Название | Aufzeichnungen aus dem Kellerloch |
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Автор произведения | Fjodor Dostojewski |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783754173169 |
V
Nun, wie ist es denn möglich, wie kann ein Mensch sich auch im geringsten achten, der danach trachtet, gerade in dem Gefühl eigener Erniedrigung einen Genuß zu finden? Ich sage das nicht aus irgendeiner Anwandlung süßlicher Reue. Überhaupt habe ich es nie leiden können, dieses: »Verzeihung, Papachen, ich werde nicht mehr …« – weniger, weil ich nicht fähig gewesen wäre, so etwas zu sagen, sondern im Gegenteil, vielleicht, weil ich gerade eilfertig dazu bereit war, viel zu bereit? Absichtlich ließ ich mich beschuldigen in Fällen, in denen ich völlig unschuldig war. Das war ja gerade das schlimme. Dabei verging ich fast vor Rührung, vor Reue, ich vergoß Tränen und, versteht sich, hielt mich selbst zum besten, wobei ich auch nicht im geringsten heuchelte. Sogar das Herz machte irgendwie mit … Hier ließen sich nicht einmal die Naturgesetze beschuldigen, obwohl gerade die Naturgesetze mich fortwährend und das ganze Leben lang am meisten beleidigten. Es ist widerlich, sich daran zu erinnern, und auch damals schon war es widerlich. Denn bereits nach einer Minute erkannte ich mit Widerwillen, daß das alles Lüge, ekelhafte, vorsätzliche Lüge war, ich meine all diese Reue, all diese Rührung, all diese Gelübde, sich zu bessern. Fragen Sie mich aber, warum ich mich selbst so verunstaltete und peinigte? Antwort: weil es gar zu langweilig war, mit den Händen im Schoß still dazusitzen – so begann ich denn, vor mir selbst Haken zu schlagen. Wahrhaftig, so war es. Beobachten Sie sich selbst, meine Herrschaften, und Sie werden begreifen, daß es so ist. Ich habe mir Abenteuer ausgedacht und das Leben selbst zurechtgedichtet, um wenigstens auf irgendeine Weise zu leben. Wie oft ist es geschehen, daß ich mir, sagen wir, beleidigt vorkam, so, ohne jeden Grund, absichtlich; und obwohl ich selbst wußte, daß ich überhaupt keinen Grund hatte, daß ich mir selbst etwas vormachte, brachte ich mich trotzdem so weit, daß ich mich schließlich tatsächlich tief gekränkt fühlte. Irgendwie neigte ich lebenslang dazu, derartige Kunststücke vorzuführen, bis ich schließlich meiner selbst nicht mehr mächtig war. Einmal wollte ich mich um jeden Preis verlieben, zweimal sogar, ich habe gelitten, meine Herrschaften, seien Sie versichert. Im tiefsten Grund der Seele zwar traut man dem Leiden nicht so ganz, dort regt sich der Hohn. Und dennoch leide ich, und zwar auf die wirkliche, übliche Weise; bin eifersüchtig, gerate außer mir … Und alles aus Langeweile, meine Herrschaften, alles aus Langeweile; die Trägheit erdrückt mich, denn die direkte, legitime, unmittelbare Frucht des Bewußtseins – ist Trägheit, d. h. bewußtes Mit-den-Händen-im-Schoß-Dasitzen. Das habe ich schon früher erwähnt. Ich wiederhole, wiederhole nachdrücklich: alle unmittelbaren und alle Tatmenschen sind ja nur tätig, weil sie stumpfsinnig und beschränkt sind. Wie sich das erklären läßt? Folgendermaßen: Infolge ihrer Beschränktheit nehmen sie die augenscheinlichen und zweitrangigen Ursachen für die primären und lassen sich auf diese Weise rascher und leichter als die anderen überzeugen, daß sie einen unanfechtbaren Grund für ihre Tätigkeit gefunden haben; damit geben sie sich zufrieden, und das ist die Hauptsache. Denn, um eine Tätigkeit zu beginnen, muß man restlos beruhigt und aller Zweifel enthoben sein. Nun, wie soll zum Beispiel ich mich beruhigen? Wo sind meine primären Gründe, auf die ich mich stützen kann, wo meine Ursachen? Woher nehme ich sie? Ich übe mich im Denken, folglich zieht bei mir jeder primäre Grund einen anderen nach sich, der noch primärer ist, und so geht es weiter ins Endlose. Darin besteht das Wesen jeglichen Bewußtseins und Denkens. Somit sind wir schon wieder bei den Naturgesetzen. Und was ist also das Resultat? Dasselbe. Sie erinnern sich: vorhin sprach ich von der Rache (Sie haben es bestimmt nicht verstehen können). Da hieß es: der Mensch rächt sich, weil er es für gerecht hält. Folglich fand er einen primären Grund, nämlich: die Gerechtigkeit. Also ist er rundum beruhigt und rächt sich friedlich und erfolgreich in der tiefen Überzeugung, eine ehrliche und gerechte Tat zu vollbringen. Ich dagegen kann hier keine Gerechtigkeit sehen und schon gar keine Tugend. Wollte ich mich also trotzdem noch rächen, so könnte es allenfalls aus Bosheit geschehen. Die Bosheit könnte, versteht sich, alles übertönen, alle meine Zweifel, und somit mit vollem Erfolg den primären Grund abgeben, gerade weil sie kein Grund sein kann. Aber was soll ich tun, da ich nicht einmal böse bin (davon bin ich vorhin ausgegangen). Auch die Bosheit unterliegt bei mir infolge dieser verwünschten Gesetze des Bewußtseins einer chemischen Zersetzung. Bei näherem Betrachten verflüchtigt sich das Objekt, die Gründe verdunsten, ein Schuldiger ist nicht aufzutreiben, die Beleidigung bleibt nicht Beleidigung, sondern wird Fatum, eine Art Zahnschmerz, an dem keiner schuld ist, und so bleibt wiederum nur ein Ausweg, nämlich die Mauer so schmerzhaft wie möglich zu bearbeiten. Und schließlich zuckt man mit den Schultern, denn der primäre Grund bleibt unauffindbar. Versucht man aber, blindlings, ohne abzuwägen, ohne primären Grund für einen Augenblick das Bewußtsein vertreibend, sich vom Gefühl hinreißen zu lassen; läßt man sich von Haß oder Liebe ergreifen, nur, um nicht mit den Händen im Schoß stillzusitzen – übermorgen, das ist die allerletzte Frist, wirst du dich selbst verachten, weil du dich selbst wissentlich betrogen hast. Resultat: Seifenblase und Trägheit. Oh, meine Herrschaften, vielleicht halte ich mich nur deswegen für einen klugen Menschen, weil ich in meinem ganzen Leben weder etwas habe beginnen noch beenden können. Schon gut, schon gut, ich mag ein Schwätzer sein, ein harmloser, lästiger Schwätzer, wie wir es ja alle sind. Aber was soll man denn tun, wenn die einzige und direkte Bestimmung eines jeglichen klugen Menschen in Schwatzen besteht: das heißt darin, mit Vorsatz leeres Stroh zu dreschen.