Название | DER ABGRUND JENSEITS DES TODES |
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Автор произведения | Eberhard Weidner |
Жанр | Языкознание |
Серия | Anja Spangenberg |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783750214309 |
»Wir sind noch nicht geschieden, da wir uns erst vor einem halben Jahr getrennt haben«, korrigierte sie Krieger automatisch, sobald sie sich von ihrer Überraschung erholt hatte. Sie widerstand allerdings der Versuchung, sich dafür zu rechtfertigen, dass sie Fabian verlassen hatte. Schließlich war nicht sie am Scheitern ihrer Ehe schuld gewesen, sondern einzig und allein Fabian. Sie hatte also keinen Grund, sich zu entschuldigen. »Aber du hast natürlich recht, Krieger. Fabian arbeitet ebenfalls dort.«
»So wie unzählige andere auch«, schränkte Englmair ein.
Das Klinikum Großhadern gehört zum Klinikum der Universität München, zu dem es mit dem Klinikum Innenstadt 1999 fusioniert ist. Gemeinsam bilden sie eine der größten Kliniken Deutschlands. Das Klinikum Großhadern verfügt über 1.200 Betten. Es ist damit der größte zusammenhängende Krankenhauskomplex Münchens. Entsprechend groß ist die Zahl der Ärzte, des Pflegepersonals und der übrigen Beschäftigten.
»Kannte er die Frau?« Krieger wirkte auf Anja wie eine Alligatorschildkröte. Er konnte einfach nicht mehr loslassen, sobald er sich in ein Thema verbissen hatte.
»Verdächtigst du etwa Fabian, Nadine Weinhart ermordet zu haben?«, fragte sie verblüfft. »Warum? Nur weil er im selben Klinikum arbeitet, in dem auch Nadine tätig war? Das ist doch lächerlich!« Obwohl Anja aufgrund dessen, was Fabian ihr angetan hatte, nicht vorhatte, ihn zu verteidigen, konnte sie dennoch nicht glauben, dass er dazu fähig sein sollte, einer Frau etwas Derartiges anzutun. Außerdem war er Arzt. Er hatte einen Eid geschworen, Menschen zu helfen. Und obwohl er sie jahrelang betrogen und hinters Licht geführt hatte, glaubte sie nicht, dass sie sich so in ihm getäuscht haben konnte.
Englmair sah seinen Kollegen fragend an, als wäre er ebenfalls gespannt, worauf dieser hinauswollte.
»Momentan verdächtige ich noch gar niemanden«, entgegnete Krieger, als hätte er eingesehen, dass er zu weit gegangen war. »Ich habe nur gefragt, ob dein Mann sie kannte. Immerhin waren sie im selben Klinikum tätig. Kann ja sein, dass er uns etwas über sie oder diesen mysteriösen Johannes erzählen kann.«
Anja zuckte mit den Schultern. »Da musst du ihn schon selbst fragen, wenn du ihn triffst. Ich habe ihn schon seit Monaten nicht mehr gesehen, worüber ich ehrlich gesagt heilfroh bin, und ihn daher auch nicht nach Nadine gefragt. Dazu hatte ich im Übrigen auch keinerlei Veranlassung. Denn soweit ich weiß, waren sie in unterschiedlichen Abteilungen tätig. Ich habe alle unmittelbaren Kolleginnen und Kollegen von Nadine befragt, und dabei wurde sein Name kein einziges Mal erwähnt. Es kann natürlich sein, dass sie sich vom Sehen kannten. Aber selbst wenn das der Fall gewesen sein sollte, glaube ich nicht, dass Fabian etwas über diesen Johannes weiß, wenn nicht einmal Nadines beste Freundin mehr als seinen Namen kennt.« Anja wandte den Kopf und sah Englmair an. »Gibt es sonst noch etwas, das ihr über Nadine Weinhart wissen wollt. Es wird nämlich Zeit, dass ich ins Büro komme und anfange, meine zahlreichen anderen Fälle zu bearbeiten.«
»Kannst du uns sonst vielleicht noch etwas sagen, das uns dabei hilft, ihren Mörder zu finden?«, fragte Englmair.
Sie überlegte kurz und schüttelte dann den Kopf. »Ich hatte schon nichts Greifbares in der Hand, um in den letzten drei Monaten herauszufinden, warum und wohin sie verschwunden ist. Woher soll ich also etwas wissen, was euch zu ihrem Mörder führt?«
»Hätte ja sein können«, sagte Englmair und seufzte. »Schließlich stirbt die Hoffnung zuletzt.«
Anja nickte zustimmend. Sie beneidete die beiden nicht um ihre Aufgabe. Sofern die Kriminaltechnik und der Gerichtsmediziner nichts fanden, das einen Hinweis auf den Täter gab oder dabei half, den Kreis der Verdächtigen einzugrenzen, würde es schwer werden, ihm auf die Schliche zu kommen.
Sie warf – als würden ihre Augen magnetisch davon angezogen – einen Blick auf den Leichnam. Aufgrund des Lakens konnte sie nur die Konturen erkennen. Allerdings genügte das, um zu sehen, wie abgemagert die tote Frau war.
Sie stellte sich vor, welche Qualen Nadine Weinhart vor ihrem Tod hatte erdulden müssen. Die Kopfschmerzen, die ihr der Tumor bereitete, dazu die Übelkeit. Und dann auch noch der ständige Hunger, weil ihr der Täter, aus welchem Grund auch immer, nahezu jegliche Nahrung vorenthalten hatte. Denn anders wäre es nicht möglich gewesen, dass sie in drei Monaten so viel Gewicht verloren hatte.
Sie wandte den Blick ab und seufzte schwer.
Sekunden später verließen die drei Kriminalbeamten den Sezierraum.
Anja war froh, diesen ungastlichen Ort endlich hinter sich lassen zu können. In ihrer Vorstellung wirkte er düsterer und unheilvoller, als er es in Wirklichkeit war. Sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, in diesem Gebäude zu arbeiten und jeden Tag hierherzukommen. Aber andere Leute hatten eben nicht die gleichen Probleme mit den Toten wie sie.
Vor dem Gebäude atmete sie tief die frische Luft ein. Sie fühlte sich, als wäre ihr eine schwere Last von den Schultern genommen worden. So ähnlich musste man sich fühlen, wenn man nach Jahrzehnten aus dem Gefängnis entlassen wurde.
Krieger und Englmair verabschiedeten sich von Anja. Krieger erinnerte sie in gewohnt unfreundlicher Art noch einmal an Nadine Weinharts Akte. Dann marschierten die beiden Kollegen zu ihrem Dienstwagen, den sie neben dem Institut im Halteverbot abgestellt hatten. Anja machte sich währenddessen auf den Weg zu ihrem eigenen Auto.
VII
Sie fuhr direkt zu ihrer Dienststelle. Normalerweise hätte sie jetzt die traurige und schwere Aufgabe gehabt, Nadines Mutter vom Tod ihrer Tochter zu unterrichten. Aber da Nadine allem Anschein nach das Opfer eines Gewaltverbrechens geworden war, mussten die siamesischen Zwillinge das übernehmen. Auch darum beneidete sie die Mordermittler nicht.
Während der Fahrt hatte sie ständig das Bild der toten Frau vor Augen, sosehr sie sich auch bemühte, es zu verdrängen. Doch es schien sich in ihren Verstand eingeätzt zu haben. So wie der Anblick einer anderen Leiche vor vielen Jahren, den Anja bis heute nicht losgeworden war und der sie bis in ihre schlimmsten Albträume verfolgte.
Sie schüttelte den Kopf, denn das war ein Gedankengang, den sie partout nicht bis zu seinem schrecklichen Ende weiterverfolgen wollte. Nicht jetzt jedenfalls, wo es so viel anderes gab, über das sie nachdenken musste. Stattdessen konzentrierte sie sich auf die Details im Fall von Nadine Weinhart, der über Nacht von einem Vermissten- zu einem Mordfall geworden war.
Krieger hatte völlig recht. Es war nicht mehr ihr Fall. Eigentlich könnte sie alles, was damit zusammenhing, guten Gewissens in ihren geistigen Aktenvernichter stecken und vergessen. So wie sie später auch die Akte an die Kollegen von der Mordkommission übergeben würde, nachdem sie den Vermisstenfall aufgrund des Todes der Vermissten für erledigt erklärt hatte. Erst dann wäre er für sie offiziell abgeschlossen. Dennoch konnte sie ihre Gedanken nicht daran hindern, sich mit den skurrilen Aspekten des Falles zu beschäftigen. Und es war immer noch besser, über derartige Dinge nachzudenken, als ständig das Bild der abgemagerten, von dunklen Beulen übersäten Leiche vor Augen zu haben.
Was Anja dabei am meisten zu schaffen machte, war der Umstand, dass Nadine nach Aussage des Rechtsmediziners vor weniger als zwölf Stunden gestorben war. Die Person, die sie aller Voraussicht nach entführt und drei Monate lang gefangen gehalten hatte, hatte sie aus Gründen, die sie nicht kannten, die ganze Zeit über am Leben erhalten. Allerdings hatte sie ihr kaum zu essen, sondern nur zu trinken gegeben, damit sie so stark abmagerte.
Warum?
Seitdem sie wusste, dass es sich bei dem Opfer tatsächlich um die vermisste Nadine Weinhart handelte, hatte Anja das Gefühl, versagt und die Frau im Stich gelassen zu haben. Wäre sie schon unmittelbar oder kurze Zeit nach ihrer Entführung gestorben, hätte Anja es ohnehin nicht verhindern können. Aber stattdessen hatte der Täter sie drei lange Monate in seiner Gewalt gehabt und gequält. Das war mehr als genug Zeit, um eine vermisste Person aufzuspüren. Gleichwohl hatte sie sie nicht geschafft.
Anja versuchte sich mit dem Gedanken