Название | Die Schule |
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Автор произведения | Leon Grüne |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783754170724 |
„Tut mir leid, ich schalte es aus“, entschuldigte er sich und griff in seine Hosentasche.
„Nein, schon gut. Geh ruhig ran. Ich muss mich sowieso beeilen. In einer Stunde beginnt meine Schicht“, erwiderte sie mit einem flüchtigen Blick auf ihre Uhr. Sie arbeitete als Pflegerin in einer Kinder- und Jugendpsychiatrie und war eng mit dem dort zuständigen Chefarzt befreundet, was ihr schon den ein oder anderen Bonus eingebracht hatte. Zudem hatte sie das Glück aufgrund dieser Freundschaft mit besagtem Vorgesetzten, dass sie noch nie in ihrer bisherigen Berufslaufbahn zwischen den Schichten pendeln musste. Nach ihrem freien Tag gestern erwarteten sie nun vier Nächte, die sie damit verbringen musste, auf die mehr oder weniger schlafenden „Psychoratten“ – einer ihrer geläufigsten Begriffe für psychisch kranke Kinder – aufzupassen. Außerdem konnte sie ihren Beruf wunderbar als Ausrede nutzen, um sich nicht um Davids Probleme kümmern zu müssen. Jedes Mal wenn er es versucht hatte, wurde er immer wieder auf dieselbe Art von ihr zurückgewiesen.
David bitte, das kann ich jetzt wirklich nicht gebrauchen. Ich habe schon auf der Arbeit genügend Psychostress, dann brauch ich das nicht auch hier zuhause noch.
„Alles klar, dann gehe ich auf mein Zimmer“, sagte er und winkte ihr mit dem Smartphone in seiner Hand zu.
„In Ordnung. Bis morgen .“
„Bis morgen, Mom“, verabschiedete er sich ebenfalls von ihr und verschwand in den Flur. Sein Blick wanderte zu seinem Display auf dem groß der Name „Trae“ zu lesen war.
„Yo Trae, was gibt’s?“, meldete er sich.
„Hey Bruder, was geht?“
„Hol dir lieber was zu essen und machs dir bequem.“
„Wieso das?“, fragte Trae, der sowieso zweifelsohne in diesem Moment mit einer Tüte Paprikachips in seinem Bett lag und ihm zuhörte.
„Es könnte etwas dauern, wenn du das wirklich wissen willst“, seufzte David in das Mikrofon seines Handys und schloss schwungvoll die Tür hinter sich.
10
„Ist das dein Ernst, Bruder?“, fragte Trae überrascht und senkte die Hand, mit der er sich grade eine Portion stark gewürzte Chips in den Mund schaufeln wollte.
„Warum sollte ich mir so einen Mist ausdenken?“, entgegnete David am anderen Ende der Leitung genervt.
„Scheiße, Mann, und was machst du jetzt?“
„Die gesamten nächsten Wochen im Urlaubsort der Beschränkten und Minderbemittelten verbringen, was sonst? Wenn nicht, dann wirft mich meine Mom auf die Straße, und ich kann meinen Abschluss vergessen.“
„So eine…“
Den Rest hörte David nicht mehr. Er wusste auch so, was Trae sagen und wie er sie nennen würde. Seine Konzentration galt nicht Traes Beleidigungen, die er auf seine Mutter losließ, sondern der Frage, wie er die nächsten Wochen überstehen würde, ohne komplett wahnsinnig zu werden.
„Du hattest Recht. Mit Eltern zu leben, klingt echt scheiße.“ David widersprach ihm nicht. Schließlich waren es seine Worte, die Trae zitierte, und außerdem war es genau das bisher für ihn immer gewesen. Er konnte sich an keinen Moment erinnern, in dem seine Eltern ihm das Leben auch nur etwas erleichtert hatten.
„Wie auch immer. Das Schlimmste ist, dass ich mein Handy hierlassen muss. Das heißt, ich bin höchstwahrscheinlich gar nicht zu erreichen“, fuhr David fort.
„Mit Sicherheit nicht. Bestimmt gibt es dort ein Telefon, das du benutzen kannst.“
„Ja auf dem Schreiben stand etwas von einer Möglichkeit telefonieren zu können, doch nur zu festgesetzten Zeiten.“
„Dann schreib dir meine Nummer auf und ruf mich an sobald du kannst. Ich hab immer Zeit für dich, Bruder, das weißt du ja“, versicherte Trae ihm und wischte sich die fettigen und von Gewürzen bedeckten Finger an seinem weißen Tank Top ab.
„Danke Kumpel, ich werd dich garantiert anrufen“, antwortete er dankbar und drückte die Lautsprechertaste. Dann erhob er sich von seinem Bett und öffnete seinen Kleiderschrank. Unter ihm wurde die Tür des Wagens seiner Mutter zugeknallt. Ein kurzes Aufbrummen des Motors, und wenige Sekunden später rollte sie aus der geöffneten Garage auf den heißen Asphalt der Straße. Währenddessen entledigte David sich seines California T-Shirts und warf es auf seinen viel zu niedrig eingestellten Schreibtischstuhl. „Kein Problem, Amigo, ich hab immer Zeit.“
Inzwischen hatte David sich an Traes breit gefächertes Repertoire an Synonymen für das Wort „Freund“ gewöhnt. Anfangs hatte es ihn gestört, dass er in so gut wie jedem Satz mindestens eines davon benutzte, doch mit der Zeit hatte er sich an diese Macke gewöhnt.
„Ach, Trae, wie geht’s dir eigentlich? Hast du dich von deinem Trip erholt? Du wirktest heute nicht ganz auf dem Damm. Ich hab mir echt Sorgen gemacht, dass du durchdrehst oder anfängst verrückt zu werden“, wechselte David das Thema und zog sich ein ausgeleiertes hellblaues Unterhemd an.
„Soll ich dir mal was verraten?“, fragte Trae und stand ebenfalls von seinem Bett auf.
„Klar, warum nicht“, antwortete David verwirrt und schloss seinen Kleiderschrank. Gemächlich ging Trae zu seiner Zimmertür und betrachtete die dort an der Magnetwand hängenden Bilder. Es waren Zeichnungen, die er von seinen Alpträumen angefertigt hatte. Sein Psychotherapeut hatte ihm empfohlen, die Träume, die ihm Angst machten, aufzuzeichnen. Das würde sie greifbarer und reeller machen, meinte er. Wenig sinnvoll, wenn es sich dabei um Alpträume handelt. Doch nach den ersten Malen begriff Trae, dass es sie nicht nur greifbarer und reeller machte, sondern sie eben dadurch ihren Schrecken verloren. Ihr Abbild sorgte dafür, dass sie in seinen Augen ihre Unantastbarkeit verloren. Sie waren nicht mehr lebendig und unüberwindbar. Er hatte sie auf dem Papier erstarren lassen und sie handlungsunfähig und angreifbar gemacht. Seine Finger glitten über die schwarzen Linien auf den Blättern.
„Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, was ich getan habe“, beichtete er ihm und neigte den Kopf etwas zur Seite.
„Ernsthaft? Du kannst dich nicht mehr daran erinnern, was du mir erzählt hast? Du sahst aus, als hättest du ein Gespenst gesehen“, erwiderte David ungläubig. Nachdem er einen flüchtigen Blick in den Spiegel geworfen hatte, nahm er sich den kleinen Basketball, der hinter ihm in einer weißen Plastikschale lag, die auf einem kleinen Holzregal stand. Ein weiteres Geschenk von Owen, das er selbst gebaut hatte. Er war immer der Meinung gewesen, dass, wenn er Faye etwas mitbrachte, er auch David eine Kleinigkeit mitbringen sollte. Seine Zuneigung hatte nicht nur ihr gegolten. Ebenso schenkte er auch David etwas davon. Die Beiden hatten sich einwandfrei verstanden und kamen mehr als gut miteinander aus. Nicht selten hatte David sich gewünscht, dass Owen sein neuer Stiefvater werden würde. Doch seine Mutter hielt es nie besonders lange mit einem Mann aus, der tatsächlich die Vorstellung von einer richtigen Familie hatte und nicht nur auf die Zeit aus war, die er mit ihr im Bett verbringen würde
„Vielleicht habe ich das ja auch“, murmelte Trae unverständlich. Er entdeckte die Ecke eines weiteren Bildes, welches hinter einer Zeichnung hervorschaute, die sich in der Nähe des linken Türrandes befand. Obwohl er die Zeichnungen alle selbst entworfen hatte, konnte er sich nicht an alle erinnern. Jeden Tag entdeckte er einen neuen Alptraum, den er zu Papier gebracht hatte. Neugierig griff er nach der Ecke des versteckten Blattes und entfernte den Magneten von dem Bild, welches es verdeckte. Das Vordere befestigte er erneut mit dem Magneten an der Wand.
„Was hast du gesagt?“, fragte David und warf gelangweilt den Basketball in den ähnlich kleinen Korb, der über seinem Spiegel hing.
„Hm? Nichts, alles in Ordnung“, entgegnete Trae abgelenkt von dem Bild in seiner