zu den kargen und trockenen Gebieten Südspaniens.
Doch auch einige Städte verdienten sich Seans Bewunderung. So hatte es ihm im Mittelmeer neben Marseille und Genua besonders Venedig angetan. Es erinnerte ihn sehr an Amsterdam. Die Stadt auf den vielen Inseln im Golf von Venedig20 war im 14. Jahrhundert eine große Seemacht gewesen. Sean spürte ein berauschendes Gefühl, als sie mit dem Schiff in die Lagune einfuhren. Von Weitem sah er den Markusdom mit seinem hohen Turm, den Dogenpalast und andere bemerkenswerte Bauwerke.
Als Sean dann etwas Zeit hatte und mit Arthur durch die Stadt schlenderte, bemerkte er, dass die einzelnen Inseln ihre eigenen Funktionen ausübten.
Er erinnerte sich an die etwas furchteinflößende Friedhofsinsel und an die interessante Insel der Glasbläser, welche die für Venedig so typischen bunten Kunstwerke anfertigten. Er erlebte die vielen Tauben am Markusplatz und durchstreifte das beengte Judenviertel. Sean staunte über die Präsenz des Wassers, es war überall. Zusätzlich zu den natürlichen Wasserarmen zwischen den Inseln gab es auch ein ausgedehntes System von künstlichen Kanälen, die als Wasserstraßen vor allem für den Transport von Waren genutzt wurden. Das erinnerte Sean besonders an Amsterdam, auch die vielen Steinbrücken.
Viele interessante Menschen hatte Sean auf seinen bisherigen Reisen kennengelernt und er könnte von einigen aufregende Geschichten erzählen. Die verschiedenen Herkunftsländer und die damit verbundene kulturelle Vielfalt versetzten Sean immer wieder ins Staunen.
Einen Matrosen aus Hamburg nannte man zum Beispiel „Wiesel“, und das nicht etwa, weil er so schnell war. Nein. Der kräftig gebaute und eher schwerfällige Mann hatte stets ein Wiesel bei sich, das ihm nicht von der Seite wich. Dieses lang gestreckte braune Tier mit den kurzen Beinen und dem kurzen Schwanz saß entweder auf seiner Schulter oder rollte sich in seiner Kapuze zusammen. Zu seinem Herrn war es stets freundlich, aber kam dem Matrosen jemand zu nahe, dann biss es sofort schmerzhaft zu.
Ein anderer Seemann aus einem afrikanischen Land, dessen Name Sean jedoch vergessen hatte, behauptete felsenfest, dass er daheim vier Ehefrauen und 23 Kinder hätte. Er prahlte damit vor den anderen Matrosen und pries lauthals seine Männlichkeit. Sean war von ihm beeindruckt gewesen, aber er wusste nicht, ob er seine Geschichte glauben konnte. Schließlich hatte er selbst noch keinerlei Erfahrungen mit dem weiblichen Geschlecht gemacht.
Erst kürzlich sah Sean bei einem Besuch in einer Amsterdamer Werft einen riesengroßen Mann, der meinte, ein Gesandter aus dem weit entfernten Zarenreich zu sein. Seine Größe, sein russischer Akzent und sein erhabenes Verhalten beeindruckten Sean sehr. Was er nicht wusste, war, dass es sich bei diesem Mann um Peter den Großen persönlich handelte, der inkognito einige Länder in Europa bereiste, welche die neuesten Verfahren im Schiffbau beherrschten. Er wollte sich diese Erkenntnisse aneignen und machte sogar in einer niederländischen Werft eine Zimmermannslehre. Später hat er sein Wissen und Können dafür eingesetzt, sich eine moderne russische Flotte bauen zu lassen. Er soll ungefähr sieben Fuß21 groß gewesen sein.
An all das und noch viel mehr erinnerte sich Sean, wenn er seine Zeit an der Reling verbrachte und auf seinen zweitbesten Freund blickte: das Meer.
Das dünne Buch begleitete Sean überall hin. Es erinnerte ihn daran, dass die Sehnsucht nach Neuem und Unbekanntem sein Antrieb und eine Art Lebenssinn für ihn geworden war,