IM ANFANG WAR DER TOD. Eberhard Weidner

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Название IM ANFANG WAR DER TOD
Автор произведения Eberhard Weidner
Жанр Языкознание
Серия Anja Spangenberg
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783750214316



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die Tatwaffe aus ihrem Traum, doch das überraschte sie inzwischen nicht einmal mehr.

      Insgeheim rechnete sie mittlerweile damit, dass sie jeden Moment in ihrem Bett aufwachen und sich dies alles nur als grausame Fortsetzung ihres Albtraums herausstellen würde. Aber bis es so weit war, musste sie sich bemühen, das Beste aus dieser albtraumhaften Situation zu machen, und bei dieser Farce mitspielen.

      Was letztendlich dafür sorgte, dass ihre Knie ganz weich und nachgiebig wurden und ihr ein Schauer des Entsetzens über den Rücken lief, als wäre sie mit Eiswasser übergossen worden, war der Griff des Messers. Sie sah ihn jetzt zum ersten Mal, denn in ihrem Traum war er ständig von der schwarz behandschuhten Hand des Mörders umfasst worden. Voller Entsetzen wurde ihr in diesem Moment bewusst, dass ihr sowohl die Form als auch die Farbe des Messergriffs überaus vertraut waren. Kein Wunder, schließlich hatte sie selbst in ihrer Küche einen Messerblock mit einem ganzen Set dieser Küchenmesser. Allerdings musste das Fleischmesser deshalb nicht zwangsläufig aus ihrer Küche stammen. Es konnte sich auch rein zufällig um ein und dieselbe Marke handeln. Allerdings hatte Anja in den letzten Stunden bereits zu viele Merkwürdigkeiten und Ungereimtheiten erlebt, um in dieser Angelegenheit noch an Zufälle zu glauben.

      Was, wenn es doch eins meiner Messer ist?

      Zuerst der Albtraum, der nur auf den Erinnerungen der Person basieren konnte, die das Messer geführt und die tödlichen Streiche ausgeführt hatte. Dazu ihre blutige Visitenkarte mit dem handschriftlich vermerkten Termin, der mutmaßlich mit dem Todeszeitpunkt übereinstimmte. Und jetzt möglicherweise auch noch ein Messer aus ihrer Küche, mit dem der Geistliche umgebracht worden war. Für sich allein mochte jedes dieser Details nur ein mageres Indiz sein, das vage in ihre Richtung wies. Zusammen ergaben sie jedoch einen ganz konkreten Tatverdacht.

      Verdachtsmomente!

      Jetzt wusste sie, was Englmair damit gemeint hatte. Das alles waren Verdachtsmomente. Und alle zeigten anklagend in ihre Richtung. Das Bild, das sich zwangsläufig daraus ergab, wurde allmählich so eindeutig, dass sogar sie selbst immer mehr an ihrer Unschuld zu zweifeln begann.

      Schließlich hatte sie einen Filmriss gehabt und konnte sich an nichts mehr erinnern, weil sie augenscheinlich eine ganze Flasche Wodka geleert hatte. Außerdem entsprach der Ablauf des Mordes, den Englmair ihr aufgrund der Aussage des Gerichtsmediziners geschildert hatte, in allen Einzelheiten ihrem vermeintlichen Traum. Und wie könnte sie davon wissen und so detailliert davon geträumt haben, wenn sie nicht auch die Mörderin war?

      Es waren also gar keine Traumbilder. Viel eher waren es infolge des Alkoholrausches verschüttete Erinnerungen, die wie übelriechende Gasblasen in einem Sumpf im Schlaf wieder an die Oberfläche gekommen waren.

      »Du bist ja auf einmal so bleich geworden«, sagte Krieger höhnisch. »Bekommst wohl doch allmählich kalte Füße.«

      »Wieso sollte ich kalte Füße bekommen, Idiot?«, versetzte Anja angriffslustig, denn der Mordermittler hatte mal wieder zielsicher einen wunden Punkt erwischt. »Ich erkläre es dir aber gern noch einmal ganz langsam, damit sogar du es kapierst: Ich … habe … diesen … Mann … nicht … umgebracht!« Sie betonte jedes einzelne Wort. »Ich habe ihn seit dreiundzwanzig Jahren weder gesehen noch gesprochen. Hast du’s jetzt endlich geschnallt?«

      Sie selbst war davon indessen immer weniger überzeugt und dachte fieberhaft nach. Noch wussten die Kollegen von der Mordkommission im Gegensatz zu ihr nicht, dass Anja ein ganzes Set dieser Messer besaß und die Tatwaffe möglicherweise aus ihrer Wohnung stammte. Von selbst würde sie die beiden Männer allerdings bestimmt nicht darauf aufmerksam machen, da sie sich damit gewissermaßen ihr eigenes Grab schaufelte und sich nur noch mehr belastete. Krieger würde sich dadurch in seiner Meinung bestätigt fühlen und ihr das Leben fortan noch schwerer machen. Und selbst Englmair würde vermutlich notgedrungen von ihr abrücken. Spätestens dann würde sie tatsächlich zur dringend Tatverdächtigen Nummer eins avancieren und vermutlich umgehend festgenommen werden.

      Anja überlegte, was sie tun konnte, um das zu verhindern. Am wichtigsten war es momentan, dass sie sich nicht auch noch durch ihr Verhalten verdächtig machte und den beiden damit einen Grund lieferte, ihre Wohnung zu durchsuchen. Wer wusste schon, was sie dort außer einem Messerblock mit einem möglicherweise fehlenden Küchenmesser noch alles finden würden? Blutflecken auf den Kleidungsstücken vielleicht, in denen sie vorhin auf der Couch aus ihrem vermeintlichen Albtraum erwacht war? Oder sogar Blut unter den Sohlen ihrer Joggingschuhe?

      Sie wurde aus ihren Gedanken gerissen, als Krieger erneut das Wort ergriff.

      »Wenn du wirklich nichts mit der Tat zu tun hast«, sagte er in einem Ton, der zeigte, dass er sich diesen Punkt bewusst bis zum Schluss aufgehoben hatte und bis zum Letzten auskosten wollte, »dann kannst du uns doch sicher auch das hier erklären.«

      Anja blinzelte irritiert und sah in die Richtung, in die Kriegers ausgestreckter Zeigefinger wies. Sie runzelte verwirrt die Stirn, als sie dort nur eine Bibel sah. Sie hatte einen schwarzen Umschlag mit einem kleinen goldenen Kreuz auf der vorderen Umschlagseite und lag aufgeschlagen, aber mit der Innenseite nach unten auf dem Altar.

      Sie erinnerte sich, dass sie als Kind eine ganz ähnliche Bibel zur Erstkommunion geschenkt bekommen hatte. Allerdings wusste sie nicht, wohin das Buch verschwunden war, weil sie nach dem Tod ihres Vaters jegliches Interesse daran verloren hatte. Sie hatte seit damals nicht einmal mehr daran gedacht.

      »Das ist eine Bibel«, stellte sie das Offensichtliche fest. »Du kennst dich mit Religion vielleicht nicht so gut aus, Krieger, aber katholische Priester besitzen Bibeln. Sie gehören gewissermaßen zur Grundausstattung eines Geistlichen. Deshalb verwundert es mich auch nicht im Geringsten, auf dem Altar einer Kirche eine Bibel zu sehen. Was findest du daran eigentlich so ungewöhnlich?«

      »Dazu komme ich gleich noch«, sagte Krieger und sah dabei äußerst zufrieden aus.

      Anja bekam ein flaues Gefühl im Magen, als der Angstknoten sich noch weiter ausdehnte. Sie ahnte, dass noch etwas kommen würde. Etwas, das ihren ständigen Unschuldsbeteuerungen möglicherweise den Boden entziehen würde.

      Nur was?

      »Zuerst möchte ich dich darauf hinweisen, dass diese Bibel exakt so dalag, wie du sie jetzt siehst. Und wie du unschwer erkennen kannst, ist sie an einer bestimmten Stelle aufgeschlagen. Siehst du das?«

      »Natürlich. Ich bin schließlich nicht blind.«

      »Gut.« Krieger sah sie an und grinste boshaft, fuhr aber nicht fort.

      Anja seufzte ungeduldig. »Vermutlich möchtest du, dass ich dich jetzt frage, an welcher Stelle die Bibel aufgeschlagen ist. Aber den Gefallen tue ich dir aus purer Bosheit natürlich nicht. Stattdessen würde ich, wenn ich raten müsste, sagen, dass es eine Stelle in der Offenbarung des Johannes ist.«

      Die Johannes-Offenbarung hatte im Fall des Apokalypse-Killers eine zentrale Rolle gespielt. Der Mörder, der sich in Anlehnung an den Autor der Offenbarung ebenfalls Johannes genannt hatte, hatte durch seine Taten die Apokalypse heraufbeschwören wollen. Außerdem hatte er Anja Nachrichten mit den entsprechenden Bibelzitaten zukommen lassen.

      Doch Krieger schüttelte den Kopf. »Nein, es handelt sich nicht um die Johannes-Offenbarung. Schließlich ist der Apokalypse-Killer tot. Das solltest du eigentlich am besten wissen, immerhin hast du ihn eigenhändig getötet.«

      Das stimmte. Krieger und Englmair hatten allerdings keine Ahnung, dass der sogenannte Apokalypse-Killer einen Hintermann oder geheimen Helfer gehabt hatte. Dessen Identität war noch immer ungeklärt, und er lief weiterhin frei herum. Zuletzt hatte Anja vor drei Monaten von ihm gehört, als er ihr am Grab ihres Vaters eine letzte schockierende und eindeutige Nachricht hinterlassen hatte. Seitdem wartete sie darauf, dass er erneut in ihr Leben trat und es ihr wieder schwermachte. Dass er sich seitdem nicht mehr gemeldet hatte und bedeckt hielt, beruhigte sie dabei keineswegs. Es bereitete ihr eher Sorgen, denn vermutlich heckte er nur wieder neue Gemeinheiten aus und wartete auf eine günstige Gelegenheit, sie in die Tat umzusetzen.

      »Wenn es nicht die Offenbarung des Johannes ist, was dann?«

      »Der Name Johannes