IM ANFANG WAR DER TOD. Eberhard Weidner

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Название IM ANFANG WAR DER TOD
Автор произведения Eberhard Weidner
Жанр Языкознание
Серия Anja Spangenberg
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783750214316



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dir mal an, was auf der Rückseite steht!«, sagte Krieger und grinste hämisch.

      Als Anja wieder auf den Beweismittelbeutel sah, hatte Krieger ihn umgedreht. Nun war die Rückseite der Visitenkarte sichtbar. Jemand – möglicherweise der Pfarrer – hatte mit blauem Kugelschreiber das gestrige Datum und »23:00 Uhr« darauf notiert. Daneben standen ihr Vorname, der eingekringelt worden war, und ihre Handynummer.

      »Und? Was sagst du jetzt? Willst du etwa immer noch behaupten, du hättest den Pfarrer zum letzten Mal gesehen, als du ein kleines Mädchen warst?« Kriegers Tonfall verdeutlichte, für wie lächerlich er diese Vorstellung hielt.

      »Es ist keine Behauptung, sondern die Wahrheit.« Anja verschränkte die Arme vor der Brust. Sie wandte sich wieder an Englmair, von dem sie sich Unterstützung gegen seinen Kollegen erhoffte. »Du glaubst doch nicht wirklich, dass ich so etwas …« Sie wies, ohne hinzusehen, auf den Leichnam. »… tun könnte, oder?«

      Er schüttelte zwar den Kopf, doch sein Gesichtsausdruck zeigte, dass er sich nicht hundertprozentig sicher war, was er glauben sollte.

      Anja wurde schlagartig bewusst, dass es noch mehr geben musste, das gegen sie sprach. Die Visitenkarte allein, selbst wenn auf der Rückseite das gestrige Datum, ihr Vorname und ihre Handynummer vermerkt waren, hätte nicht ausgereicht, um Englmair derart an ihr zweifeln zu lassen. Vielleicht, so dachte sie, spielt die Uhrzeit eine Rolle. »Wisst ihr schon, wann er gestorben ist?«

      »Nachdem Dr. Brenner den Leichnam untersucht hatte, meinte er, der Pfarrer sei zwischen einundzwanzig Uhr abends und drei Uhr morgens ermordet worden«, antwortete Englmair.

      »Du siehst also, es passt alles perfekt zusammen und ergibt einen Sinn«, sagte Krieger geradezu triumphierend. »Der Pfarrer notierte sich ausgerechnet auf der Visitenkarte, die du ihm gegeben hast, den Tag und die Uhrzeit eures Treffens. Keine Ahnung, worum es dabei ging. Auf jeden Fall seid ihr vermutlich in Streit geraten. Dann musst du die Kontrolle verloren und wie eine Wahnsinnige zweimal auf ihn eingestochen haben. Und als er schwerverletzt flüchten wollte, hast du ihm zuerst das Messer in den Rücken gerammt und anschließend, als er hilflos am Boden lag, die Kehle durchgeschnitten.« Seine letzten beiden Worte begleitete er, als wollte er sie dadurch noch verdeutlichen, mit der weltweit verständlichen Geste für eine durchgeschnittene Kehle.

      »Hörst du dir eigentlich manchmal selbst zu, wenn du redest, Krieger?«, fragte Anja und schüttelte den Kopf. »Wenn nicht, ist es höchste Zeit, dass du damit anfängst. Dann würdest du nämlich endlich merken, wie viel Blödsinn du ständig von dir gibst.«

      »Und wieso soll das Blödsinn sein?«

      Anja überlegte. »Erstens«, sagte sie dann und hob den Daumen der linken Hand. »Wann soll ich ihm die Visitenkarte denn gegeben haben? Etwa gestern Nacht um dreiundzwanzig Uhr, als wir uns angeblich trafen? Wenn ja, wie konnte er dann den Termin auf der Karte notieren? Und wieso hätte er das überhaupt noch tun sollen?«

      Doch Krieger ließ sich von ihrem Einwand nicht irritieren. Er schien davon überzeugt zu sein, dass er auf der richtigen Spur war, und ließ sich davon partout nicht abbringen. »Wahrscheinlich hast du ihm die Visitenkarte schon vorher zukommen lassen. Würde mich gar nicht wundern, wenn das sogar deine Schrift auf der Rückseite ist.«

      Sie schüttelte energisch den Kopf. Auch wenn sie das meiste, was ihr in den letzten Stunden widerfahren war, noch immer nicht nachvollziehen konnte, so wusste sie wenigstens mit absoluter Sicherheit, dass es sich nicht um ihre Schrift handelte. »Das habe ich nicht geschrieben! Und das lässt sich im Zweifelsfall auch durch ein grafologisches Gutachten nachweisen.«

      Krieger zuckte mit den Schultern, als wäre dieses Detail ohnehin belanglos. »Dann hat es eben der Pfarrer geschrieben, als ihr telefonisch den Termin für euer Treffen vereinbart habt. Was soll’s?«

      »Ich sagte schon einmal, dass ich Pfarrer Hartmann seit 23 Jahren nicht gesehen habe. Und ich habe auch nie mit ihm telefoniert. Das wirst du auch selbst noch herausfinden, wenn du die Verbindungsdaten unserer Telefonanschlüsse überprüfst.«

      Doch der Mordermittler wich keinen Millimeter zurück und ließ sich von bloßen Behauptungen von jemandem, den er des Mordes verdächtigte, nicht den Wind aus den Segeln nehmen. »Das werden wir selbstverständlich noch überprüfen, darauf kannst du dich verlassen. Allerdings habe ich auch nicht erwartet, dass du von deinem Festnetzanschluss oder mit deinem Handy beim Pfarrer angerufen hast. Schließlich bist du alles andere als blöd.«

      »Danke für das Kompliment, Krieger, auch wenn es sicherlich unbeabsichtigt war. Aber wenn ich, wie du gesagt hast, alles andere als blöd bin, wieso habe ich dann die Visitenkarte nicht mitgenommen, als ich die Gelegenheit dazu hatte?«

      Er zuckte mit den Schultern. »Selbst die klügsten Verbrecher machen Fehler und werden geschnappt. Vielleicht bist du nach dem Mord in Panik geraten und fluchtartig von hier verschwunden. Und dabei hast du schlichtweg vergessen, die Karte mitzunehmen. Schließlich hatte der Tote sie in der Hosentasche.«

      »In der Hosentasche?«, fragte sie Englmair, der das mit einem Nicken bestätigte. »Und wie kam dann das Blut dran?«

      »Es stammt vermutlich von seiner Bauchwunde, die sehr heftig geblutet hat. Nach Ansicht des Gerichtsmediziners hat der Täter dem Pfarrer das Messer zuerst in die linke Schulter gestoßen. Die Klinge drang allerdings nicht sehr tief ein. Der zweite Stich ging dann in den Bauch und war wesentlich tiefer. Das Opfer wandte sich daraufhin zur Flucht und rannte von da drüben …« Er wies auf eine Stelle am Anfang des Mittelgangs, an der Anja auf ihrem Weg hierher vorbeigekommen war. Mehrere nummerierte gelbe Spurenmarker wiesen auf Blutstropfen auf den Fliesen hin. »… bis hierher, wo er sich an der Wand abstützte und dabei diesen Handabdruck hinterließ. Der Mörder …«

      »… oder die Mörderin …«, unterbrach ihn Krieger, der Anja nicht aus den Augen ließ.

      Englmair seufzte. »Okay. Der Mörder oder die Mörderin verfolgte den Pfarrer und stieß ihm, wie Toni schon sagte, das Messer in den Rücken, wo er eine weitere tiefe Stichwunde hat. Nachdem das Opfer anschließend zu Boden gesunken war, wurde ihm die Kehle durchgeschnitten.«

      »Wieso erzählst du ihr das eigentlich alles?«, fragte Krieger und sah seinen Kollegen verärgert an. »Dabei handelt es sich um Täterwissen.«

      »Sie ist immer noch unsere Kollegin und gilt solange als unschuldig, bis ihre Schuld zweifelsfrei erwiesen ist.«

      Krieger wiegte den Kopf hin und her, als hätte er seine Zweifel, erwiderte jedoch klugerweise nichts darauf.

      »Zweitens«, setzte Anja ihre Aufzählung von vorhin fort und streckte den Zeigefinger aus, »trage ich in der Regel kein Messer mit mir spazieren, das derartige Wunden hervorruft, wenn ich mich mit einem katholischen Pfarrer zu einem Gespräch treffe, den ich als Kind kannte und bis zum Tod meines Vaters sogar sehr gern hatte. Und ich nehme nicht an, dass ein derartiges Messer griffbereit hier in der Kirche herumlag. Worum handelt es sich bei der Tatwaffe überhaupt?«

      »Um ein Fleischmesser«, sagte Krieger, als wäre Anjas Frage sein Stichwort gewesen. Er wandte sich um, nahm die Stufen und ging zum Altar. »Wir fanden es hier auf dem Altar, wo die Mörderin es nach der Tat hingelegt hat.«

      Anja sah Englmair an und verdrehte die Augen.

      Er zuckte mit den Schultern, als wollte er sagen: So ist er nun einmal, und da kann man nichts dran ändern.

      »Komm ruhig her und sieh es dir aus der Nähe an«, forderte Krieger Anja auf.

      Sie seufzte und ging zu ihm.

      »Außerdem will ich dir noch etwas zeigen, das für unsere Ermittlungen höchst interessant und aufschlussreich ist«, sagte er geheimnisvoll.

      Anjas Befürchtungen, dass die Visitenkarte noch nicht alles gewesen war, das sie mit dem Pfarrer, dem Mord und dem Tatort in Verbindung brachte, schienen sich zu bewahrheiten. Der Eisklumpen aus geballter Furcht in ihren Eingeweiden wurde beständig größer.

      Sie blieb vor dem Altar stehen und sah sich die Gegenstände