Название | Die Schule |
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Автор произведения | Leon Grüne |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783754170724 |
All das wurde Davids Mutter zu viel, ihr wurden die psychischen Probleme ihres Mannes langsam lästig. Deswegen suchte sie sich heimlich einen weniger bemitleidenswerten Mann, der sich um sie kümmern würde und nicht andersrum. Einige Zeit lang ging es gut, und sie wechselte ihre Liebhaber ebenso häufig wie ihre Socken. Aber eines Tages wurde sie unvorsichtig und plante ihre Treffen nicht mehr mit solch einer Sorgfalt, wie sie es hätte tun sollen.
So kam es, wie es kommen musste. Vor drei Jahren, als sie sich grade mit einem Immobilienmakler namens Ray vergnügt hatte, kehrte David von seinem Basketballspiel eine halbe Stunde früher zurück als erwartet. Er hatte die Tür aufgemacht und direkt das Stöhnen seiner Mutter aus dem Wohnzimmer vernommen.
„Sag es Baby“, hörte er eine fremde Männerstimme sagen.
„Oh mein Gott Ray, du Hengst“, stöhnte seine Mom erwidernd. Auf Rays Gesicht zeichnete sich ein fettes Grinsen ab. Seine gräulichen Haare hingen ihm vor den Augen und klebten an seiner Stirn fest. David, der alles gehört hatte, kauerte sich auf dem Boden zusammen und begann zu weinen. Seine Mutter stöhnte ein weiteres Mal. Er war nicht traurig. Er war wütend. Wütend auf seine Mutter, die seinen Vater in diesem Moment betrog, auf Ray, der seine Mutter wie eine billige Straßenhure behandelte und am meisten auf Mrs. Dalton. Warum musste sich die alte Schachtel auch ausgerechnet auf die Straße stellen? Hätte sie sich nicht einfach eine Kugel durch ihr Gehirn jagen können oder sich so lange zudröhnen können, bis sie an einer Überdosis starb. Diese Art zu sterben wäre doch schließlich auch für sie angenehmer gewesen, als von einem Kombicoupé überrollt zu werden. Warum konnte sie nicht einfach high sterben, ohne das Leben eines Menschen beziehungsweise dessen ganzer Familie zu zerstören? Die Richter hatten Paul zwar von jeder Schuld freigesprochen, aber er selber hatte das nicht. David hatte ein paar Augenblicke gebraucht, bis er die Situation realisiert hatte und sich zusammenreißen konnte. Mit Wuttränen in den Augen stürmte er aus der Tür hinaus und lief los. Erst einige Häuserblocks weiter blieb er stehen und schnappte nach Luft. Er schaute sich nach links und rechts um als würde er verfolgt werden. Erschöpft hatte er sich nach vorne gebeugt und sich mit seinen Händen auf seine Oberschenkel aufgestützt. Sein einziger Einfall war, seinen Vater anzurufen und ihm zu erzählen, was er gehört hatte. Und genau das hatte er dann auch getan. Sein Vater war gemeinsam mit Bobby zu einem Tagesausflug nach Anaheim zum Disneylandpark unterwegs. Knapp 7 Stunden mit dem Auto von ihrem Haus entfernt, das in einem Dorf zwischen Tambo und Ramirez steht.
Nachdem er seinen Vater erreicht hatte und ihm gebeichtet hatte, was in ihrem Haus vor sich ging, setzte er sich einfach auf den Boden und wartete. Worauf er gewartet hatte wusste er heute nicht mehr genau. Vielleicht wusste er es auch damals nicht. Jedenfalls hatte er so Trae das erste Mal getroffen und er hatte sich bis in den späten Abend mit ihm unterhalten. Trae hatte es sogar fertig gebracht, Davids Wut und Trauer für den Rest des Abends zu unterdrücken. Als er nach Hause kam, saß seine Mutter heulend auf dem Boden und erzählte ihm, dass sein Vater sich von ihr scheiden lassen wolle. Einen Grund hatte er nicht genannt. Dafür war David ihm mehr als nur dankbar, denn so wurde er nicht zum Sündenbock für seine Mutter und war in ihren Augen unschuldig an der ganzen Situation. Und dieses Geheimnis, dass er sie verraten hatte, hatte sie bis heute – 3 Jahre später – nicht gelüftet.
Am frühen Morgen des nächsten Tages war sein Vater mitsamt dem Schlafenden und von den Umständen total paralysierten Bobby wieder an ihrem Haus angekommen. Er ging einfach rein, umarmte David, packte seine Sachen und sagte seiner Frau, dass sie Post von seinem Anwalt bekommen würde. Dann ging er einfach aus dem Haus, verabschiedete sich von seinen Kindern, und eine Woche später waren sie geschieden. Ein Taxi hatte ihn von dem Haus seiner – von dem Tag an – Ex-Frau mit seinem restlichen Hab und Gut abgeholt. Das war der Tag, an dem er seinem ältesten Sohn David sein Auto vermacht hatte. In eben diesem Wagen war David weggefahren, wenige Minuten bevor das Telefon in der Eingangshalle von seiner Schule geklingelt hatte.
5
Jeder hat eine bestimmte Musikrichtung, die er bevorzugt beziehungsweise am liebsten hört. Davids Musik war der Rock’n Roll. Er brannte für ihn. Aus diesem Grund drehte er die Lautstärke des Radios ganz besonders auf, als Little Richard grade begann, Tutti Frutti zu singen. Mit den Fingern klopfte er den Takt auf dem Lenkrad mit und bewegte seinen Mund so zu dem Lied, als würde er es selbst singen. In ein paar Minuten würde er zuhause sein und das Wochenende durchschlafen. Er hatte keine Lust, sich wieder mit seiner Mutter wegen ihres ausgiebigen Liebeslebens zu streiten. Der Streit letzte Woche, bei dem sie sogar so weit gegangen war und ihn geschlagen hatte, hatte ihm gereicht. Natürlich hatte er dem nichts entgegengesetzt. Schließlich gehörte er nicht zu der Sorte Menschen, die jedes Mal, wenn man ihnen dumm kommt, anfangen zuzuschlagen.
David trat auf die Bremse und kam vor der roten Ampel zum Stehen. Sein Blick schweifte aus dem Fenster über Männer in Anzügen, die in Eile durch die Gegend liefen, Eltern, die versuchten ihre Kinder möglichst dicht bei sich zu behalten, Obdachlose und so weiter. Seine Augen blieben an einem Obdachlosen mit braunem Vollbart und einem verwaschenen, grauolivfarbenen T-Shirt haften. Der Obdachlose trug ein Pappschild um den Hals auf das: „Brauche Trinken!“, gekritzelt worden war. Er stand dicht an der Hauswand angelehnt, um sich halbwegs im Schatten zu befinden. Flehend sah er jeden der vorbeigehenden Menschen an und bettelte um ein wenig Kleingeld.
„Bitte Miss, geben Sie mir etwas Geld, ich habe so Durst. Bitte helfen Sie einer armen Seele“, flehte er eine Frau mittleren Alters an, die mit ihrer kleinen Tochter an ihm vorbeiging.
Erschrocken und angewidert vom Anblick des Obdachlosen nahm sie ihre Tochter und erhöhte das Tempo ihre Schritte.
„Komm schnell, Lucy“, sagte sie zu dem kleinen Mädchen an ihrer Hand.
„Aber Mami, warum können wir dem armen Mann nicht helfen?“, fragte Lucy besorgt und beobachtete ihn traurig.
„Er ist selber schuld, dass er jetzt auf der Straße leben muss. Außerdem hat er bestimmt Krätze oder Lepra“, sagte sie, womit sie auf sein rechtes graues, trübes Auge hinwies.
„Krätze äußert sich durch Ausschlag und starken Juckreiz, gnädige Frau“, sprach sie ein älterer Mann an, der dem Obdachlosen eine Flasche Wasser gab, von welcher dieser sofort einen Schluck zu sich nahm. Sie blieb stehen und warf ihm einem tödlichen Blick zu.
„Ach ja, und Lepra kann zwar die Augen betreffen, würde aber dann sichtliche Verstümmelung oder Lähmung verschiedener Körperteile mit sich ziehen. Außerdem ist die Infektionsgefahr bei beiden Krankheiten nur bei längerem intensivem Körperkontakt besonders realistisch. Wenn Sie Ihr Kind schon anlügen wollen, dann lügen Sie es wenigstens so an, dass es realistisch wirkt“, fuhr er fort, ohne ihrem Todesblick größere Aufmerksamkeit zu schenken.
„Ich danke Ihnen. Gott segne Sie, mein Herr. Gott segne…“
Der Obdachlose verstummte, als er David sah und ihre Blicke sich trafen. Er krümmte seinen Hals auf die eigenartigste Art und Weise, die seine Wirbel zuließen und begann urplötzlich, schallend zu lachen. Das Lachen hatte große Ähnlichkeit mit dem eines verrückten Serienkillers, dem klar geworden war, dass er jemanden umgebracht hatte, der ihm eigentlich am Herzen lag. Sein rechter Zeigefinger schoss empor und zeigte auf David.
„Fahr endlich, du Affe“, brüllte ein wütender korpulenter Mann aus dem Jeep hinter ihm, „Bist du farbenblind Junge? Es ist grün!“
Seine Worte wurden von den kontinuierlich benutzten Hupen der hinter ihm stehenden Autos begleitet.
„Verdammt“, schrie der Obdachlose David entgegen und begann sich immer weiter von ihm wegzubewegen. Die losen Sohlen seiner Schuhe klatschten bei jedem Schritt auf dem Boden, was jedoch in den lauten Geräuschen der pulsierenden Stadt um ihn herum unterging.
„Du bist verdammt, Junge! Der Teufel hat dich in seiner Hand!“, schrie er ein weiteres Mal, während er ihn immer noch verrückt anlachte.