Название | Lavanda |
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Автор произведения | Isabella Kniest |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783752923575 |
Der Schmerz, die Verbitterung, die Angst, die Verunsicherung, die Desillusion würde kein Mensch ihm zu nehmen vermögen. Selbst wenn sein Leben davon abhinge. Lilians Fundament war zerstört, pulverisiert. All sein Glaube, seine zage Hoffnung, seine minimalen Erwartungen – sie waren vernichtet, niedergewalzt und die Erde darunter mit Chemie verseucht worden.
Da konnte nichts mehr wiederaufgebaut werden, da half kein Ausheben des kontaminierten Materials.
Da hätte man ihm die Seele entreißen müssen – seine durch die gesellschaftliche Grausamkeit durchsetzte, vergiftete Seele.
Dabei hatte es einst so zuversichtlich angemutet …
Rote klecksförmige Bremslichter eines haushohen Familienvans vor ihm nötigten ihn, hart auf das Bremspedal zu treten.
Vermaledeiter Verkehr.
Klagenfurt.
Diese Stadt war ihm seit jeher unsympathisch.
Die Leute, die Rushhour, die Gassen und zerklüfteten Einbahnstraßen – und erst recht die Politik!
Klagenfurt ist anders.
Nein, korrigierte er sich. Kärnten ist anders … diese ganze verschissene Welt ist anders geworden!
Aggression und Hass an allen Ecken und Enden! Aber wehe, er regte sich auf! Wehe, er sprach die Wahrheit aus! Wehe, er verhielt sich einmal wie all die ihn umzingelnden niederträchtigen Idioten!
Da gab es ein Paradebeispiel, welches schlichtweg sein gesamtes Leben erklärte: Vor einigen Jahren war Lilian in einer Dienstleistungsfirma beschäftigt gewesen, dessen Geschäftsführer und dienstälteste Angestellte ständig über gewisse unverschämte Stammkunden außerordentlich gejammert hatten. Eines Tages hatte er sich in ein solches Gespräch einzubringen erlaubt und sich ebenfalls über diese geizigen, pingeligen, unfreundlichen Kundschaften echauffiert sowie seinem Chef und den beiden Kollegen eifrig zugestimmt – und was geschah? Im Handumdrehen erhielt er eine Rüge.
»Das sind nun einmal sehr wohlhabende Personen«, hatte der Chef augenblicklich seine Geisteshaltung geändert und Lilian maßregelnd betrachtet. »Das musst du akzeptieren und stets freundlich bleiben. Der Kunde ist König.«
Anfangs war Lilian tatsächlich dumm genug gewesen, sich schuldig zu fühlen, seine Meinung vor anderen Menschen laut ausgesprochen zu haben!
Nachdem sich solche Vorfälle gehäuft und viele weitere differenzierte negative Erfahrungen in ähnliche Richtungen eingeschlagen hatten, hatte er die unumstößliche Tatsache zwangsläufig zu akzeptieren gelernt: Er musste demütig, dankbar und zuvorkommend bleiben – der Rest der Menschheit durfte sich beklagen, sämtliche Eindrücke frei aussprechen und ihren Frust auf ihn abwälzen. Oder auf die Arbeitswelt gerichtet: Er hatte zu lächeln und den Mund zu halten. Seine Kollegen durften jammern, meckern und ihm tagtäglich das Herz ausschütten. Er musste freundlich sein, all die anderen Leute brauchten sich nicht zusammenzureißen. Besonders stutenbissige Drecksweiber waren befugt, sich jedwede Freiheit herausnehmen!
Zwanghaft verstaute er seinen meterdicken Groll tief in seiner pechschwarzen Seele und unterdrückte ein Gähnen.
Seit mindestens fünf Monaten rang Lilian mit hartnäckigen Einschlafstörungen. Tausendmal wälzte er sich von einer Seite zur anderen, bis er irgendwann weit nach Mitternacht in einen dösenden Halbschlaf fallen durfte. Und damit nicht genug, wurde er in solchen kurzen Phasen der Erholung von schrecklichen Albträumen gemartert.
Der Schlafentzug machte sich allmählich in all seinen finstren Lebenslagen bemerkbar: Er hatte kaum noch Appetit, seine Laune lag irgendwo unter dem Gefrierpunkt und seine Konzentration und Aufnahmefähigkeit nahmen sukzessiv ab. Insbesondere um die Mittagszeit schien sich ein gewaltiges Loch in ihm aufzutun und ihn verschlingen zu wollen. Bisher gelang es ihm halbwegs, sich dagegen aufzulehnen und nicht in einen Erschöpfungsschlaf zu sinken. Wäre ja noch schöner gewesen, von Kollegen halb komatös auf der Toilette oder im Firmenwagen entdeckt zu werden! Doch wie lange würde er noch durchhalten? Wie lange würde es ihm gelingen, diese aus Seidenpapier bestehende Fassade aufrecht zu erhalten?
Scheißdreck!
Die Ampel schaltete auf ein saftiges ihn an Frühlingswiesen erinnerndes Grün, und er beschleunigte.
Parkplatz, schoss es ihm quer durch seine erlahmten Gehirnwindungen.
Er brauchte unbedingt einen kostenfreien Parkplatz.
Scheiße.
Lilian besaß kein Kleingeld mehr – ebenso wenig Scheine, und erst recht nicht konnte er mit dem Handy bezahlen. Eine solche App sowie einen Akkumulator mit Near Field Communication benutzte er nicht.
Grundsätzlich verwendete Lilian nahezu gar keine Apps. Allein eine für seine Mails, ein Wecker-Widget sowie einen englischsprachigen MP3-Player. Alles Weitere fiel in die Kategorie ›Neumoderner, spionierender Sondermüll‹ und wurde demzufolge tunlichst von ihm vermieden.
Er bog in eine Gasse ein, deren Namen er nicht erkannt hatte und hielt Ausschau nach einer Parkmöglichkeit.
Erwartungsgemäß wurde er nicht fündig.
Er wendete und fuhr zum Siriusparkplatz. Seines Wissens nach war dieser stets kostenlos gewesen. Hoffentlich hatte sich an diesem Umstand nichts geändert. Ansonsten war er am Arsch – gelinde gesagt.
Eine weitere rote Ampel gebot ihm neuerlich stehen zu bleiben.
Er blickte zur Uhr.
13:05 Uhr.
Es wurde knapp.
Das Licht sprang um und er gab Gas.
Drei Gassen weiter bog ein dunkelgrauer Kombi vor ihm ein – und kroch mit sagenhaften dreißig Kilometern pro Stunden weiter.
Verflucht!
Falls er nicht bald eine Parkmöglichkeit fand, würde er zu spät zum Termin erscheinen.
Dies galt es unter allen Umständen zu verhindern!
Er durfte sich keinen einzigen Fehltritt leisten, ansonsten sah es wahrhaftig kritisch aus für ihn und seine ohnehin desaströse Zukunft.
Der schleichende Autofahrer blinkte nach rechts und bog ab – und Lilian stieß ein Dankesgebet gen Himmel aus, stieg kräftig aufs Gas und lenkte seinen altersschwachen Wagen in den Südring, dann nochmals nach rechts – und er erreichte sein Ziel.
Eine Schranke ließ Fürchterliches erahnen.
Eine in Blau gehaltene Tafel linkerseits bestätigte seine Vermutung: Selbst diese Parkmöglichkeit war kostenpflichtig geworden.
Verfluchte Scheiße!
Lilian fuhr rückwärts, wendete und düste zurück Richtung Innenstadt.
Da half alles nichts.
Er musste in einem Geschäft darum bitten, kurzzeitig einen ihrer Parkplätze benützen zu dürfen.
Eine Druckerei – wahrscheinlich ein Familienunternehmen, der winzigen Größe nach zu urteilen – erregte seine Aufmerksamkeit.
Lilian manövrierte den Wagen in den ersten der vier freien Stellflächen, schaltete den Motor ab und hechtete zum Eingang. Eine verschmutzte ehemals weiß gewesene Schwingtür trennte den lieblos gestalteten Vorraum von der lärmenden Straße. Drei Schritte weiter tat sich eine zweite Tür auf – bestehend aus Klarglas und eingefasst aus Metall war diese wenigstens verschließbar.
Er klopfte und trat ein.
Ein bissig-stickiger Geruch aus beschichtetem Papier, Staub und Toner schlug ihm entgegen.
Lilian brauchte einen Moment, bis er sich an das dadurch ausgelöste Kratzen in seinem Hals gewöhnt hatte und das Büro genauer in Augenschein nehmen konnte.
Zuallererst fielen ihm zwei Drucker auf – einer stand beinahe direkt in Laufrichtung, ein zweiter war stiefmütterlich in die linke Ecke des quadratischen Raums verfrachtet worden.
Kaputt?