Vorm Mast. Wolfgang Bendick

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Название Vorm Mast
Автор произведения Wolfgang Bendick
Жанр Языкознание
Серия Zu Wasser und zu Lande
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742791412



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sitzen wir Decksjungen oft bei irgendeinem in der Bude, mit einer Flasche Bier, oder machen uns, was seltener ist, über eine Flasche Whisky her. Manchmal schaut ein Matrose herein, fragt nach Feuer oder sonst was. Selten setzt sich einer zu uns. Jetzt, wo sie den Schlaf nachgeholt haben und den Kopf entnebelt, merke ich, dass sie eigentlich gar nicht soo schlimm sind. Der Einzige, der öfters mit uns ist, ist Seubert, der Leichtmatrose. Ansonsten trinken oder unterhalten sich die verschiedenen Dienstgrade in ihren entsprechenden Ecken in der Mannschaftsmesse. In unseren Zimmern ist wenig Platz. Man sitzt auf dem harten Kojenrand, dem einzigen Hocker, auf dem Minitisch, auf dem Rand einer halb herausgezogenen Schublade, auf dem Boden. Die Tür lässt sich, zum Glück, auf einen Haken blockieren. Dadurch ist sie etwa ein Fußbreit offen, und wir ersticken nicht in unserem Zigarettenqualm. In den Tropen sei das die Dauerposition, dazu das Bullauge offen, wenn möglich mit einem „Eselsohr“ darin, einem halbrunden Blech, das den Fahrtwind herein leiten soll. Klimaanlage besitzt das Schiff keine.

      Wie ist es schön, von den Tropen zu reden, während es draußen arschkalt ist und hier drinnen eine Elektroheizung die Luft verstinkt. Von den Anderen erfahre ich die bordeigenen Preise für Zigaretten und Spirituosen. Etwa 1/3 der Preise an Land! Da soll einer nicht Alkoholiker oder Lungenkrebsler werden! Mickymaus sagt mir, dass in Afrika meist mit Zigaretten bezahlt wird. Möglichst mit amerikanischen. 1 Paket für drei Ananas, 3 Pakete für eine Staude Bananen. Wir sitzen dichtgedrängt in seiner Kammer und rupfen gerade die letzten Bananen von seiner Staude. Wie schmecken die gut! Viel besser, als die aus dem Geschäft, weil sie reif geerntet worden sind. Bei all diesen Erzählungen kann ich es kaum erwarten, dass wir die Leinen loswerfen und die norddeutsche Wintersuppe weit hinter uns lassen. Doch vorerst heißt es noch volle Pulle aufklaren. Massenweise Bretter, das Stauholz, aufstapeln. Auf Stroppen, Seilschlingen. Das alles verschwindet in den Luken, um später als Unterlage, Spalier genannt, für Sackgut zu dienen, damit dieses nicht direkt den Lukenboden berührt. Die Persenninge, riesige Planen aus Segeltuch, wasserdicht imprägniert, müssen zusammengelegt werden. Die anderen Ratten zeigen mir wie. Wichtig ist, dass man sie jederzeit, auch im Dunkeln, ausbreiten kann, selbst alleine. Man faltet von außen her je eine Hälfte bis zur Mitte; das, was bleibt, wiederum bis zur Mitte, dann nochmal dasselbe, je nach Größe der Plane. Den breiten Streifen, der so entsteht, klappt man ebenfalls nur bis zur Mitte, beidseitig, und nochmal und nochmal, bis ein „handliches“ Paket übrig bleibt, das dann mit einem Bändsel zugeschnürt wird, bereit zum Gebrauch. Das wird dann in einem der Deckshäuser gelagert. Alles Tauwerk wird „fachmännisch“ von uns Lehrlingen aufgeschossen (aufgewickelt, aufgerollt) und seefest verstaut oder aufgehängt. Vieles an der Seemannsschule Gelernte wird jetzt plötzlich verständlich und kommt zur Anwendung. Immer wieder taucht ein Matrose oder der Scheich auf und motzt. „Alles Pfusch! Da merkt man, dass der Unterricht zu nichts taugt!“ und immer dieselbe Schlussfloskel beim Weggehen: „...Hammelbeine langziehen...“. Die Lehre, die ich daraus ziehe ist, 1. immer alles bestens zu machen, 2. alles kann immer noch besser gemacht werden, 3. so gut man auch arbeitet, ein Matrose findet immer was zum Aussetzen!

      HEJ GEIT

      Unser Ausbildungsoffizier, Herr Herk, ist eingetroffen und mustert uns skeptisch. Er ist noch ziemlich jung, trägt Bürstenschnitt. Er war vorher bei der Hamburg-Süd. Warum ist er da nicht geblieben? Die bordeigene Gerüchteküche (er)findet für alles eine Antwort. Die Besatzung ist jetzt vollständig. Die Mindestbesatzung für ein Schiff auf großer Fahrt, wie das unsere, ist 37 Personen. Damit sind alle Posten ausreichend besetzt. Dazu der Ausbildungsoffizier und 6 Kadetten, das macht 44. Dann endlich: „10 Uhr Auslaufen, bei ablaufend Wasser!“ Da Hamburg Tidehafen (Gezeitenhafen) ist, nutzen die Schiffe die Strömung, um schneller vorwärts zu kommen oder um die größere Wassertiefe auszunutzen. Schon am Vortag war es auf einer Tafel neben der Gangway angeschrieben gewesen, für die Landgänger. Die Deckswache hatte in der Früh in der Backbordrah die Flagge P gesetzt, den blauen Peter, wie man ihn nennt (blaue Flagge mit weißem Quadrat in der Mitte). Das ist nicht der Mann von der grünen Minna und hat auch nicht viel mit dem Zustand der noch fehlenden Matrosen zu tun, sondern bedeutet, dass das Schiff noch heute auslaufen wird. Ein Pfiff aus der Trillerpfeife schallt übers Deck. „Klar vörn un achtern!“, ruft ein Offizier. Wir alle begeben uns auf unsere Stationen, für die wir eingeteilt waren. Ich bin froh, für achtern eingeteilt zu sein, da fühle ich mich schon vertraut. Wir wohnen ja dort...

      Der Hafenlotse kommt an Bord in frisch polierter Uniform. Lotsen haben es immer wichtig! Fast wie unser Chef in der Kombüse... Man schaute sich an. Fragt: „Hast du den und den gesehen? Bist du sicher, dass er an Bord ist?“ Es wäre blöd, jetzt „achteraus zu segeln“, hier schon das Schiff zu verpassen, ist das doch ein Grund für einen Rausschmiss. Passiert das im Ausland, muss der Betreffende den Flug für den Ersatzmann bezahlen. Ist die Mannschaft nicht vollständig, kann das Schiff am Auslaufen gehindert werden. Dann fallen zusätzliche Liegegebühren an. Das kann ein teures letztes Glas werden... Die Gangway wird eingeklappt. Die 2 Schlepper sind da. Fast unbemerkt sind sie herangeglitten und lauern auf der Wasserseite, wie sprungbereit. „Schlepperleinen raus!“, bellt die Wechselsprechanlage. „Schlepperleine raus!“, wiederholt der Zweite. „Schlepperleine an Heckklüse ausstecken!“, gibt er an uns weiter. Lederbehandschuhte Hände lassen die schon vorbereitete Trosse hinab, ein paar Buchten laufend (gleitend) um einen Poller gelegt. Die Schlepperbesatzung nimmt mit einem Bootshaken das Auge in Empfang und schleppt es zum gut gefetteten Haken, wo sie es einhängt. Der Matrose an Deck fiert aus. Mit gekreuzten erhobenen Armen gibt einer der Schlepperleute das Zeichen, dass die Länge stimmt. Der Matrose belegt mit mehreren Schlägen. „Achtern Schlepper fest“ meldet der Scheich in den Lautsprecher zur Brücke. Wahrscheinlich lief es auf der Back, dem Vorschiff, genauso. „Spring los!“, ist die nächste Order. „Heckleinen leicht fieren“, „Heckleinen los.“ Wir rennen dorthin, wo wir denken, gebraucht zu werden. Oft heißt es nur: „Aus den Kinken!“, oder man schubst uns weg: „Siehst du nicht, wo du stehst?“, „Warum fasst du nicht an? Du siehst doch, was anliegt!“ Die triefenden Festmacher kommen an Bord. Anfangs versuchen wir, sie gleich wegzuschießen. Doch alles geht zu schnell. Als die letzte losgeworfene Leine ins Wasser klatscht, steigt es in mir heiß auf. „Leinen eingeholt, Schraube frei!“, meldet der Offizier. Das war's! Jetzt geht’s los.

      Kurz darauf pufft der Schornstein, das Schiff zittert, die Schraube peitscht kurz das Wasser. Dieses strömt in Strudeln gegen die Kaimauer, vermischt die dort schwimmende Ölschicht mit dem Treibgut und anderen über Bord geworfenen Abfällen. Die Schleppleine spannt sich, der Abstand zwischen Kaimauer und Schiff vergrößert sich. An der Pier öffnet sich eine große Lücke zwischen den anderen Schiffen, da wo wir gerade noch gelegen sind. Die Schraube fängt wieder an zu drehen, diesmal etwas schneller, der Schlepper bleibt an der Trosse und folgt uns im Rückwärtsgang. Ab und zu spannt sich die Leine und er korrigiert unsern Kurs.

      Jetzt können wir alle etwas verschnaufen. Selbst die erfahrenen Matrosen, der Scheich, selbst der Zweite Offizier stehen da, die Hände auf der Reling, den Blick auf die im Hafenbecken zurückbleibenden Schiffe gerichtet. Wie sehen Hamburgs Wahrzeichen, den Michel, mit seiner grünen Mütze vorbeiziehen, die blaue Überseebrücke (das Kriegsschiff ist nicht mehr da). Und keiner motzt uns an. Ich erlebe einen heiligen Augenblick.

      Als wir die Sankt Pauli Landungsbrücken passiert haben und Blankenese an Steuerbord erscheint, schreckt uns der Lautsprecher auf: „Schlepper los!“ „Schlepper los!“ „Was steht ihr da so rum! Habt wohl Langeweile? Habt ihr nicht gehört?“ „Schlepper ist los“, meldet der Zweite zur Brücke. „Los! Dalli dalli! Schleppleine einholen!“, faucht der Bootsmann. 3 Mal dröhnt das Nebelhorn. Wir fahren zusammen, hoffend, dass es die anderen nicht gemerkt haben. Aber ich glaube, es ist allen so gegangen. Auf dem Anleger in Blankenese stehen Menschen, sie winken uns zu. Vielleicht sind Mütter dabei, deren Söhne auf See sind... Die Schraube dreht schneller. Die Schlepper begleiten uns noch ein Stück, fallen langsam zurück. „Achterschiff aufklaren!“ Schmidchen, Hans-Dieter, der ganz Neue, und ich nehmen wieder den Kampf mit der Manila auf. Wir sind ja fast schon professionelle Schlangenbeschwörer. Danach schießen wir die Stahlfestmacher in großen Buchten (Ringen) auf,