BÄR: CHIMÄRA. Michael Nolden

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Название BÄR: CHIMÄRA
Автор произведения Michael Nolden
Жанр Языкознание
Серия BÄR - Die seltsamen Abenteuer des Kootenai Brown
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754171875



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des Schiffes war bis auf das benötigte Minimum für die Standardverbraucher heruntergefahren worden. Halb schlafwandelnd wankte ich zu meiner Kajüte und fiel in meine ungemachte Koje. Jiminy hielt sich, ungern, wie er stets betonte, von ihr fern, weil Unordnung den Drang in ihm weckte, diese zu beseitigen. Aber mein Verbot, mein persönliches Chaos unangetastet zu lassen, wurde von ihm respektiert.

      Am nächsten Morgen plagte mich die Schwerkraft. Auf dem Mars ist sie um gut zwei Drittel geringer als auf der Erde.

      Wir Marsianer trainieren von Kindesbeinen an, um mit den Erfordernissen unseres langen Lebens umgehen zu können, in Gravitationskammern. Anders wären unsere Minenzentren auf Uranus, Neptun und Venus nicht denkbar. Während des Flugs verabreiche ich mir auch mal eine Portion dreifache marsianische Schwerkraft. Die Umstellung ist schleichend, kräftezehrend. Eine Eingewöhnung benötigt mehrere Tage.

      Ich wusste jetzt schon, dass ich es genießen würde, eine Zeitlang unter Wasser meiner Arbeit nachzugehen.

      Es wird der Tag kommen, an dem ich mich nicht mehr ohne Exoskelett bewegen kann, weil die Knochennekrose unaufhaltbar geworden ist. Das ist die Rechnung, die von vielen Marsianern im letzten Viertel ihres Lebens bezahlt wird, wenn die bei der Geburt eingeschossenen Nanobots in unserem Blut solche Schäden nicht mehr richten können.

      Ich hatte es mit einem Dauerlauf zum Reservoir versucht. Es war mühselig gewesen und tötete jeglichen Enthusiasmus ab. Ein paar Kinder sowie der obligatorische Wächter liefen mir, dem schwerfälligen Marsianer, zur Zisterne hinterher. Die Kleinen tuschelten und wurden vom Wachmann zurechtgewiesen und fortgescheucht. Eines der Kinder war das Mädchen. Sie verständigte sich mit den anderen, lachte, rannte mit ihnen davon. Jiminy, dachte ich, hatte die falschen Sprachansätze im Translator benutzt. Wenn die Karawane öfters bei den Drachenzähnen Halt machte, hatten die Nomaden genug von der örtlichen Sprache zur Verständigung gelernt. Wie es zwangsläufig jeder Händler irgendwann unternimmt. – Ich war ein wenig verwundert über Jiminys mangelnde Experimentierfreude. Dass er die Sprache der Kolonne 50 nicht ausprobiert hatte. - Das hätte diesem Hüter der Variablen eigentlich einfallen sollen ...

      5: LIV

      Meine Atemmaske war um drei Bauteile erweitert worden. So ausgerüstet filterte das Gerät Sauerstoff aus dem Wasser. Ich tauchte in den Südteil des unter Wasser stehenden Innenlebens dieser, wie Jiminy sie genannt hatte, Kirche. Dort, in einem quer abzweigenden Gang des, nach neuen Maßstäben, Reservoirs gelegen, befand sich der RIKTER-CODE in der Wand eingelassen. Von oben schien das Licht der Leuchtstoffröhren herab, nicht hell genug zwar, zur Orientierung genügte es allemal.

      Zeilenweise tat ich meine Arbeit, oben beginnend, dann ließ ich mich absinken. Jedes Quadrat hatte eine Seitenlänge von 9,4 Zentimetern. Eine Stirnlampe riss die Farben aus der Dunkelheit. Sorgsam erfasste der Scanner die kantenklar voneinander separierten Flächen. Mir wurde der meditative Charakter meiner Tätigkeit bewusst. Es genügte nicht viel und ich hatte die Zeit vergessen. Zunehmende Tiefe brachte stärkere Trübnis. Schwebeteilchen und winzige Luftblasen wiesen mich auf feinste Strömungen hin. Je länger ich unter Wasser war, dem Grund näher kam, desto öfter entdeckte ich minimalste Abflusslöcher im Gestein. Ich war darauf vorbereitet. In meinem Rucksack führte ich einen Spezialzement und Werkzeug mit. Band die Mischung in den Löchern ab, würde sie vorher in jede Ritze quillen. Aber es gab ein Problem. Die Zisterne war riesig. Befand sich das übrige Mauerwerk in einem ähnlichen Zustand, steckten Jiminy und ich noch eine Ewigkeit bei den Drachenzähnen fest. Ich konnte ihn im Geiste argumentieren hören, dass eine undichte Zisterne nicht unser Problem war. Ich sah das anders. Man war uns freundlich und vertrauensvoll begegnet. Prinzipiell galt es, solches Verhalten zu honorieren. Jiminy war eher pragmatisch und egoistisch eingestellt. In seinen eintausend Jahren Existenz im Dienste diverser Herren, aufreibend, verzichtsreich oft, selbst für einen Roboter, bestritt ich die Wirkung dieser Einstellung nicht. Ich hatte mir ein anderes Verhalten angewöhnt. Gewünscht. Hilfe hinterließ Freunde. Meistens. Jiminy würde es noch lernen. Da war ich sicher.

      Ein Sicherheitszeitmesser gab mir das Zeichen zum Auftauchen. Langsam glitt ich in die Höhe. Der Scanvorgang war beendet, das erste Leck gestopft. Mitten im Reservoir durchbrach ich die Wasseroberfläche. Kaskaden tanzender Lichter empfingen mich. Ein befreiendes Gefühl. Ein leises Plätschern. Brückenähnliche Gitter verbanden die die Langseiten des Reservoirs. Eines hing direkt über meinem Kopf. Zusätzlich waren Stahlseile über die Wasserfläche gespannt worden. Vereinzelt hingen Eimer und Wasserschläuche von dort herab. Längs des Bassins waren außerdem Laufstege und Treppen installiert. Trippelnde Schritte hallten zu mir herüber. Kinder. Sie lachten diesmal nicht. Sie waren beschäftigt, trugen schwer an Gepäck, auf dem Rücken, vor sich auf den Armen. Kein Schwatzen, nur Keuchen, Schniefen vor Anstrengung. Es hallte durch das schwarze Gestein der Zisterne. Ich zählte neun Kinder. Alle in einem ähnlichen Alter, nahm ich ihre Größe als Maßstab. Hinterdrein, in einigen Schritten Abstand, marschierte ein Wächter, einen Stock aus Metall in der Hand. Unregelmäßig tickte der Mann damit drohend gegen das Geländer.

      Eines von den Kindern vertrat sich auf den feucht glänzenden Gitterrosten des Stegs. Ihr Bündel fiel herab. Die übrigen acht Kinder gingen einfach weiter. Der Wachmann stellte sich hinter dem Kind auf. Als ihr Gesicht sich drehte, wurde es von einer Leuchtstoffröhre angestrahlt. Das war – das Mädchen. Die Situation sah nicht nach dem aus, was ich mir für sie erhofft hatte. Gar nicht! Ich schwamm auf sie zu, ignorierte den Mann anfangs, trat Wasser, machte Lärm, gewann beider Aufmerksamkeit. Der Metallstock tippte ihr auf die Schulter, bedeutete ihr unmissverständlich, das Stückgut vor sich aufzuheben. Dabei sah mich der Mann an.

      »Machdirkennekopp! Alleshalvsuwild!«

      Ohne Translator war das lediglich Wortsalat. Ich schlug eine Armlänge vor dem Mädchen an den Laufsteg an und zog mich aus dem Wasser. Jetzt konnten sie nicht an mir vorbei. Über den Kopf des Kindes hinweg reichte ich dem Mann ein Übersetzungsgerät aus einer wasserdichten Tasche an meinem Gürtel und machte ihm den Gebrauch vor.

      »Was ist hier los?«

      Unsicher hielt sich der Wächter das Gerät vor den Mund und erwiderte: »Sie arbeitet. Was soll los sein?«

      »Sie arbeitet?«

      »Ja«, erwiderte der Wachmann eindeutig verwundert über meine Begriffsstutzigkeit.

      »Geben Sie mir das Gerät zurück«, forderte ich. Mein zorniger Bass übertönte beinahe die Worte aus dem Mikrolautsprecher. Ich hielt den Translator dem Mädchen hin. »Ich weiß, dass du ihre Sprache sprichst. Also, antworte mir. Was tust du da?«

      »Arbeiten«, entgegnete das Kind. Ihre Stimme war ein singendes Flüstern unter der elektrisch generierten Übersetzung.

      »Warum arbeitest du? Du bist ein Kind!« Wasser tropfte an mir herab. Es plitschte auf meine Füße.

      »Ich arbeite«, antwortete sie stockend, »für Wasser.«

      »Wasser?« Einfältig von mir gefragt.

      »Für Wasser. Ich arbeite hier. Dafür bekommen meine Leute Wasser. Solange ich hier arbeite, haben meine Leute Wasser«, erklärte sie dem violetten Idioten von außerhalb.

      »Du bist eine Sklavin?« Ich wollte es genau wissen.

      »Das ist so Brauch.« Eine gruselige Begründung für den Besitz von Menschen, ausgespuckt aus der Box in ihrer schwieligen Kinderhand.

      »Wie ist dein Name?«, fragte ich nach einer Pause.

      Sie legte interessiert den Kopf schräg. »Liv«, sagte sie. »Mein Name ist Liv.«

      6: VERTRAUEN

      Wutentbrannt turnte ich durch das Schiff, nach oben, nach unten, ich rutschte über die Geländer herab und schlug im Vorübergehen gegen einen alten Container. Der konnte einiges vertragen und hatte bereits etliche Dellen von früheren Ausbrüchen ähnlicher Natur. »Warum hast du mir das verschwiegen?«, schrie ich in der Gegend herum. Über die Bordanlage hörte mich Jiminy überall. Wenn er wollte. »Das hättest du mir sagen