Die Beobachter. Thomas Häring

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Название Die Beobachter
Автор произведения Thomas Häring
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738086621



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In gewisser Weise schon, doch damit wäre seine Gen-Theorie bereits widerlegt, denn Dummheit und Bildungsferne müssen nicht immer etwas mit der Nationalität zu tun haben.

      Doch um das Ganze wirklich verstehen zu können, sollte man auf das zurückblicken, was sich vor gut 20 Jahren ereignet hat. Ein Volk begehrte auf und stürzte das eigene Regime. Dann aber folgte das Verschlucken der DDR durch die BRD und genau diese Aktion liegt dem wiedervereinigten Deutschland heute noch schwer im Magen. Was damals geschehen war, hatte mit Vereinigung nicht viel zu tun, es handelte sich um die Kapitulation des Sozialismus vor dem Kapitalismus und deshalb bekam auch die DDR das System der BRD eins zu eins übergestülpt, anstatt daß man sich die besten Ideen beider Systeme herausgesucht und miteinander verbunden hätte. Aber daran hatte seinerzeit niemand ein wirkliches Interesse. Sehr viele Bürger der DDR waren heilfroh darüber, den Sozialismus endlich hinter sich lassen zu können und im Westen waren nur die Wenigsten darauf erpicht, irgendetwas von einem scheinbar gescheiterten System zu übernehmen.

      Für die Menschen im Osten hatte sich die Welt grundlegend verändert und da alles so rasend schnell vor sich ging und Vielen wie ein Rausch vorkam, hatten die meisten Leute keine Zeit, das Geschehene richtig zu verarbeiten, sondern versuchten, sich anzupassen und mit der neuen Realität zu arrangieren. Das war nicht ganz leicht, denn alles, was gestern noch richtig war, sollte nun auf einmal falsch sein und der Klassenfeind von drüben war plötzlich der neue beste Freund und Bruder, der es nur gut meinte. Allerdings kamen sehr schnell die ersten Gauner und Halunken, welche den gutgläubigen Ostdeutschen alle möglichen Versicherungen und sonstigen Sinnlosigkeiten andrehten, was dazu führte, daß viele Vorurteile sogleich bestätigt wurden und sich die Betrogenen wieder recht schnell aus der schönen neuen Welt zurückzogen und stattdessen lieber in der Ostalgie schwebten. 20 Jahre später sind die Deutschen sicherlich ein Stück weit zusammengewachsen, doch die Unterschiede zwischen den Wessis und den Ossis bestehen nach wie vor, was nicht weiter verwundert. Die Westdeutschen konnten nach der Wiedervereinigung weiterleben wie zuvor, für sie änderte sich nicht wirklich was, außer daß sie den Solidaritätszuschlag zu zahlen hatten (genauso wie die Ostdeutschen übrigens auch) und daß es einige Steuererhöhungen gab. Das kapitalistische System blieb bestehen und alle konnten weitermachen wie bisher. Dagegen brach im Osten eine Welt zusammen. 40 Jahre Sozialismus hatten sich selbstverständlich in den Köpfen festgesetzt und ihre Spuren hinterlassen. Schon in der Schule hatten die ostdeutschen Kinder gelernt, daß die Sozialisten die Guten und die Kapitalisten die Bösen waren, im Westen war es natürlich genau umgekehrt gewesen. Aber zweifellos war der Zusammenhalt im Osten stärker und genau den vermissen viele Ostdeutsche in der heutigen individualisierten Gesellschaft, in der fast alle nur auf sich und ihren eigenen Vorteil schauen. Gemeinschaft wird vielerorts nicht mehr großgeschrieben und der Einzelne fühlt sich oft schon längst nicht mehr als Teil eines großen Ganzen. Wer nun glaubt, der Kapitalismus als übrig gebliebenes System wäre des Rätsels Lösung und der Weisheit letzter Schluß, täuscht sich gewaltig, denn die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen sollte nun wirklich nicht am Ende der Geschichte stehen. Nicht zuletzt die Wirtschafts- und Finanzkrise haben deutlich gezeigt, daß da Einiges im Argen liegt und damit wären wir wieder bei der Arge angelangt.

      Damit die Arbeitslosigkeit nicht rapide anstieg, wurde das Kurzarbeitergeld gezahlt, so daß die Firmen ihre Arbeiter nicht entließen, sondern weiterbeschäftigten. Doch wer voller Stolz auf scheinbar nur drei Millionen Arbeitslose in Deutschland verweist, dem sei Folgendes ins Stammbuch geschrieben: Wir haben 6,5 Millionen Hartz IV-Empfänger, die sich bestimmt ungemein über die fünf Euro mehr im Monat freuen, die sie ab nächstem Jahr erhalten sollen. Außerdem gibt es da sehr viele Leute, die zwar einen Job haben, in dem jedoch so schlecht bezahlt werden, daß sie ebenfalls bei der Arge vorstellig werden und noch etwas dazu bekommen, um nicht gar so mickrig abgespeist zu werden. Dann sind da zum Beispiel auch die ganzen Arbeitslosen, die von privaten Vermittlern betreut werden und deshalb auch nicht in der offiziellen Arbeitslosenstatistik auftauchen und lauter solche Scherze. Doch kommen wir nun zu einem grundsätzlichen Problem:

      Früher gab es das Arbeitslosengeld, die Arbeitslosenhilfe und die Sozialhilfe, heute haben wir „nur“ noch Hartz IV, welches wiederum in Arbeitslosengeld I und II unterteilt wurde. Gedacht ist Hartz IV im Prinzip für die Menschen in Deutschland, die keinen Job, damit also kein geregeltes Einkommen und kein Vermögen haben, die also in gewisser Weise mittellos und auf staatliche Unterstützung angewiesen sind. Die Reichen und Starken sollen durch ihre Abgaben und Steuern die Last der Armen mit schultern, allerdings sieht die Realität so aus, daß die Reichen ihr Geld ins Ausland bringen und im Endeffekt die Mittelschicht und die arbeitende Bevölkerung, in erster Linie die Arbeitnehmer, die Arbeitslosen finanzieren. Das führt natürlich zu Debatten, vor allem in Gebieten, in denen die Leute, die arbeiten, so wenig verdienen, daß ihnen am Ende des Monats nicht viel mehr bleibt als denen, die nichts tun. Grundsätzlich wäre das alles trotzdem ganz vernünftig, doch da gibt es natürlich auch Menschen und das sind nicht Wenige, die Hartz IV beziehen, obwohl sie eigentlich gar nicht bedürftig sind, da sie noch ein kleines Vermögen besitzen, welches sie jedoch nicht antasten wollen. Mag sein, daß es sich dabei nur um eine Minderheit handelt, aber es haben mehr Leute mit Hartz IV ihre Schäfchen bereits ins Trockene gebracht, als man sich gemeinhin vorstellt. Dabei besteht der Sinn jener „Hilfe zum Lebensunterhalt“ ja eigentlich darin, die zu unterstützen, die nichts haben, denn die brauchen Hilfe. Die Anderen dagegen sollten zunächst erst mal ihr Erspartes aufbrauchen, bevor sie sich Hilfe suchend an Vater Staat wenden. Das nur so nebenbei, aber es geht ja um viel mehr, wenn man mal genau hinschaut. Solidarität lautet das Zauberwort und da das Geld im Kapitalismus natürlich ungleich und ungerecht verteilt ist, geht es für die Politiker zunächst darum, die gröbsten Ungerechtigkeiten zu beseitigen. Allerdings sind auch sie von der Wirtschaft und deren Vertretern abhängig, so daß die Armen nur das Nötigste zum Überleben erhalten, damit die Reichen weiterhin ihre Gier befriedigen können. Es handelt sich bei der ganzen Angelegenheit um einen ziemlich schwierigen Balanceakt, doch wenn die Armen irgendwann nichts mehr zu verlieren haben, dann wird es den Reichen ziemlich dreckig gehen.

      Wie auch immer, wieder zurück zu den Leistungsempfängern, welche mittlerweile nicht mehr nur Kunden (im Osten übrigens auch ein Schimpfwort!), sondern in gewisser Weise auch sehr schlecht bezahlte Angestellte des Dienstleistungszentrums für Arbeit sind. Jene sollen natürlich nicht ihr ganzes Leben als Leistungsempfänger verbringen, weshalb man sie in irgendwelche (oftmals sinnlose) Maßnahmen steckt, wie zum Beispiel Bewerbungstrainings, Computerkurse oder andere Scherze. Da wird meist eine Menge Steuergeld sinnlos zum Fenster hinausgeschmissen, was aber nichts macht, da es sich dabei schließlich um die Kohle der Allgemeinheit handelt und solange alle davon betroffen sind, gibt es keinen richtigen Geschädigten. Sinnlose Projekte werden ins Leben gerufen, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen werden aktiviert, alles gut gemeint, jedoch häufig nicht nur schlecht gemacht, sondern auch nur kurzfristig hilfreich, aber kein bißchen nachhaltig. Woran liegt das? Ganz einfach: Es gibt nicht genug Arbeit für alle hier im Land, doch anstatt das zuzugeben und daraus entsprechende Konsequenzen zu ziehen, tun viele Politiker/innen weiterhin so, als wäre Vollbeschäftigung nur eine Frage der Zeit. Zeitarbeit aber zum Beispiel ist die modernste Form der Sklaverei und sorgt zwar dafür, daß die davon Betroffenen voll beschäftigt sind, davon allerdings nicht wirklich leben können. So wie fast immer nimmt man sich in Deutschland den großen Bruder USA zum Vorbild, was dazu führt, daß die Leute immer mehr ausgebeutet werden und zusätzlich auch noch am Hungertuch nagen. Doch wer glaubt, das alles wäre purer Zufall oder einfach nur dumm gelaufen, der irrt. Ganz im Gegenteil! Dieser Wahnsinn hat Methode, denn es geht darum, die Menschen nicht nur zu manipulieren und zu unterdrücken, man will sie auch noch ausquetschen wie eine Zitrone. Wer hat denn immer die Kosten zu tragen, wenn etwas schief läuft, oder mal wieder alles beinahe zusammengekracht wäre? Der kleine Mann natürlich und der soll noch mehr Lasten schultern, bis er irgendwann zusammenbricht und dann auf ein Pflege- und Sozialsystem angewiesen ist, in dem so wie überall die Profitmaximierung Einzug gehalten hat und der Mensch nur noch eine lästige Nummer ist, der gefälligst zahlen soll, dafür jedoch nicht viel zu erwarten hat. Dieses Menschenbild spiegelt sich natürlich auch in der Arbeitslosenwelt wider. Der Leistungsempfänger als solcher wird nicht selten als Schmarotzer oder Parasit angesehen, der auf Kosten der Anderen lebt, was man ihm natürlich verübelt. Auf diese Art und Weise stigmatisiert, werden ihm oft auch von Seiten der Behörden Steine in den Weg geschmissen, um