Название | Wohlstand macht unbescheiden |
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Автор произведения | Hans Joachim Gorny |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783753199283 |
Zeitung
Prinzipiell bin ich gegen alles was bequem macht. Angesichts der Bequemlichkeit meiner Mitmenschen kann ich richtig verächtlich werden. Viele sind inzwischen sogar zu bequem, um beim Autofahren zu Blinken. Bequemlichkeit ist einer der Schwachpunkte des Homo sapiens, was ihn empfänglich für Werbung macht, denn diese suggeriert ihm, was man haben muss. Die meisten Menschen gehen ihr auf den Leim und das ständige Verlangen nach Neuem tut das Übrige. Die Deutschen, so empfinde ich, sind konsumvernebelt und vom Wohlstand sediert.
Mit jeder Neuerung stellt sich mir die Frage: Wie modern und elektronisch willst du eigentlich sein und werden? Und: Muss ich jeden Trend und jede Mode mitmachen? Die meisten Kinder und Jugendlichen wollen irgendwo dazugehören und anerkannt sein, haben deshalb den Drang das Neueste zu wollen. Diesen Drang kannte ich nicht. Ich sah mich immer zwischen den Gruppierungen stehen, fühlte mich nirgends zugehörig. Misstrauisch verfolgte ich, was die Gleichaltrigen so trieben und sich anschafften. Selber konnte ich, weil es die jeweiligen Umstände gerade nicht zuließen, weder einen Kassettenrekorder, noch einen Walkman oder iPod gebrauchen. Und zu keiner Zeit meines Lebens wollte ich mir ein Handy zulegen.
Smartphones waren mir von Anfang deshalb unsympathisch, weil viele Menschen ihr Leben nach dem kleinen Gerät ausrichten. Dass man mich jederzeit überall erreichen könnte, wäre mir unangenehm. Ich kann es nun mal nicht leiden, wenn man mir meine Zeit stiehlt. Wer mit mir reden will, muss das über den guten alten Festnetzanschluss machen. Was ich wissen will, erfahre ich aus der Tageszeitung, der Tagesschau und von Wikipedia. Und bin damit weniger angeschmiert als die Handy-Nutzer. Ich wollte schon immer Zeit haben; Zeit für mich war mir von klein auf das Wichtigste. Das haben meine Eltern und meine Geschwister nie begriffen. Einfach Zeit zu verbrauchen ohne sie fürs Weiterkommen zu nutzen, war für die anderen Ludwigs undenkbar. In meinen Augen war die angeblich verplemperte Zeit immer sinnvoll genutzt, denn so wie der Doktor Faust, (dass ich erkenne was die Welt, im innersten zusammenhält) versuchte ich, die Welt und die Menschen zu begreifen und dachte dabei vermutlich genauso intensiv nach, wie meine Geschwister im Studium. Doch das wurde mir erst im Erwachsenenalter bewusst.
Außerdem traue ich der Elektronik nicht. Elektronik ist nur so gut, wie die Menschen, die sie anwenden, fähig sind. Deshalb habe ich keine Kreditkarte und mache ich auch kein Homebanking. Bei meinem Lebensstil brauche ich das alles sowieso nicht und es widerspricht auch dem Kerngedanken meiner Philosophie. Der Abneigung gegen Bequemlichkeit.
In meiner Jugend war ich ein eifriger Schallplattenkäufer. Das üppige Taschengeld, um das mich viele beneidet hätten, weshalb ich dessen Höhe lieber für mich behielt, machte es möglich. Die Musik der Beatles setzte in mir eine Euphorie frei, die ich nicht gekannt hatte. Später entdeckte ich Slade, T. Rex und Alice Cooper. Deep Purple mit Made In Japan, brachte mich vollends aus dem Häuschen. Wie war es möglich, eine so kraftvolle und lebendige Musik so perfekt zu spielen? Ohne Noten! Meine Geschwister mussten Klavier spielen lernen, obwohl Gitarre angesagt war. Mich hatte man vergessen, zu Klavierstunden zu nötigen. Oder es ganz einfach unterlassen, weil meinen Eltern die Energie fehlte zu überprüfen, ob ihr Herumtreiber überhaupt zum Klavierunterricht ging.
Meine Schallplattensammlung wurde monatlich größer und umfangreicher. Ich hielt es für ratsam, meinen Musikgeschmack vor den Eltern zu verheimlichen. Die hörten oft Orgelmusik von Bach, auch Beethoven schallte manchmal durchs Haus, seltener etwas Getöse von Richard Wagner. Für mich war das tote Musik, die zudem sich endlos hinzog. Länger als Child in Time von Deep Purple und Stairways to Heaven von Led Zeppelin. Ich hörte meine Musik heimlich mit Kopfhörer, was meine Eltern nie taten. Sie genossen ihre Musik, die seit ewig dieselbe war, hausfüllend.
Dann kam der Kassettenrecorder auf und ich spürte deutlich, wie der Fortschritt und die Wirtschaft die Konsumenten zu einer Verhaltensänderung nötigten. Aber damals waren mir Bier trinken, Discotheken und Konstanze wichtiger gewesen. Einen Kassettenrekorder habe ich nie besessen. Als viele Jahre darauf sich wieder alles änderte und die CDs auf den Markt kamen, war ich mit Elfi und ihren zwei Kindern beschäftigt.
Auf meiner ersten Afrika-Safari, auch ich gönne mir manchmal etwas, wurde ich von einem Naturfotograf in die Fotografie eingeführt. Das begeistert mich so stark, dass ich mir zuhause eine Spiegelreflexkamera mit Wechselobjektiven zulegte. Seither gilt mein Interesse der heimischen Natur und zwischenzeitlich habe ich eine Unmenge Fotos geschossen. In mein analoges Fotografieren war ich so verliebt, dass ich die digitale Entwicklung jahrelang ablehnte. Bis ein Kollege vom NABU mir die neuen Möglichkeiten aufzeigte. Zum Beispiel konnte man Foto-CDs herstellen und vervielfältigen. Nach Jahren gab ich dann wieder viel Geld aus und kaufte mir eine Digitalkamera und einen Computer mit CD-Brenner. Bei Sachen, die ich gut gebrauchen kann, habe ich mit dem Fortschritt kein Problem. So wird es wohl auch anderen ergehen. Nur brauche ich kein Spielzeug, weil ich in meiner Freizeit hauptsächlich lese.
Inzwischen kann ich die neueste Musik endlos umsonst hören und frage mich, ob die Musiker nun von den Einnahmen ihrer Konzerte leben müssen. Auch mit fünfundsechzig interessiere ich mich noch für aktuelle Musik, sitze samstagabends mit Kopfhörer in meinem Häuschen, durchforste die Charts nach neuen Songs, kenne AnnenMayKantereit und Capital Bra, liebe Apache 207 und Rammstein. Einmal Rocker, immer Rocker.
Aber ein Smartphone? So herumlaufen wie die anderen? Das empfinde ich nicht als modern. Ein Smartphone ist der schlimmste Gleichmacher der Gegenwart. Die Geräte haben ihre Besitzer, die bequeme Unterhaltung suchen, voll im Griff. Wenn ich mir gegenüber ehrlich bin, lehne ich vieles schon deshalb ab, weil Besitz mich belastet. Wenn mein Hab und Gut unübersichtlich wird, fühle ich mich sofort unwohl. Außerdem führe ich ja ein Nischendasein in bewusst gelebter Diversität. Aber es hatte Jahrzehnte gedauert, bis ich endlich den Lebensstil gefunden habe, der mir wohltut und mit dem ich sogar glücklich bin.
Ich habe nicht nur eine Abneigung gegen Bequemlichkeit, sondern auch gegen Luxus. Für Luxus fehlt mir der Sinn. Da steckt der ewige Widerstreit dahinter, was nötig ist und was nicht. Ich neige nicht gerade zu Geiz, aber doch zum Einfachen. Um es überspitzt zu schildern: Es gibt Menschen, denen genügt ein Taschenmesser. Andere brauchen jeweils ein Messer für Brot, Butter, Wurst, Speck, Käse, Tomaten, Obst, Gemüse, Fleisch und sonst was. Ich bin eher der mit dem Taschenmesser. Luxus ist fürs Museum.
Meinen Hang zum Einfachen empfinde ich als glückliches Naturell. Damit habe ich auch gut lachen, denn mich plagen keine negativen Eigenschaften. Viele Mitmenschen leiden zum Beispiel unter ihrer Gier. Geldgier, Habgier, Machtgier, Fressgier und was es sonst noch alles an Gierigem gibt. Leiden unter zu wenig Beachtung, Anerkennung, Wertschätzung, Würdigung. Leiden unter ihrem Aussehen, ihrem Status, ihrer Herkunft, unter Krankheiten. Am meisten leiden die Süchtigen. Nikotin-, Alkohol-, Drogen- und Spielsucht sind die bekanntesten Abhängigkeiten, die Familien zerstören und Menschen verarmen lässt. Es gibt sogar Sexsüchtige. Keinem der aufgeführten Laster bin ich verfallen und blieb somit von den schlimmsten Problemen, die man als Mann bekommen kann, seit Geburt verschont. Meinen zeitweiligen Bierkonsum ignoriere ich hiermit.
Mit vierzehn wurde ich Kreismeister im Dreitausendmeterlauf. Am Montagmorgen war mein Bild in der Zeitung. Mein Vater, der als erster die Zeitung las, betrachtete den Bericht mit gemischten Gefühlen. Noch nie hatte es einer der Ludwigs, auch er nicht, in die Zeitung geschafft. Ausgerechnet der Sprössling, der sich weigerte aus seinem Leben etwas Bedeutendes zu machen, lächelte ihm nun zufrieden entgegen.
Die Jahre im Leichtathletikverein waren für mich eine super Zeit, mit viel Kameradschaft und gemeinsamen Feiern. Und den ersten Kontakten zu Mädchen. Alex und ich trainierten zwei Mal in der Woche. An den Wochenenden fuhren wir manchmal zu Wettkämpfen. Mein größter Triumph war der Zeitungsbericht, der meine Eltern und Geschwister fassungslos machte. Der schulische Leistungsverweigerer der Familie strahlte nun aus dem Lokalteil, weil er ein bisschen schneller rennen konnte als andere.
„Du