Die flüsternde Mauer. Manuela Tietsch

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Название Die flüsternde Mauer
Автор произведения Manuela Tietsch
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783753195094



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nichts geschehen, doch zu meyner Sicherheyt, sollet ihr ihn erst wieder zurückerhalten, wenn ich sicher seyn könnt, dass ihr mir keynen Schaden mehr antun wollet!“

      „Euch Schaden? Askwin, ich wollt doch ganz anderes von euch, das wisset ihr doch?“ Sie trat noch näher, dass er ihren kalten Atem an seinem Hals spürte und strich mit ihrem Daumen, dessen Fingernagel beinahe halb so lang war wie der Daumen selber, unter seinem Kinn entlang. Er fragte sich in diesem Augenblick, weshalb ihr Atem kalt war und nicht heiß, wie er hätte sein müssen.

      Ein kalter Schauer überlief seinen Rücken und seine Hände wurden eiskalt. Und wenn sie noch so schön war, einen noch so anziehenden Körper besaß, er würde ihren Reizen nicht erliegen. Er schüttelte erneut den Kopf.

      Ihre Gesichtszüge, die bis eben noch schmeichelnd, freundlich gewesen waren, veränderten sich schlagartig. Ein gefährlich drohender Ausdruck erschien in ihren Augen. Ihre Lippen verzogen sich zu einem dünnen Strich. Sie hob drohend den Arm und spreizte ihre Finger.

      Die Tür zur Halle öffnete sich, Farald und seine Mutter traten in den dunklen Gang. Farald hielt die Fackel nach vorne, um seiner Mutter zu leuchten. Askwin überfiel Angst. Wenn Sarwiga ihnen etwas antun würde, er würde es nicht ertragen. Doch er versuchte seiner Gefühle wieder Herr zu werden, so schnell wie sie gekommen waren, damit Sarwiga ihn nicht durchschaute.

      Sarwiga war einen winzigen Augenblick verwirrt, doch sie fing sich schnell wieder. Sie sah zu den beiden, dann wieder zu ihm, und ein gemeines Grinsen überzog ihre Lippen.

      „Glaubet ihr gar, die beyden könnten euch helfen?“ Sie lachte auf.

      Askwin schaute zu seiner Mutter und seinem Bruder, die inzwischen beinahe bei ihnen angekommen waren. Farald lächelte und fragte nach: „Askwin?“

      Sarwiga wandte sich wieder um. Sie hob beide Arme und spreizte die Finger der linken Hand, während sie die rechte zur Faust ballte, als hielte sie etwas darin. Sie wischte in der Luft herum, wedelte mit den Armen umher.

      Ihm wurde schlecht. Er sah wie sein Bruder und seine Mutter die Augen kurz verdrehten und daraufhin die Lider schlossen, ehe sie nebeneinander auf den Boden fielen. Was hatte Sarwiga ihnen angetan? Er versuchte an ihre Kehle zu kommen. Er würde sie mit seinen bloßen Händen erwürgen! Plötzlich musste er innehalten. Seine Hände und seine Arme, sein ganzer Körper gehorchten ihm nicht mehr. Erschrocken sah er in Sarwigas gehässiges Gesicht.

      „So du nicht tuest, was ich wollt, wirst du fühlen, was es heißt, Sarwiga zu trotzen!“ Sie spreizte die Finger beider Hände erneut, soviel nahm er noch wahr, unfähig zu einer einzigen Bewegung. Am Boden lagen Farald und seine Mutter. Sein Herz klopfte heftig.

      „Du wirst slafen, solange ich es wollt! Und du wirst slafen unter den Augen derer Menschen, die dir wichtig seyn und denen du wichtig seyst! Doch glaub mir, meyn Guter, niemand wird dich gar sehen, noch erretten können, soviel der Liebe gäb es gar nicht!“ Sie kreischte ohrenbetäubend. Ihm wurde schwarz vor Augen, doch seltsamerweise spürte er trotzdem, was sie ihm antat. Er spürte jeden Stein, der sich um ihn festigte, als würde er damit beworfen werden. Trotzdem brachte er nicht einen einzigen Schreckensschrei über die Lippen. Die Einsamkeit umfing ihn.

      Allein im Dunkel

      Ein eisiger Lufthauch zog durch die Dunkelheit. Ich umarmte mich zitternd, trotzdem wurde mir nicht wärmer. Ich musste mich in einem Keller befinden oder in einem geheimen Gang? Völlige Finsternis, ich konnte nichts erkennen, nicht einen winzigen Lichtstrahl. Die Luft roch – und schmeckte muffig, abgestanden. Ich brauchte die Pilze, Sporen und Keime nicht zu sehen, um zu wissen, dass sie da waren. Selbst der Fußboden war glitschig feucht und stank. In diesem Raum hatte sich sicher seit Jahrhunderten kein menschliches Wesen mehr aufgehalten. Ich befühlte die Beule an meinem Kopf.

      Der Sturz war heftig und die Landung noch mehr. Wie lange war ich wohl bewusstlos gewesen? Das Zeitgefühl war wie weggeflogen.Verdammmt, warum hatte ich mein Handy im Zelt gelassen? Meine Knochen taten weh, morgen hatte ich sicher überall blaue Flecken. Vermutlich hatte ich sie auch jetzt schon? Ich legte den Kopf in den Nacken, oben müsste doch die Öffnung zu sehen sein, durch die ich gefallen war? Nichts, nur Dunkelheit und Stille. Unheimliche Stille. Ich streckte die Arme aus und tastete suchend nach meinem Rucksack, er lag neben mir. Schritt für Schritt ging ich weiter vorwärts. Da stieß ich schon an eine Mauer. Meinen Ekel vor dem Unüberschaubaren überwindend tastete ich mich weiter an der Wand entlang bis zu einer Ecke. Und zur nächsten. Langsam ging es weiter, eins, zwei, drei, vier und beinahe fünf Schritte. Also etwa vier Meter, denn meine Schritte waren nicht ganz einen Meter lang. Weiter und wieder zählen. Eins, zwei, drei, vier. Ein viereckiger Raum, etwa vier Meter auf jeder Seite. Zur Sicherheit ging ich auch noch die nächste Wand entlang bis zur Ecke und weiter. Plötzlich war die Wand weg, ich stürzte beinahe nach vorn ins Leere, fing mich, hielt inne und atmete tief ein und aus. Das konnte nur bedeuten, dass hier ein Gang war und er weiter führte. Der Raum war also nur Teil oder Abschluss eines Ganges. Ich kniete mich vorsichtig auf den glitschigen Boden und tastete den Türbogen ab. Tatsächlich eine Tür. Und es gab auch einen Boden auf der anderen Seite, ich würde nicht in die dunkle Tiefe stürzen. Auf den Knien rutschte ich weiter, die Arme und Hände nach vorn gerichtet, eine auf dem Boden entlangtastend, die andere nach vorn ausgestreckt. Noch langsamer als zuvor kroch ich auf dem Boden vorwärts, zwischendurch fasste ich mit einer Hand die Wand an, die andere blieb am Boden. Die Zeit war nicht einzuschätzen. Schließlich gelangte ich an das Ende des Ganges. Meine Hand tastete ins Leere. Ich folgte der Wand um die Ecke und weiter bis zur nächsten. Es musste sich um einen weiteren Raum handeln, so groß wie der andere. Ich kroch weiter im Viereck, bis ich zum Eingang des Ganges zurückkam.

      Also zwei Räume etwa vier mal vier Meter, verbunden durch einen beinahe zehn Meter langen Gang. Wie eigenartig. Handelte es sich um einen vergessenen oder unbenutzten Flur der Burg? Allmählich drang die Erkenntnis durch: Es gab keine Tür! Ich war gefangen. Niemand hatte gesehen, wie ich die runde Holzscheibe in die Wand gedrückt und sich die Tür darin geöffnet hatte, geschweige, dass ich dahinter verschwunden war. Niemand würde mich hier suchen. Wusste denn jemand von diesem Gang, der geheimen Tür und dem geheimnisvollen Scheibenschlüssel aus Holz?

      Ich musste an den Augenblick denken, als ich ihn vor vielen Jahren gefunden hatte. Nur weil ich näher an die Wand getreten war, um das Flüstern deutlicher zu hören und um wahrzunehmen, woher es kam, war ich an die Holzbank gestoßen, und nur deshalb war der Schlüssel aus seinem Versteck gefallen. Hätte ich ihn bloß niemals eingesteckt! Ich hatte ihn viele Jahre als meinen geheimen Schatz behalten und nie jemandem davon erzählt! Es wäre wohl doch besser gewesen, ich hätte ihn schon damals, als ich ihn gefunden hatte, zurück an die Burgbesitzer gegeben!

      Hatte ich womöglich mit meinem ausgeprägten Erkundungssinn und meiner Neugier etwas entdeckt, was seit Jahrhunderten niemand mehr betreten hatte? Mir war, als greife eine eisige Hand nach mir. Ich setzte mich trotz des Ekels an die Wand neben dem Gang und versuchte mich zu beruhigen. Im Kopf ging ich den Weg nach, den ich durch die Burg gelaufen war und mit einem Mal kam die Erinnerung zurück. Ich musste an meinen ersten Besuch auf der Burg denken, als meine Mutter, mein Vater und mein Bruder noch glücklich und lebendig waren. Auch damals war ich unbefangen durch die Gänge und Flure gelaufen. Ich hatte damals wie heute, wie jedes Mal, wenn ich hier zur Burg kam, alles gierig aufgesogen. Nur leider hatte ich dabei vergessen, mich nach geheimen Gängen zu erkundigen!

      Zuerst die große Halle, dann den kleinen Gang entlang und nach rechts in den breiteren. Er hatte einen Knick gemacht und war, wenn ich meinem Ortssinn trauen durfte, beinahe wieder zurück in Richtung Halle verlaufen. Also müsste auch dieser Gang noch nahe der Halle sein. Jäh fiel mir auf, was ich längst hätte bemerken müssen, doch ich hatte es völlig verdrängt. Als ich damals die Scheibe gefunden hatte, lag diese bei der Geheimtür. Nur wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch nichts von einer geheimen Tür, oder davon, dass dieses Holzstück mit den geheimnisvollen Zeichen darauf und dem eingefassten Stein darin ein Schlüssel dafür war.

      Wenn ich gegen die Wand schlug und laut rief, vielleicht hörte mich jemand mit guten Ohren? Mir war ganz mulmig zumute. Und wenn ich viel länger ohnmächtig dort gelegen hatte?