Название | Jenseits der Zeit - Historischer Mystery-Thriller |
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Автор произведения | Michael Vahlenkamp |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783753180083 |
Sie gingen wieder ein paar Schritte und näherten sich gleichzeitig der Straßenmitte. Dort blieben sie kurz stehen, um eine junge Mutter vorbei zu lassen, die einen Kinderwagen in beinahe gefährlichem Tempo vor sich herschob, und bummelten dann weiter.
Welche Geräusche man wohl damals gehört hatte? Da es keine Autos gab, war es vermutlich völlig still, vor allem, da es ja Abend war. Genau: Es war natürlich dunkel, als der Erzähler das Erlebnis hier hatte.
Und dann wurde es schlagartig dunkel.
1788
Ein lautes Knurren seines Magens holte Jacob in die reale Welt zurück. In seiner Leibesmitte rumpelte es so sehr, dass er es nicht länger ignorieren konnte. Er blinzelte, richtete sich auf und spürte einen Schmerz zwischen den Schulterblättern. Sein Körper verlangte Genugtuung für das lange vornübergebeugte Sitzen. Er kreiste mit den Schultern und ließ die Feder aus seiner linken Hand auf den Tisch gleiten. In den Fingern, mit denen er sie gehalten hatte, hinterließ sie tiefe Einkerbungen. Wie er wusste, waren diese erst nach mehreren Stunden ganz wieder verschwunden.
Jacob streckte sich und sah durch das kleine Fenster, dass es draußen dunkel wurde. Wie sehr oft hatte er beim Schreiben die Zeit vergessen, war so tief in seine Geschichte eingetaucht, dass die Wirklichkeit um ihn herum in den Hintergrund getreten war. Er steckte den Holzstopfen ins Tintenfässchen und erhob sich, um sich etwas Essbares zu suchen.
In der Küche fand er einen Kanten Brot und ein Stück Schinken. Herold, der wahrscheinlich noch in der Mühle arbeitete, hatte ihm wie immer etwas übrig gelassen. Mit dem zwar scharfen aber viel zu kleinen Messer schnitt er umständlich ein paar Scheiben von dem Fleisch ab. Dabei fiel ihm ein, dass es heute, trotz des Verbots, eine Tanzveranstaltung in der Stadt geben sollte. Vermutlich war die bereits in vollem Gange.
Er schlang das Brot und den Schinken herunter, holte seinen guten Rock und eilte aus dem Haus. Hoffentlich hatte er nicht schon zu viel verpasst.
Im Halbdunkel rannte er durch die Wiesen, den Weg konnte er noch gut erkennen. Am Himmel erschienen die ersten Sterne. Es war klar und musste fast Vollmond sein. Für den Rückweg konnte er auf eine helle Nacht hoffen. Schon lief er an den nördlichsten Häusern vom Bürgerfelde vorbei. Er musste sich beeilen: Wenn es beim Eintreffen ganz dunkel sein sollte, würde er für den Durchgang durch das Stadttor bezahlen müssen.
Kurze Zeit später kam das Heiligengeisttor in Sicht. Zum Glück waren die Gitter noch geöffnet. Doch bevor er die letzten Schritte hindurch machen konnte, fiel Jacob eine Menschenansammlung in Richtung Haarentor unmittelbar vor dem Knick des Stadtgrabens auf. Er blieb stehen und versuchte zu erkennen, was da vor sich ging. Mindestens zwanzig Menschen standen dort zusammen, viele von ihnen hielten eine Laterne hoch. Ein Mann schritt an ihm vorbei, auf die Menge zu.
»Was ist denn da los?«, rief Jacob ihm nach.
Der Mann drehte sich im Gehen kurz um.
»Schon wieder eine Leiche im Graben«, antwortete er knapp und eilte weiter.
Jacob wich unwillkürlich einen Schritt zurück. Schon wieder! Das musste der Dritte innerhalb weniger Wochen sein, der auf diese Weise um sein Leben kam. Ein Schauer prickelte seinen Rücken entlang.
Unschlüssig schaute er zum Stadttor. Jeden Moment würden die Wachen es schließen, ungewöhnlich, dass sie es noch nicht getan hatten. Das war die letzte Gelegenheit, ohne Bezahlung in die Stadt zu gelangen. Doch die Möglichkeit einen Toten zu sehen, übte eine gruselige Anziehungskraft auf ihn aus. Man erzählte sich, dass die anderen Leichen grauenhaft und widerlich ausgesehen hatten, dass sie seit mehreren Tagen im Stadtgraben gelegen haben mussten. Einigen sollte von ihrem Anblick übel geworden sein, und es sollte sich sogar jemand übergeben haben.
Aber ihm würde schon nicht schlecht werden. Dazu gehörte ganz sicher mehr als eine Wasserleiche. Und wer wusste, wann er solch ein Erlebnis noch mal würde haben können. Als echter Schriftsteller musste er so viele Erfahrungen sammeln, wie er konnte. Er straffte seinen Körper und marschierte auf die Menschenmenge zu.
Bei ihr angekommen, drängelte er sich mithilfe der Ellenbogen durch die überwiegend größeren Männer nach vorne. Einige Beschimpfungen handelte er sich damit ein, aber so etwas konnte er gut ignorieren.
Als er endlich freien Blick auf das Geschehen hatte, sah er, dass man noch dabei war, die Leiche aus dem Graben herauszuziehen. Die drei Kerle, die sich damit abmühten, kannte Jacob vom Sehen: Sie waren Männer des Vogts. Der Vogt selbst stand einige Meter vor den Schaulustigen am oberen Grabenrand, hochgewachsen und mit vorgestreckter Brust, und beobachtete das Geschehen genauso wortlos wie alle anderen Anwesenden. Direkt neben ihm beugte sich ein weiterer Mann so weit über die Grabenkante, dass Jacob befürchtete, er würde jeden Moment die Böschung herunterkugeln und der Leiche im Wasser Gesellschaft leisten. Er war enorm dick, hatte eine Vollglatze und einen langen Bart, den im unteren Drittel ein Bindfaden zusammenhielt. Jacob wusste, dass das der Bader war. Auf halber Höhe zum Graben stand noch ein Mann, der mit einer Laterne die Bergungsaktion beleuchtete.
Die Kerle im Graben hatten wahrlich keine leichte Aufgabe. Einer von ihnen war klitschnass, die Haare klebten ihm am Kopf. Die Kleidung der anderen beiden war mit Matsch beschmutzt. Immer wieder sanken sie mit ihren Stiefeln in das durchweichte Ufer ein, während sie keuchend und stöhnend versuchten, das dunkle, unförmige Etwas aus dem Wasser zu ziehen. Einen Schritt machten sie hoch und zwei zurück nach unten.
Erst jetzt fielen Jacob zwei weitere Männer auf, die offiziell aussahen. Sie standen neben der Menge, nur ein Schritt trennte sie davon. Dennoch war offensichtlich, dass sie nicht zu ihr gehörten.
»Wer sind die denn?«, fragte Jacob den Mann an seiner Seite, mit dem Kopf zu den beiden weisend.
»Die sind vom Magistrat zur Beobachtung herbeordert. Wenn der Magistrat schon nicht direkt tätig werden darf, so will er wohl wenigstens über alles gut informiert sein«, gab der Mann zur Antwort und lachte dabei glucksend auf.
Der Kerl schien gut Bescheid zu wissen.
»Wieso darf der Magistrat nicht tätig werden? Wie kam es denn zu dieser Entscheidung?«
Der Mann sah Jacob kurz an, als würde er sich bei der Beobachtung des Schauspiels gestört fühlen, ließ sich aber doch zu einer Antwort herab.
»Als die erste Leiche von einem Knaben entdeckt wurde, verständigte dieser zuerst den Vogt. Da der Junge außerhalb der Stadtmauern wohnte, war es für ihn wahrscheinlich auch selbstverständlich. Der Vogt begann also mit seiner Arbeit. Aber dann bekamen die Amtsmänner der Stadt Wind von der Sache. Daraus entwickelte sich ein Streit über die Zuständigkeiten.«
»Hm, aber wenn sich die Leiche nicht innerhalb der Stadtmauern befand, sondern in der Hausvogtei, dann war doch der Vogt dafür zuständig.«
»Dieser Meinung war der Vogt auch. Doch der Magistrat behauptete, dass der Stadtgraben - ob er nun außerhalb oder innerhalb der Stadtmauern liegt - zur Stadt gehöre. Das sei schon am Namen erkennbar, da er ja nicht Hausvogteigraben heiße.«
Der Mann zwinkerte Jacob zu. Jener musste grinsen, dieses Wortspiel gefiel ihm natürlich und nahm ihn fast für die Position des Magistrats ein.
»Schließlich wurde im Schloss entschieden, an höchster Stelle«, fuhr der Mann fort. »Aus praktischen Gründen beließ man die Angelegenheit beim Vogt, da er bereits damit begonnen hatte.«
Der Mann zuckte mit den Schultern und Jacob nickte verstehend.
Unten im Graben war von einem Fortschritt nichts zu erkennen.
»Versucht es weiter dort«, rief der Vogt hinunter und deutete in die Richtung des Stadttors.
Die