Shana. Micha Rau

Читать онлайн.
Название Shana
Автор произведения Micha Rau
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738078831



Скачать книгу

kann er ja wohl auch zum Haushalt beitragen.“

      Shana lächelte. Ihr Großvater hatte ihr erzählt, dass er als Kind noch beim Abtrocknen hatte helfen müssen. Das konnte sie sich gar nicht vorstellen. Aber dennoch fand Shana, dass ihr Vater noch fauler war als alle anderen Erwachsenen oder auch Kinder, die sie kannte. Er begründete das damit, dass er einen anstrengenden Job habe, der ihn voll und ganz beanspruchte. Shana wusste, dass er ein Regierungsbeamter war und sehr viele Berichte verfassen musste. Das war aber alles Kopfarbeit, und ihren Vater laufen zu sehen, grenzte schon an eine Sensation.

      „Kind, damit kannst du doch den Tag nicht überstehen“, sagte ihre Mutter besorgt. „Du musst mehr essen!“

      „Mama, ich habe gestern ein Maxi-Menü bei McBeam verdrückt!“, lachte Shana. „Das reicht bei mir für eine Woche. Und außerdem willst du doch immer, dass wir uns gesund ernähren, oder nicht? Du könntest übrigens auch mal wieder ein bisschen abnehmen.“

      „Ich esse doch gar nicht so viel“, verteidigte sich ihre Mutter.

      „Nein“, sagte Shana ungerührt. „Aber das falsche. Und du bewegst dich so gut wie gar nicht. Mach endlich das Sportprogramm der Multiwand mit.“

      „Dann fall ich tot um.“

      „Fang halt langsam an. Das Programm fragt dich ganz genau ab. Außerdem untersucht es dich, wie viel dein Körper aushält. Du kannst gar nicht tot umfallen.“

      „Dein Essen“, sagte ihre Mutter und versuchte, vom Thema abzulenken. Die Bestellung war im Ausgabebereich erschienen, und Shana zog das kleine Tablett vorsichtig heraus. Dann setzte sie sich damit an den funktionalen Esstisch und ließ es sich schmecken.

      „Wo bleibt eigentlich Vati?“

      In diesem Moment summte es, der Küchenbeamer aktivierte sich, und Shanas Vater trat durch den flimmernden Rahmen. Jedes Mal, wenn ihr Vater auf diese Weise erschien oder wieder verschwand, wollte Shana mit sich selbst wetten, ob der Beamer dieser Masse an Molekülen standhalten würde. Ihr Vater wog an die einhundertundfünfzig Kilo. Und er hatte nicht die geringste Absicht, daran etwas ändern zu wollen. Er fand das ganz in Ordnung so.

      „Papa!“ Shana verzog das Gesicht. „Musst du denn selbst zum Frühstück noch den Beamer benutzen? Das Badezimmer ist nur drei Meter entfernt!“

      Ihr Vater stampfte die zwei Schritte auf den Esstisch zu und ließ sich schwerfällig an ihm nieder.

      „Wozu haben wir denn das Ding“, fragte er grinsend. „Ich bezahle doch nicht für etwas, das ich nicht benutze. Hallo Automat! Frühstück für Vati! Sechs Spiegeleier, zehn Scheiben Speck, vier Scheiben gebutterten Toast, drei Pfannkuchen mit Sirup und fünf kleine Würstchen!“

      „Und einen Orangensaft!“, rief Shana.

      „Letzten Befehl streichen!“, befahl ihr Vater. „Ich hab schon meine Vitaminpillen genommen.“

      „Papa, das ist künstliches chemisches Zeugs! Das kann nie so gut sein wie echter Saft!“

      „Glaubst du wirklich, dass es noch echte Orangen gibt?“, fragte ihr Vater erstaunt. „Die werden genauso künstlich hergestellt wie die Pillen.“

      „Nein“, sagte Shana energisch und stampfte mit dem Fuß auf. „Das stimmt nicht!“

      „Woher willst du das denn wissen?“

      Shana wurde heiß. Beinahe hätte sie sich verraten. Klar, sie hatte noch keine echten Orangen gesehen, aber echte Äpfel schon. In der unerwünschten Zone … aber sie hielt gerade noch rechtzeitig den Mund. Wenn ihr Vater erfahren hätte, dass sie in dieser Zone herumstromerte, hätte er ganz bestimmt ihre Multiwand angewiesen, dieses Ziel für Shana zu sperren.

      Da Shana nicht antwortete, interpretierte ihr Vater das als Eingeständnis und nickte zufrieden.

      „Ich weiß, dass du es gut mit mir meinst, aber du sollst nicht schwindeln. Wenn du eine echte Orange findest, dann bring sie mir. Eher glaub ich dir nicht.“

      Marten hatte noch gar nichts gesagt. Jetzt stand er auf, ging zur Essensausgabe, holte die Speisen für seinen Vater hervor und stellte sie vor ihm ab.

      „Danke, mein Sohn.“ Er betrachtete Marten wohlwollend und begann, einen Toast in die Spiegeleier zu tunken und genüsslich in den Mund zu schieben.

      „Kann ich mit den Jungs zu McBeam, Vati?“

      „Er hat doch gerade erst gefrühstückt!“, entfuhr es Shana.

      „Lass den Jungen! Er kann es brauchen.“

      Kopfschüttelnd sah Shana zu, wie ihr beleibter Bruder der Multiwand das Ziel bekanntgab und gleich darauf vom wabernden Nebel des Rahmens verschluckt wurde.

      „Und was machst du heute?“, fragte ihre Mutter, die sich mittlerweile zu ihnen gesetzt hatte.

      „Ich … ich weiß noch nicht. Ich werde ein bisschen lernen und dann zu Krissa, Mädchenzeug quatschen, du weißt schon.“

      Ihre Mutter nickte. „Gut, mach das. Aber sei um sieben zurück. Du weißt, wir essen pünktlich.“

      Shana schluckte eine Bemerkung herunter. Wie konnten ihre Eltern immer nur ans Essen denken!

      „Ja, ja“, erwiderte sie widerwillig. Während sie ihren Orangensaft austrank, prüfte sie misstrauisch, ob er künstlich schmeckte. Sie fand, das tat er nicht, aber ihr Vater hatte ihr Misstrauen geweckt.

      „Um sieben bin ich wieder da, versprochen!“

      Fröhlich sprang sie auf und verschwand hopsend durch die offen stehende Tür durch den Flur in ihr Zimmer.

      Ihre Mutter blickte nachdenklich hinter ihr her. Dann schaute sie Shanas Vater an und berührte ihn am Arm.

      „Willst du nicht auch mal wieder so rumhopsen?“

      „Muss nicht sein“, erwiderte er ungerührt.

      *

      Shana schloss die Zimmertür leise hinter sich und presste für einige Sekunden ein Ohr dagegen. Sie glaubte zwar nicht, dass ihre Mutter unangemeldet hereinplatzen würde, aber man konnte ja nie wissen. Wie erwartet tat sich nichts. Es hatte auch Vorteile, wenn jemand keine sonderliche Lust hatte, sich zu bewegen.

      Shana atmete erleichtert aus. Für die nächsten paar Stunden konnte sie tun und lassen, was sie wollte. Mit zwei Hopsern war sie an der Stelle, wo die Fixierpunkte im Boden markiert waren.

      „Multiwand! Modeprogramm einschalten!“

      „Welchen Stil wünschen Sie?“

      „Hm … ich brauche wetterfeste Kleidung. Keinen Stil. Mach mir eine Jeans, ein rotes T-Shirt, ein weißes Sweatshirt mit einem Delfin drauf und eine dünne Regenjacke, die man zusammenfalten kann! Ach ja, und mach mir einen kleinen schwarzen Rucksack!“

      „Produktion der Gegenstände läuft. Ausgabe in fünfzehn Sekunden.“

      Während sie auf die Ausgabe der Sachen wartete, entledigte sich Shana ihrer anderen Klamotten und legte sie säuberlich gefaltet auf ihr Bett.

      „Multiwand, ich hab was vergessen!“, rief sie fröhlich. „Mach mir noch ein paar wasserdichte Outdoorschuhe in hellbraun! Aber keinen Billigkram“

      „Befehl verstanden. Ausgabe in zwei Minuten.“

      „Warum dauert das so lange?“

      „Billigkram dauert zehn Sekunden. Echte Sohlen aus Caterpillar-Traktorreifen dauern zwei Minuten.“

      Shana lachte. „Okay. Ach ja, und Multiwand! Beamer einschalten!“

      Shana achtete nicht darauf, wie sich der schimmernde Rahmen aufbaute, sondern zog sich hastig an. Nach exakt zwei Minuten erschienen die Schuhe im Ausgabebereich. Shana holte sie mit einem anerkennenden Pfiff heraus und schlüpfte hinein. Sie überlegte kurz, ob sie der Multiwand