Название | Bittere Erdbeeren |
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Автор произведения | Katharina Gato |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783742770066 |
„Misch dich da nicht ein! Und wehe du wagst es, die Tür zu öffnen!“ Die Mutter kannte kein Erbarmen.
Wieder einmal weinte sich Kathi in den Schlaf. Und auch wieder einmal ein Abend, an dem der Vater sich zu ihr ins Bett legte, um sie auf „seine Weise“ zu trösten…
Das spaltete sie komplett ab. Es war so, als passierte es nicht.
Das waren die Momente, wo sie woanders war. Sie war Heldin und rettet ein Kind aus dem Wasser vor dem Ertrinken. Oder eine Nachbarin vor brutalen Einbrechern. Auf jeden Fall hatte sie in ihren Geschichten keine Schmerzen und war damit beschäftigt die Welt und vielleicht auch ein wenig sich selbst zu retten.
Der anschließende Morgen mit Wecken, grellem Licht und Türen knallen, kaltem Waschlappen im Gesicht, war so ein Morgen, an dem Kathi, die noch nicht wirklich verstand was der Tod bedeutete, sich wieder einmal wünschte, nie mehr aufstehen zu müssen. Unter der warmen Bettdecke zu bleiben. „Bloß nicht bewegen, dann hab ich auch keine Schmerzen.“ Aber sie musste aufstehen. Das war erst einmal das Schlimmste.
Am Nachmittag spielte Kathi draußen auf dem Hof. Den Flummi hatte sie unter ihrem Bett gelassen, den wollte sie nicht mehr hervorholen, denn der war schließlich schuld an allem. Plötzlich hörte sie eine Stimme, die sie nicht kannte: „Ey, Katharina, was hast du mit meinem Bruder gemacht?“
Kathi dreht sich um und vor ihr stand der große Bruder von Dieter. Er war bestimmt schon siebzehn Jahre alt.
Ohne Vorwarnung schlug er zu. Die Faust landete direkt an ihrer Schläfe. Kathi fühlte nur ganz kurz einen dumpfen Schmerz am Kopf, dann sank sie einfach zu Boden. Kurzer Schwindel, der sich gut anfühlte, ein Wegtaumeln ins Nichts. Dann war es dunkel. Sie wurde erst im Wandsbeker Jüthornkrankenhaus wieder wach.
Niemand sagte ihr genau, was geschehen war. Sie hörte nur etwas von Gehirnerschütterung und Polizei, die nächsten Tag kommen sollte.
Ob sie etwas essen wolle? „Oh ja, wie gern!“ Kathi saß in dem weißen Bett, mit dickem, sauberem Kissen im Rücken und aß genüsslich die Stullen. Wärme, Ruhe und ein Gefühl von Sicherheit breiteten sich wohlig in ihr aus und sie schlief wunderbar ein. Da machte das bisschen Kopfschmerz gar nichts aus.
Am Morgen gab es Frühstück und sie bemerkte, dass die Eltern anscheinend im Krankenhaus gewesen waren, denn sie trug ihren eigenen Schlafanzug mit den kleinen Bärchen darauf.
Zwei Frauen und die freundliche Schwester betraten das Zimmer. Sie stellten sich als Kripobeamtinnen vor und hätten nur ein paar Fragen. Kathi musste sich erst einmal sammeln. Ängstlich, dass sie etwas vergessen könnte oder nicht mehr wusste, versuchte sie, auf die Fragen zu antworten. Sie wollten sehr genau wissen, was passiert sei. Kathi erzählte, woran sie sich erinnerte. Eigentlich nur an den Schlag. Kathi erfuhr, dass ihre Eltern Anzeige gegen Dieters Bruder erstattet hätten und noch regelrecht unter Schock ständen, weil ihre kleine Tochter aus der Ohnmacht nicht wachzubekommen war.
Für Kathi war nun alles gesagt und sie fühlte sich sehr wohl im Krankenhaus und wäre am liebsten dortgeblieben. Die Schwester wurde rausgeschickt. Dann fragte eine der Kripobeamtinnen: „Woher hast du die blauen Flecken an den Armen? Die Striemen auf deinem Po?“ Kathi wurde ganz heiß, hatte man das entdeckt, als sie in dieser Ohnmacht war? Ihr den Schlafanzug angezogen hatte?
Sie fing an zu weinen und sagte ihnen, dass sie etwas ganz Schlimmes getan hätte und die Mama dann so wütend geworden wäre. Aber das sei ganz allein ihre eigene Schuld gewesen.
„Kommt denn so etwas öfter vor? Was kann so ein kleines Mädchen mit vier Jahren denn so Schlimmes gemacht haben, dass man ihm dermaßen weh tut.“
Kathi schluchzte nur: „Bitte bitte, sagen Sie meiner Mutter nicht, dass ich das verraten habe, das tut sie sonst wirklich nie!“
Es quälte Kathi die Vorstellung, die Familie verraten zu haben. Sie wusste, dass das, was die Mutter mit den Kindern tat, nicht richtig war, aber das durfte niemand wissen. Hinzu kam die konkrete und doch diffuse Angst, dass ihre Mama, Papa und Britta sie verlassen könnten vor Wut und Verzweiflung. Sie verhungern lassen würden oder sie wieder in so ein Verschickungsheim müsste.
Kathi konnte noch am selben Tag entlassen werden. In ihr hämmerte nur ein einziges Wort: „Ich bin schuld.“ Mit einem Gefühl, des schlechten Gewissens und der Angst, ließ sie sich vom Vater in den Arm nehmen und nach Hause fahren.
In ihr machte sich nur ein Gedanke breit: „Ich bin eine Verräterin.“
DIE LÜGE
Kathi fühlte sich nach wie vor einsam. Da Britta nun ihr eigenes Zimmer hatte, klopfte sie oft an deren Tür und bettelte um Einlass. „Bitte, Britta, nur ein paar Minuten, ich sitze auch ganz still!“
Für die Bezahlung mit ein bis zwei Dauerlutschern, die sich Kathi für ihre Schwester aufhob, durfte sie dort sitzen, lauschte ganz leise dem Buntstift, der über das Papier malte. Britta konzentrierte sich akribisch auf die Hausaufgaben, denn sie ging bereits zur Schule. In die 2. Klasse. Und die vierjährige Kathi langweilte sich so allein. Dass sie noch nicht lesen konnte, ärgerte sie. Am liebsten wäre ihr gewesen, wenn Britta ihr ein Märchen vorliest. Brüderchen und Schwesterchen. Das war ihr liebstes. Sie musste dann immer weinen. Kathi erlebte es als ihre Geschichte mit Britta. Ebenso wie Hänsel und Gretel. Wobei die Mutter und die Hexe für sie ein und dieselbe Person waren. Einfach nur still zu sitzen war für sie extrem schwer. Kathi war immer auf Hab-Acht, ständig im Adrenalinstress. Wenn eines nicht ging, dann war es das Stillsein, Innehalten, Ruhe bewahren.
Also fing sie an zu erzählen und zu fragen, wie denn die Schule gewesen sei. „Ruhe!“
„Bitte Britta, lies mir ein Märchen vor!“
Britta war total genervt. Es reichte ihr. Sie schrie laut: „Raus hier, ich muss Schularbeiten machen, geh endlich!“
Es war die Zeit nach dem Mittagessen. Die Zeit, in der die Mutter schlief. Sie schlief jeden Mittag zwei bis drei Stunden, schloss sich dabei ein und wollte niemals, wirklich niemals gestört werden. Wenn sie am Spätnachmittag erwachte, war die Mutter schlecht gelaunt, nörgelig oder traurig. Besser war, man ließ sie dann in Ruhe. Sie brauchte erst einmal ihren Kaffee und einen Keks, um den sie die Kinder glühend beneideten.
In diese Situation hinein schrie Britta, dass Kathi verschwinden solle. Kathi hatte furchtbare Angst, dass die Mutter wach werden würde, denn sie wusste, was dann passierte. Umso unbegreiflicher war es für sie, dass Britta genau das riskierte. Es kam für sie einem Verrat gleich. Also versuchte Kathi ihrer großen Schwester den Mund zuzuhalten. Schon begann eine Rauferei, wie so oft. Sie zogen sich gegenseitig an den Haaren, bissen und kratzten sich. Wenn Kathi Angst hatte zu verlieren, und das war meist der Fall, schrie sie: „Aua, mein Auge, aua, das tut soo weh, warum hast du das gemacht, Britta?“
Es überkam Britta die Panik. So richtige Angst vor der Mutter. Sie war schließlich die Ältere und hatte dafür zu sorgen, dass alles ruhig bleibt, während die Mutter schlief. Die Angst, die Mutter könnte denken, dass sie Kathi geschlagen hatte, stand nun im Raum und das wäre sehr folgenreich für sie geworden.
Also nahm Britta ihre kleine Schwester schnell in den Arm: „Psst, bitte sei leise, bitte, du darfst hier auch weiter sitzen und mir zuschauen, bitte!“
Oft gelang dieser kleine Trick und Kathi war glücklich. Sofort tat nichts mehr weh und sie saß ganz brav und glücklich auf dem Sofabett der großen Schwester und strahlte wie ein Honigkuchenpferd. Es ging meist so auf. Doch leider nicht an diesem Tag. Sie hörten die Mutter bereits mit lautem Türenschlagen heraneilen. „Was ist hier los? Britta, habt Ihr Euch wieder gestritten? Meinen kostbaren Mittagsschlaf gestört?“
Kathi fasste sich ganz schnell an das Auge und jammerte wieder: „Aua, aua.“
Britta bekam links und rechts Backpfeifen, einen Hinterkopfschlag und wurde durchgeschüttelt. Sie schrie wie am Spieß: