Ein ganz klarer Fall. Elke Schwab

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Название Ein ganz klarer Fall
Автор произведения Elke Schwab
Жанр Языкознание
Серия Kullmann-Reihe
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783750237209



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Akte in die Hände geraten? Warum musste er es erfahren? Ist die Wahrheit immer so wichtig?

      Und nun erfuhr er über den Aktuellen Bericht von dem Mord an Herbert Klos. Allerdings war er zusammen mit einem Mann erschossen worden, den er nicht kannte. Vielleicht war ja seine Sorge unbegründet, vielleicht stand die Tat ja in keinerlei Zusammenhang. Doch trotzdem konnte er nicht abschalten. Er hatte Gleiches mit Gleichem vergolten. Sollte das nun das Ergebnis sein? Das wäre noch viel schlimmer, als er sich hätte träumen lassen. Soweit wollte er dieses Spiel nicht treiben, und schon gar nicht, dass ein ihm völlig fremder Mann zum Opfer seines persönlichen Rachefeldzuges wurde. Es gab also doch noch Menschen, die weit unerschrockener waren, als er selbst.

      »Was ist los mit dir, Opa? Du rührst den Kaffee bald wieder heiß“, kam Nathalie die Marmortreppe heruntergelaufen. Sie trug ein weißes Kleid mit bunten Blumen, ihr dunkles langes Haar war zu einem schweren Pferdeschwanz zurückgebunden mit einer weißen Schleife, wodurch sie kindlich und weiblich zugleich aussah. Ihre großen strahlenden dunklen Augen blickten ihn an und bohrten sich, wie so oft mit einem Stich in sein Herz.

      »Glaubst du das geht?«, fragte er matt lächelnd.

      »Ich weiß nicht, aber wenn du dir lange genug Zeit lässt, bestimmt“, lachte sie nur und verließ gefolgt von ihrer Mutter das Haus.

      Endlich nahm er den Löffel aus der Tasse und legte ihn beiseite.

      Wieder und wieder ging er alles durch, was er in seinem Leben bisher getan hatte. Er kam zu dem Ergebnis, dass er alle Eigenschaften in sich barg, die ihn nun im hohen Alter, wohlbehütet in einer wunderbaren Familie, schmerzlich berührten. Er war nicht nur korrupt, er war eiskalt berechnend. Wie war so was möglich?

      Er war niemals in finanziellen Schwierigkeiten, und doch war er vom Ehrgeiz getrieben. Er war bereit, alles zu tun, um diesen hochdotierten Posten im Ministerium für Rechtspflege zu bekommen, was ihm letztlich auch gelang. Aber zufrieden war er wohl niemals. Dabei hätte alles so einfach sein können.

      »Warum redest du nicht mit mir über dein Problem?«, stand seine Frau plötzlich neben ihm. Er hatte gar nicht bemerkt, dass sie ins Zimmer gekommen war. Erschreckt schaute er zu ihr auf und wehrte wortlos ab.

      »Bist du krank? Oder was ist mit dir los? Du kannst doch nicht plötzlich über Nacht Probleme bekommen haben, von denen du vorher nichts wusstest“, meinte sie nur ratlos.

      Seine Frau war liebevoll, immer schon für die Familie da.

      Sie hatte nie einen Beruf erlernt und doch war sie in einigen Frauenbewegungen engagiert, ohne dabei ihre Pflichten innerhalb der Familie zu vernachlässigen. Sie war klug, sie registrierte alles, was sich in der Familie ereignet mit Schweigen und vergaß es niemals. Auch seine plötzliche Beförderung von vor 14 Jahren verwunderte sie, aber sie äußerte sich niemals. Sie löcherte ihn auch nie mit Fragen, was ihm schon immer angenehm war. Aber manchmal glaubte er, dass sie weit mehr wusste, als er ahnte.

      Er dachte einmal, er habe sie aus Liebe geheiratet, doch das war es nicht. Wenn er es sich recht überlegte, war es nur das Anlehnungsbedürfnis, geliebt hatte er eine andere, die er nie bekam. Die Liebe kam nur von seiner Frau, die sich aber niemals darüber beklagte. Sie akzeptierte ihn, so wie sie ihn kannte und verlangte auch niemals mehr von ihm. Auf diese Weise verlief ihre Ehe auch harmonisch. Eigentlich hatte er keinen Grund, sich zu beklagen, oder sein Schicksal anzuzweifeln. Und doch ließ es ihn niemals in Ruhe.

      »Ob es ein Problem ist, weiß ich noch nicht, das wird sich noch herausstellen.«

      Mit diesen Worten verließ er das Haus.

      *

      Stockend fuhr er durch den dichten Berufsverkehr. Es war Montag und es regnete, das waren die zwei schlimmsten Faktoren im Leben eines jeden arbeitenden Menschen. Auf den Straßen konnte man das am besten feststellen, denn jeder hupte hitzig, blendete auf oder riskierte einen Unfall durch unnötige Überholmanöver, die höchstens zwei Autolängen einbrachten. Kullmann blieb ruhig. Er hatte schlecht geschlafen und war noch müde. Ihm fehlte jegliche Energie, sich an diesem Treiben auf der Straße zu beteiligen, sein Kampf galt nur den Augenlidern, dass sie ihm nicht zufallen würden. Die ganze Nacht gingen ihm zwei Menschen durch den Kopf: Marita Volz und Anke Deister. Einmal fragte er sich, was Marita wohl in den letzten Stunden ihres Lebens empfunden haben muss, wie sie diese Ungerechtigkeit ertragen haben muss, die ihr angetan wurde. Und ein andermal überlegte er, wie weit wohl die Freundschaft zwischen Anke Deister und Andreas Hübner ging. Er machte sich ernste Sorgen um Anke. Sie wirkte, seit sie den Fall von Marita ausgegraben hatte, selbst so zerbrechlich, so hilfebedürftig.

      Hübner konnte er bestimmt nicht das Einfühlungsvermögen

      zutrauen, das Anke jetzt wohl brauchte. Hoffentlich nutzte er ihren schwachen Moment nicht für seine eigenen Vorteile aus. Ach, diese Gedanken wollten ihn einfach nicht in Ruhe lassen. Vielleicht waren seine Bedenken auch zu voreilig, er musste erst einmal abwarten. Und wenn es doch so schlimm wäre, wie er sich ausmalte, ließ Anke sich bestimmt nicht von einem betagten Mann wie ihm helfen. Sie würde ihn, wie er es schon von vielen anderen gehört hatte in seinem Leben, an seine eigenen Angelegenheiten erinnern.

      Ein Autofahrer hinter ihm hupte ohrenbetäubend, wodurch er aus seinen Gedanken gerissen wurde. Tatsächlich, er hatte ganz vergessen, weiterzufahren, als die Schlange sich weiterbewegte. Hastig legte er einen Gang ein und holte die Lücke wieder auf.

      Nach einer Dreiviertelstunde Autofahrt kam er endlich auf seiner Dienststelle an. Das Büro von Anke war noch leer. Das von Hübner ebenfalls. Gerade begann sein Gehirn wieder zu arbeiten, ob es da einen Zusammenhang gab, doch im gleichen Augenblick verbot er sich jeden Gedanken darüber. Zielstrebig ging er in Ankes Büro, wo die abteilungseigene Kaffeemaschine stand, und stellte Kaffee auf, damit er endlich munterer wurde.

      Als er sein Büro betrat, lag dort eine ganz dicke Akte über der Überschrift: Josef Klos, geb. 6.1.1921, verstorben am 25.4.1976.

      Augenblicklich war er hellwach. Neugierig begann er in der Akte zu blättern und fand als erstes ein Foto von der Leiche, die 2 Tage nach dem Mord im Wald aufgefunden wurde. Dem Anschein nach wurde ihm beim Waldlauf aufgelauert und auf ihn geschossen.

      Er hatte zwei Einschüsse am Hals und in der Brust. Nach dem Autopsie-Bericht war der Tod erst mehrere Stunden später eingetreten. Es gab mehrere Verdächtige, die verhört wurden, aber es konnte niemand überführt werden. Unter ihnen tauchten Namen auf, die Kullmann bekannt waren. So zum Beispiel Walter Gaus, der Strafverteidiger von Marita Volz. Zu seinem Erstaunen hatte Gaus zu diesem Zeitpunkt nicht mehr die kleine unbedeutende Kanzlei, sondern hatte sich innerhalb kurzer Zeit gut etabliert. Er war Teilhaber an einer der größten Kanzleien in der Stadt. Dieser Aufstieg kam bei den Ermittlungen den Kollegen verdächtig vor, so dass er mehrere Male vorgeladen wurde. Er hatte allerdings ein Alibi, und es gab auch keine Anhaltspunkte, dass der Tod von Josef Klos ihm einen Vorteil verschafft hätte. Der Leiter der Mordkommission war der Hauptkommissar Peter Balduin, der den Verdächtigen dann auch bald wieder entließ. Kullmann erinnerte sich wieder, dass Walter Gaus vor einigen Jahren an einem Herzinfarkt gestorben war. Die Zeitungen schrieben nämlich einen großen Bericht über ihn und sein Leben. Er war diesen großen Artikel wert, denn er hatte sich im Laufe der Zeit zu einem der bekanntesten und teuersten Anwälte der Stadt heraufgearbeitet. Hauptkommissar Balduin war wenige Jahre nach diesen Ermittlungen zum Amtsleiter des Kriminalamtes befördert worden. Aber auch das lag schon mehrere Jahre zurück. Balduin war seit Januar 1987 ein gut situierter Pensionär. Kullmann erinnerte sich noch so genau, weil sein Abtritt überraschend kam und im Landeskriminalamt gebührend gefeiert wurde. Nun bewohnte er mit seiner Frau ein schmuckes Häuschen im Stadtteil Bübingen und genoss seinen Lebensabend.

      Die Tür zum Korridor ging auf und Hübner und Anke Deister kamen plaudernd herein. Als sie sahen, dass Kullmann bereits in seinem Büro war, wurden sie still und jeder verschwand in seinem Büro. Das war mehr als eindeutig, dachte Kullmann, wieder schlagartig in die Gegenwart zurückgeholt.

      »Guten Morgen, Chef. Sie haben ja schon Kaffee aufgestellt«, kam Anke munter in sein Büro und schenkte ihm ein. Sie wirkte so fröhlich und ausgelassen an diesem Morgen, was Kullmann